Erzählerin Selma Scheele : Ein Koffer voller Geschichten in der Gemeindebücherei Simmerath
Simmerath Facettenreich und ausdrucksstark: Wenn Selma Scheele ihren Geschichtenkoffer öffnet, hören die Kinder ganz genau hin. Wie jetzt in Simmerath.
„Eine gut erzählte Geschichte macht aus den Ohren Augen…“ – so sagt es ein chinesisches Sprichwort. Genau das hat die Zuhörerschaft mit großen und kleinen Ohren in der Gemeindebücherei Simmerath erfahren dürfen, als die Theaterpädagogin und studierte Geschichtenerzählerin Selma Scheele aus Köln in der Eifel gastierte. Kinder und Erwachsene stimmten mit ihr überein, dass Ohren und Augen, ein Platz zum Sitzen und ein offenes Herz wichtige Voraussetzungen sind, um Geschichten zu lauschen.
Mit ihrer Stimme ahmte Selma Scheele das Geräusch eines verrosteten Scharniers nach, das, als sich der kleine, abgenutzte Lederkoffer öffnete, die Aufmerksamkeit der Kinder und Erwachsenen auf die bevorstehenden Geschichten lenkte. Ein glitzernder Fisch sprang aus dem Koffer und die erste Geschichte um Neid und Reue mit dem Titel „Wie Tag und Nacht entstanden sind“ begann: Es war einmal vor langer Zeit, da spazierten der Mond und die Sonne gemeinsam mit ihren Kindern am Himmel. Doch der Mond neidete der Sonne und den Sonnenkindern ihre Strahlen, ihre Wärme und die Zuneigung der Menschen. Da erdachte er sich eine List und brachte die Sonne dazu, ihre Kinder in eine Kiste zu sperren und ins Meer zu werfen... Erlöst wurden sie, als der Mond seine Intrigen bereute und die Sonnenkinder sich in glitzernde Fischlein verwandelten. Eine Kalimba, ein Lamellophon afrikanischer Herkunft, zauberte magische Momente in das Geschehen hinein.
Ein zweites Mal öffnete sich der Koffer unter Quietschen und Ächzen – und eine kleine Matrjoschka kam zum Vorschein, die sich vielfach wie durch Zauberhand vermehrte, dabei allerdings immer winziger wurde. Die Geschichte handelte von der grausamen Hexe Baba Jaga, deren Lieblingsspeise Kinderchen sind. Die Stieftochter allerdings, die von der bösen Stiefmutter in den Wald geschickt wurde, um bei der Hexe Baba Jaga Nadel und Faden zu holen, entkam dieser dank der Unterstützung hilfreicher Geister.
Die letzte Geschichte von der klitzekleinen Frau mit dem klitzekleinen Hut, die in einem klitzekleinen Häuschen wohnt, trug die Erzählerin zungenbrecherisch in Windeseile vor. Humorvoll und trotzdem spannungsreich galoppierte sie mit der Zuhörerschaft in ekstatisches Lachen, Mitfiebern und Fürchten, bis dann endlich die klitzekleine Frau mit dem klitzekleinen Schlüssel die klitzekleine Tür abschloss, um sich ins klitzekleine Bett zum Schlafen zu legen.
Mit ihrer wandlungsfähigen, facettenreichen Sprache und Mimik, ihrer ausdrucksstarken Pantomime unterstrich Selma Scheele die spannungsvollen Momente der Geschichten, nahm so die Zuhörenden mitten hinein in die Dynamik der Abläufe, ließ sie zu Protagonisten werden, welche das Geschehen mitgestalteten.