Haushaltsentwurf : Das Tor in die Freiheit öffnet sich am Tor zur Eifel
Roetgen Für Roetgen wird sie mit dem Entwurf des Haushaltes 2022 greifbar: Zum Jahreswechsel will die Gemeinde ihre Selbstverwaltung wieder vollständig zurückerlangen.
Manfred Wagemann und Jorma Klauss sind geneigt, einen alten Schlager anzustimmen. Frei nach Udo Jürgens: „2023 fängt das Leben an, da hat man Spaß daran, da kommt man erst in Schuss ...“ Noch ein Jahr steht Roetgen unter der Knute der Haushaltssicherung. Dann öffnet sich am Tor zur Eifel das Tor in die Freiheit. Zumindest finanzpolitisch endet ein Jahrzehnt, in dem der Gemeinderat noch längst nicht alles machen konnte, was sich Politik erträumt.
Manfred Wagemann ist als Kämmerer von Natur aus weniger euphorisch. „Erst wenn dieser Haushalt beschlossen und genehmigt, dann durchgeführt und abgeschlossen worden ist, dann erst ist das auch sicher“, sagt Wagemann und zeigt auf die gebundenen rund 600 Seiten als letzte Etappe auf dem Weg in die Freiheit: Der Entwurf des Haushaltes für das laufende Jahr ist erstmals wieder ausgeglichen in Ein- und Ausnahmen bei einem Volumen von rund 21,45 Millionen Euro.
Von Kämmerer Manfred Wagemann aufgestellt und von Bürgermeister Jorma Klauss bestätigt, wird der Entwurf im Hauptausschuss am 15. Februar der Politik zur Beratung vorgelegt. Beschlossen werden soll das Budget der Gemeinde vom Rat am 8. März. Bis dahin können die Fraktionen freilich andere oder weitere Akzente setzen, als die Verwaltung sie sieht – freilich nur im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes. Von der Möglichkeit haben die Fraktionen für das vergangene Jahr auch gemacht, um dann den Haushalt 2021 einstimmig zu verabschieden – erstmalig. Das war eine kleine Sensation für den sonst als so uneinig bekannten Rat.
Auf Rosen gebettet war die Gemeinde in der Vergangenheit nie. Bis zum Ende des Ausgleichsstocks 1990 wurde Roetgen vom Land unterstützt. Danach rutschte es gleich in eine erste Haushaltssicherung. 2008 brachte das Neue Kommunale Finanzmanagement einen kurzzeitigen Überschuss von einer halben Million Euro. Trotz des Griffs in die Ausgleichsrücklage steht seit 2009 stets ein Minus vor dem Jahresergebnis – bis 2020. Da erwirtschaftete Roetgen einen Überschuss von 920.000 Euro. Im vergangenen Jahr wird das Plus ebenfalls bei rund einer Million liegen, mit der erstmals wieder die Ausgleichsrücklage angespart werden soll.
„Die Haushaltssicherung hat zur Sanierung des Haushaltes geführt“, sagt Jorma Klauss. Dass sie den Bürgern teuer zu stehen gekommen ist, verschweigt der Verwaltungschef dabei nicht. Roetgen hat kräftig an der Steuerschraube gedreht. Bereits 2007 stiegen die Hebesätze für die Grundsteuer B von 381 und für die Gewerbesteuer von 403 auf 410 Punkte. Und ab 2012 geht‘s fast im Jahresrhythmus bergauf. 2020 werden Steuersätze erreicht, die in der Region ihresgleichen suchen. Bereits bei der Gewerbesteuer mit 530 Punkten ist Roetgen Spitzenreiter unter seinen Nachbarn. Bei der Grundsteuer B liegt der Hebesatz bei 660 – nur Alsdorf (695) greift den Besitzern von bebautem und bebaubarem Land noch tiefer in die Taschen.
Das ist aber noch harmlos verglichen mit dem, was im Haushaltssicherungskonzept eigentlich als Ziel angedacht war: 565 Punkte bei der Gewerbesteuer und 750 bei der Grundsteuer B. Darauf kann verzichtet werden. „Wir haben die Trendwende geschafft“, sagt Klauss zur guten Nachricht. In diesem Jahr sollen die Steuersätze weiter konstant gehalten werden.
Das ist die Grundsteuer A für landwirtschaftliche Flächen bereits seit 2015 mit 370 Punkten. Sie bringt der Gemeinde eher bescheidene 20.000 Euro, rechnet Wagemann vor. Mit 2,3 Millionen Euro sieht das bei der Grundsteuer B schon ganz anders aus. Sie zählt zu den Eckpfeilern auf der Einnahmeseite, mehr aber noch die Gewerbesteuer mit erwarteten fünf Millionen Euro und der Anteil an der Einkommenssteuer mit 6,1 Millionen Euro.
„Wir haben profitiert von der Steuerkraft“, konstatiert Klauss. Vor allem von der guten Entwicklung der Gewerbetreibenden, deren Branchen offensichtlich weniger anfällig sind für Auswirkungen der Corona-Pandemie. Die Einnahmen sind geklettert von 3,4 Millionen Euro 2019 über 4,6 Millionen 2020. Und nun setzt Wagemann konservative 5,0 Millionen Euro an, die dennoch risikobehaftet sein können.
Aufgrund der komplizierten Systematik wirken sich Veränderungen bei Steuereinnahmen gerne auch mit zweijähriger Verzögerung aus. Aber mit knapp 70 Prozent der Einnahmen bilden diese die Lebensader der Gemeinde, die neben dem Gewinn des eigenen Abwasserwerkes ansonsten nur eine Reihe kleinerer Gebühren, Entgelte, Erträge und zweckgebundene Zuschüsse vereinnahmen kann. Die hohe Steuerkraft hat den Preis, dass die Gemeinde nicht mit Schlüsselzuweisungen des Landes rechnen kann. Roetgen muss mit dem Geld auskommen, das es quasi selbst verdient.
In die Freude über die gute Ertragslage tropfen im Rathaus dicke Tränen der Wehmut. 8,7 Millionen Euro muss Manfred Wagemann gleich an die Städteregion überweisen. 0,7 Millionen für den öffentlichen Personennahverkehr, 3,5 Millionen als Jugendamtsumlage und weitere 4,5 Millionen Euro als allgemeine Regionsumlage. „Das sind 960.000 Euro mehr, als wir letztes Jahr noch erwartet hatten“, so Klauss weiter, „und das trotz einer weiteren Reduzierung des Umlagesatzes.“ Pro Einwohner betrachtet „bezahlt Roetgen einen überdurchschnittlichen Solidaritätsbeitrag“, sagt der Bürgermeister, ohne zu verschweigen, dass die Gemeinde von der Region auch profitiert.
Bei aller Solidarität mit der Städteregion bleibt dem Kämmerer noch Spielraum, direkt in Roetgen zu investieren. Nachdem im vergangenen Jahr 2,5 Millionen Euro für Planung und Grunderwerb berücksichtigt waren, stehen nun vier Millionen Euro für die Erschließung der Erweiterung des Gewerbegebietes in seinem Haushaltsentwurf, der auch den erwarteten 80-prozentigen Landeszuschuss dazu berücksichtigt.
Mit 1,3 Millionen Euro ist die Ampel an der Kreuzung von B258 mit Rosental- und Mühlenstraße angesetzt, wozu einer Rückerstattung des Landes in Höhe von rund 75 Prozent erwartet wird. Für den barrierefreien Umbau von Bushaltstellen sind 400.000 Euro eingeplant. Drei neue Wanderbrücken sind mit 295.000 Euro, die Erneuerung der Schleebachbrücke mit 115.000 Euro berücksichtigt. 100.000 Euro fließen in den Digitalpakt Schule. 185.000 Euro inklusive 164.000 Euro Zuschuss kostet die Photovoltaikanlage auf dem Dach der Grundschule, die zu einer erheblichen Einsparung beim Stromverbrauch führen soll. Für 43.000 Euro soll die Löschgruppe Rott einen neuen Mannschaftstransporter erhalten. Der Ersatz eines Löschfahrzeuges soll 2025 erfolgen.
Mittelfristig berücksichtigt die Finanzplanung acht Millionen Euro für die neue Feuerwache plus 240.000 Euro für die Übergangslösung sowie 8,5 Millionen für die Erweiterung der Grundschule auch unter dem Aspekt eines Rechtsanspruches auf eine Ganztagsbetreuung ab 2026. Jetzt werden erst einmal 41.000 Euro für eine Machbarkeitsstudie bereitgestellt.
Noch einmal 100.000 Euro sind für die kontinuierliche Unterhaltung von Straßen vorgesehen; im kommenden Jahr soll der Betrag verdoppelt werden. Insgesamt summieren sich derartige Instandsetzungsarbeiten inklusive der Neugestaltung des Dorfplatzes in Rott auf 565.000 Euro. Die durch die Haushaltssicherung bedingte Aufholjagd bei der Sanierung von Straßen soll mit derem Ende im kommenden Jahr beginnen. Dann erhofft sich Jorma Klauss nach der Landtagswahl zudem einen Verzicht auf die Heranziehung von Anliegern zu den Kosten dafür.
Mit vergleichsweise bescheidenen 19 Prozent oder 3,5 Millionen Euro beeinflussen die Personalkosten die Ausgabenseite. Vorgesehen sind zwei neue Stellen – in der Bauverwaltung und im Bereich Ordnungswesen, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Der Ausgang von Tarifverhandlungen ist mit einer Steigerung von zwei Prozent bei Beamten und 1,8 Prozent bei Angestellten berücksichtigt.
Manfred Wagemann und Jorma Klauss haben den Song des Jahres jedenfalls schon einmal komponiert. Ob sie ihn am Ende anstimmen werden können, wird sich erst mit der Beschlussfassung durch den Gemeinderat zeigen.