Bürgerbegehren in Roetgen : Jetzt bläst der Ratsmehrheit der Gegenwind ins Gesicht
Roetgen Jetzt geht es in Roetgen ans Eingemachte: Auf einer Sondersitzung am 1. Februar berät der Gemeinderat über die Zulässigkeit eines Bürgerentscheids gegen Windkraft.
Einen Bürgerentscheid zur Windenergie hat noch im Oktober Bernhard Müller als nicht möglich angesehen. Weil man so nicht gegen eine Bauleitplanung vorgehen kann, hatte der Fraktionsvorsitzende der Grünen unter anderem argumentiert. Gemeinsam mit SPD/FDP hatten die Grünen den von UWG und CDU favorisierten, durch die Gemeinde durchzuführenden Ratsbürgerentscheid mit ihrer Mehrheit abgelehnt und den Einstieg in eine Bauleitplanung für ein Sondergebiet zur Windkraft am Birkhahnskopf auf den Weg gebracht. Dabei pochte die Ampel auf ihre rund 55 Prozent Stimmenanteil der letzten Kommunalwahl. Dies sei die Legitimation der Bürger, den Einstieg in die Windkraft zu forcieren.
Doch alles deutet heute daraufhin, dass die Bürger selbst noch einmal zu einem Engagement mit Windenergieanlagen gefragt werden – dürfen. Das geht zumindest aus einer rechtlichen Prüfung durch die Gemeindeverwaltung hervor.
Denn exakt 16Tage nach der Sitzung des Rates zeigen vier Vertreter aus der Bürgerschaft formell ihre Absicht an, ein Bürgerbegehren gegen das Vorhaben, einen Windpark am Birkhahnskopf zu realisieren, im Rathaus fristgerecht an. Entsprechend der Rechtslage bitten sie um eine Schätzung der Kosten, die aus einem solchen Vorhaben resultieren können. Weil die Kostenschätzung Bestandteil der Begründung eines Bürgerentscheids sein muss. Ob es einen geben wird, wird in einer Sondersitzung des Gemeinderates am 1. Februar beschlossen.
Im Vorfeld ziehen Dr. Thomas Schmeink, Rainer Ständer, Michael Lorig und Bernd Hoepfner als Spitze der eigens gegründeten „Initiative für den Erhalt des Roetgener Waldes“ eine erste Bilanz. Für den 5. November bat Bürgermeister Jorma Klauss angesichts des beantragten Bürgerentscheids die Initiative zu einem Abstimmungsgespräch ins Rathaus. „Es war ein konstruktives Gespräch in einer nicht unangenehmen Atmosphäre“, bilanziert Ständer. „Die Verwaltung zeigte sich bereitwillig, uns bei dem Begehren zu unterstützen“, sprich Kosten zu beziffern und mit Informationen zu helfen.
Allerdings habe zu diesem Zeitpunkt Klauss noch gegen eine Zulässigkeit eines Begehrens gegen Bauleitplanung und Flächennutzungsplan-Änderung plädiert. „Wir haben dagegen argumentiert“, sagt Ständer. Die entscheidende Wende bringt eine rechtliche Würdigung der Rechtslage durch den Allgemeinen Vertreter des Bürgermeisters. In seiner Stellungnahme vom 6. Dezember untersucht Dirk Recker auf Basis der Gesetzeslage und Urteilen des Oberverwaltungsgerichts, ob angesichts der Roetgener Beschlusslage ein Bürgerbegehren gegen die Einleitung des Bauleitverfahrens zulässig ist.
Recker kommt zu dem eindeutigen Schluss, dass ein Begehren statthaft ist, solange es sich gegen das „Ob“ wendet, also gegen die Grundsatzentscheidung, eine Bauleitplanung zu beginnen. Dagegen wäre ein Begehren gegen Inhalte einer Planung nicht zulässig. Aber im Roetgener Fall habe „das Bürgerbegehren eine Entscheidung über die Einleitung des Bauleitplanverfahrens zum Gegenstand“. Dies schließe eine damit einhergehende Änderung des Flächennutzungsplans mit ein. Recker kommt zu dem Ergebnis, „dass die grundsätzliche Frage, ob in Roetgen ein Bauleitplanverfahren eingeleitet werden soll durch einen Bürgerentscheid im Sinne einer Ja-Nein-Frage entschieden werden kann“ ... und somit ein Bürgerbegehren zulässig ist“.
Michael Lorig dazu: „Wir sehen uns in unserer Rechtsauffassung durch dieses Gutachten bestätigt.“ Allerdings sind für ein solches Vorgehen Fristen einzuhalten. Das eigentliche Bürgerbegehren muss innerhalb sechs Wochen eingereicht werden. Fristgerecht eingereicht war die Ankündigung. Nun befürchtet die Initaitive jedoch, dass die Gemeindeverwaltung sie durch weitere zögerliche Antworten ausbremsen will. Denn die Beantwortung der wichtigen Kostenfrage zieht sich in die Länge.
Aber Dirk Recker beruhigt auf Anfrage unserer Zeitung, dass in solchen Fällen der Fristablauf unterbrochen wird.
Immerhin zwei Monate nach dem ersten Abstimmungsgespräch, mit Datum vom 29. Dezember, hält die Initiative die von der stellvertretenden Leiterin des Fachbereiches Allgemeine Verwaltung erstellte Kostenschätzung in den Händen. „Die Gemeinde schätzt die ausfallenden Pachteinnahmen von 70.000 bis 100.000 Euro pro Jahr pro 5-Megawatt-Anlage ab Inbetriebnahme“, formuliert Annika Thelen. „Bis zur Inbetriebnahme werden die darüber hinausgehenden Einmalzahlungen zwischen 20.000 und 50.000 Euro pro Anlage geschätzt“.
Zur Erklärung: Die Gemeinde rechnet damit, vom Betreiber bis zu 100.000 Euro jährliche Pacht pro Windenergieanlage einnehmen zu können. Mit den Einmalzahlungen wird die Bereitstellung der Grundstücke während des Anlagenbaus abgegolten. Wird der Windpark nicht realisiert, können keine zusätzlichen Einnahmen für den Haushalt verbucht werden. Nach Stand der Voruntersuchungen bietet das Areal am Birkhahnskopf Platz für maximal fünf Windenergieanlagen; drei bis vier werden im Rathaus für realisierbar gehalten.
Noch am Tage des Eingangs der Kostenschätzung handelt die Initiative. Punkt 22.51 Uhr landet am 29. Dezember im Gemeindebriefkasten der „Antrag auf Entscheidung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens“. Genauer gesagt drei Anträge inklusive Begründung, denn um auf Nummer sicher zu gehen, hat die Initiative drei unterschiedliche Formulierungen für das Bürgerbegehren eingereicht. Die dafür erforderliche Anzahl von 25 Unterschriften wurde mit jeweils 45 übertroffen. Gleichzeitig wird als Datum eines Bürgerbegehrens der Tag der Landtagswahl am 15. Mai vorgeschlagen – um den Aufwand für das Begehren in Grenzen zu halten.
Diese Fragen werden nun durch die Verwaltung auf ihre Zulässigkeit geprüft. Die Entscheidung über die Zulässigkeit soll auf Basis einer mehrseitigen Vorlage am 1. Februar der Rat treffen. Sollte er alle Fragen als unzulässig ablehnen, bittet die Initiative gleich um einen rechtsfähigen Bescheid. „Dann werden wir die weiteren juristischen Schritte prüfen“, sagt Lorig: Notfalls würde die Initiative auch eine Klage gegen die Gemeinde in Erwägung ziehen.
Die drei unterschiedlichen Fragen spannen den Bogen vom Konkreten bis zum Grundsätzlichen:
- Soll der Beschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Windenergie und zur Änderung des Flächennutzungsplans Windenergie aufgehoben werden?
- Soll der Gemeinde untersagt werden, Verträge abzuschließen, die die Errichtung von Windenergieanlagen im Gemeindewald ermöglichen?
- Soll die Errichtung von Windenergieanlagen im Wald auf dem Gebiet der Gemeinde Roetgen ausgeschlossen werden?
Nach dem – erwartet positivem – Ratsvotum über die Zulässigkeit ihrer Fragen, wird sich die Initiative für einen der drei Vorschläge entscheiden (müssen). Sie soll dann die offizielle Fragestellung des Bürgerentscheids sein. Bis zum 22. Februar muss der Antrag eingereicht sein – begleitet von 715 Unterstützungsunterschriften. Diese Summe – zehn Prozent der Bürger – richtet sich nach der Anzahl der Wahlberechtigten bei der jüngsten Kommunalwahl; das waren 7153 im September 2020. Diese Ziffer hat ebenfalls Bedeutung für den Ausgang des Bürgerbegehrens. Für einen Erfolg reicht zwar die Mehrheit der gültigen Stimmen, aber diese Mehrheit muss mindestens 20 Prozent der Bürger betragen. 1430 Stimmen benötigt die Initiative mindestens, um Roetgens Traum vom Platz an der Windenergie zu stoppen.
Zuvor muss der Gemeinderat aber noch prüfen, ob die geleisteten Unterstützungsunterschriften des Antrages auf Bürgerbegehren den formalen Voraussetzungen entspricht. Vorausgesetzt, am 1. Februar wird dem Votum der Bürgerschaft quasi grundsätzlich zugestimmt.