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Briefmarken-Experte aus Paustenbach: Rekorderlöse mit einem aussterbenden Hobby

Briefmarken-Experte aus Paustenbach : Rekorderlöse mit einem aussterbenden Hobby

Hinrich Osterloh aus Paustenbach gründete 1987 mit Freunden das Auktionshaus Aixphila in Aachen. Seither trotzt das Unternehmen dem sich wandelnden Zeitgeist. Für das Hobby Briefmarkensammlung sieht der Experte keine gute Zukunft.

Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Weil nicht jeder große Geldsummen spenden kann und möchte, erfreut sich die Sammelaktion der „Briefmarkenstelle Bethel“ in Bielefeld seit Jahrzehnten großer Beliebtheit. Auch viele Eifeler sammeln traditionell Postwertzeichen für Bethel, wo sie von Menschen mit Behinderungen für den Verkauf sortiert und aufbereitet werden. Doch wer dieser Tage in seinen Briefkasten schaut, stellt fest: Briefmarken werden immer seltener. Die traditionelle Weihnachtspost verliert schleichend an Bedeutung. Vor allem die junge Generation verschickt kaum noch „analoge Post“ – auch nicht zu Weihnachten. Und wer dann doch mal einen Brief an Behörden oder Versicherungen versenden muss, der kann mit der Post-App binnen Sekunden einen kurzen Zahlen- und Buchstabencode generieren und auf den Umschlag schreiben, der das Postwertzeichen ersetzt. Schnell, praktisch und ohne Klebstoffgeschmack auf der Zunge. Bloß: Welche Auswirkungen hat das auf das frühere Volkshobby Briefmarkensammeln?

Es ist still geworden in der Szene

Wer sich umschaut, stellt fest: Es ist sehr still geworden in der Sammlerszene – nicht nur, aber auch in der Nordeifel. Wo sich vor einiger Zeit noch die letzten verbliebenen Enthusiasten zu Tauschaktionen trafen, herrscht spätestens seit Beginn der Coronavirus-Pandemie Stille. Dabei wird auch hinter den Kulissen Eifeler Bauernhäuser weiterhin gesammelt. Das verrät einer, der es wissen muss: Hinrich Osterloh (69), einer der renommiertesten Briefmarkenhändler und -auktionatoren Deutschlands. 1987 gründete der Paustenbacher in Aachen mit Freunden das Auktionshaus Aixphila mit Sitz in der Lothringerstraße. Heute ist es eines des wichtigsten Unternehmen dieser Art in Deutschland.

2,5 Millionen mit einer Auktion

Mit der jüngsten, 69. Auktion in Aachen, bei der unter anderem eine große Spezialsammlung mit historischen Marken und Briefen aus den damaligen deutschen Kolonien unter den Hammer kam, feierten Osterloh und Co. ungeahnte Erfolge. Bei einem Aufrufpreis von 530.000 Euro wechselten die einzelnen Stücke der Sammlung letztlich für mehr als 2,5 Millionen Euro den Besitzer. „Eine solche Sammlung bekommt man als Auktionator nur einmal in die Finger“, schwärmt Hinrich Osterloh.

Ein Bild aus vergangenen Tagen: In der Aula der kaufmännischen Schule in der Lothringerstraße treffen sich Sammler aus ganz Europa, um Gebote für seltene Marken abzugeben.
Ein Bild aus vergangenen Tagen: In der Aula der kaufmännischen Schule in der Lothringerstraße treffen sich Sammler aus ganz Europa, um Gebote für seltene Marken abzugeben. Foto: Aixphila

Vom Flair einstiger Auktionen ist mittlerweile allerdings nicht viel geblieben. „Corona hat unser traditionelles Geschäft abrupt beendet“, erklärt der Briefmarkenexperte, der die Auktionen seit Beginn der Pandemie mit seinen Mitstreitern nur noch online anbieten kann. „Wir waren das Haus in Deutschland und auch weit darüber hinaus mit dem meisten Publikum. Das war eine tolle Zeit“, erinnert sich Osterloh leicht wehmütig an die Auktionen in der Aula der kaufmännischen Schule in der Lothringerstraße in Aachen. Zuletzt kam die Hälfte des Publikums aus dem Ausland. Auch die Onlineauktionen sprechen viele internationale Bieter an. Rund 250 boten zuletzt um die Sammlung im Oktober, viele davon aus den USA oder Australien.

Das Zittern der Zocker

Für Osterloh, der die Geschäftsführung des Auktionshauses Anfang 2021 in jüngere Hände abgegeben hat, aber auch weiterhin fast täglich im Unternehmen arbeitet, ist das zwar eine wirtschaftliche Chance. Schließlich kann er online ein wesentlich größeres internationales Publikum ansprechen. „Doch an die Stimmung vergangener Tage reicht das alles nicht mehr heran.“ Das Quatschen und Fachsimpeln fehlt ihm. Die Blicke, die sich Bieter gegenseitig zuwerfen, wenn das Objekt ihrer Begierde aufgerufen wird. Das Zittern der Zocker, die unbedingt eine bestimmte Briefmarke ihr Eigen nennen wollen. Der Ehrgeiz, es dem Kontrahenten in diesem Wettkampf zu zeigen.

Die Anfänge

Schon als Student der Romanistik besuchte Osterloh Briefmarkenauktionen im „Walfisch“ in der Aachener Pontstraße. „Der Saal gerammelt voll, es war laut, die Luft vom Rauch geschwängert, jeder Bieter hatte seine Bierflasche in der Hand. Da war richtig Stimmung, das fand ich spannend!“ Osterloh hatte durch seinen Vater, einen begeisterten Sammler, Zugang zum Thema. „Ich interessierte mich aber weniger für das Sammeln, sondern für die ökonomischen Fragen. Während meines Studiums musste ich mein Geld selbst verdienen und habe daher mein Wissen um die Möglichkeit, mit Briefmarken zu handeln, genutzt.“ So wurde der Grundstein für das Auktionshaus in einer Zeit gelegt, in der das Briefmarkensammeln einen gigantischen Boom erlebte.

Der Boom ist Geschichte

Dieser Boom ist längst vergangen. Die Deutsche Post wirft zwar weiterhin Jahr für Jahr eine große Zahl von Sondermarken auf den Markt, doch immer weniger davon werden tatsächlich auch auf Briefe geklebt. Die meisten davon landen direkt bei Sammlern, die bei der Post ein Abonnement abgeschlossen haben. Doch deren Zahl war vor Jahren noch zehnmal so hoch wie heute. „Wenn Sie sich für Geschichte und Geographie interessieren, ist das Hobby nach wie vor faszinierend“, meint Osterloh. Auch der ökonomische Aspekt spiele weiterhin eine gewisse Rolle. „Es gibt Sammler, die der Meinung sind, eine echte Geldanlage zu schaffen. Das ist in 99 Prozent der Fälle aber ein absoluter Trugschluss.“ Das Briefmarkensammeln habe insgesamt extrem abgenommen, was zu einem „kolossalen Preisverfall“ geführt habe.

Hinrich Osterloh nennt ein Beispiel: Eine komplette Bundesrepublik-Sammlung postfrisch (unbenutzt) kostete 1980 noch stolze 8000 D-Mark. „Heute bekommen Sie die für 500 Euro!“ Bei der geschrumpften Zahl der Sammler sei einfach zu viel Ware auf dem Markt. „Aber der Trieb, zumindest die Möglichkeit zu haben, mit Briefmarken Geld machen zu können, ist weiterhin unerschütterlich.“ So sind heute vor allem seltene, historische Stücke gefragt – wie eben aus dem Sammelgebiet der einstigen deutschen Kolonien. Marken, die eine Geschichte haben und mehr oder weniger einzigartig sind.

Briefmarken verschwinden aus dem Alltag

„Eine Sammlung kann heute einen Katalogwert von einer Million Euro haben und dennoch fast wertlos sein, wenn die Sammler die falschen Marken gekauft haben, weil sie zum Beispiel auf Masse statt Klasse setzten.“ Der Abwärtstrend werde sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen – bis das Hobby eines Tages womöglich weitgehend ausgestorben sei, prophezeit der Experte. Es gebe bereits Staaten, in denen heute keine Marken mehr produziert würden. „Es gäbe auch in Deutschland keine Briefmarken mehr, wenn die Deutsche Post am Sammler nicht noch verdienen würde“, sagt Osterloh.

„Wenn Briefmarken eines Tages völlig aus dem Alltag der Menschen verschwunden sind, dann werden sie auch nicht mehr in großer Zahl gesammelt.“ Ob stattdessen dann „Erstausgaben“ alter iPhones gesammelt werden? Hinrich Osterloh lacht. „Ich wage das nicht zu mutmaßen.“