Bio-Landwirt Markus Legge : „Die Landwirtschaft stirbt aus“
Imgenbroich Mit modernster Technik bewirtschaftet Bio-Landwirt Markus Legge seinen Hof in Imgenbroich. Doch für die Zukunft seiner Branche sieht der 58-Jährige ziemlich schwarz.
Die rot-bunt und schwarz-weiß gefleckten Kühe unterbrechen ihr stoisches Grasfressen oder relaxtes Wiederkäuen. Geduldig stapfen sie auf der weitläufigen Wiese bei Menzerath los. Markus Legge beobachtet die Szenerie ans Gatter gelehnt mit Interesse, ganz entspannt. Er braucht nicht einzugreifen, kein Kommando wie „Hopp“ zu rufen, damit sich die Tiere in Bewegung setzen. Sie „wissen“ selbst, wann ihre Stunde geschlagen hat, sich vor dem grauen Container in die Reihe anzustellen.
Auf sie wartet ein vollautomatisch arbeitender Melkroboter, Legges ganzer Stolz. Rund 200.000 Euro hat der innovationsfreudige, dynamische Vollerwerbs-Landwirt dafür investieren müssen. Geld, das sich gelohnt habe, ist er überzeugt. Der 58-Jährige aus Imgenbroich schaut genau hin, ob sich sein finanzielles Engagement trägt. Falls er zu dem Ergebnis kommt, dass er wirtschaftlich zusetzen muss und trotz größter Mühen und rastloser Arbeit nicht auf einen grünen Zweig kommt, zieht er die Konsequenzen. Dann senkt er für sich und seinen Bioland-Betrieb am „Atrium“ an der Alten Monschauer Straße den Daumen nach unten und steigt aus.
Wie kürzlich, als sich Legge nach vier Jahren von seinem Konzener Landwirts-Kollegen verabschiedete. Er beendete die bis dahin gemeinsame Direktvermarktung der erzeugten Biomilch über Automaten in regionalen Lebensmittelmärkten wie etwa in Aachen, aber auch in Imgenbroich. Legge verließ die Geschäftsführung und gab seine Anteile zurück. Sein bisheriger Partner will indes weitermachen.
„Für mich hat es sich nicht mehr gelohnt“, resümiert Markus Legge im Gespräch mit unserer Zeitung diese schmerzliche Entscheidung als Unternehmer. Inzwischen hat er auch seine Kuhherde spürbar dezimiert. Zählte sie einst 120 Tiere, sind jetzt noch 70 Milchkühe übrig. Die überzähligen Tiere seien zum Schlachter gegangen, hätten dank Bio-Aufzucht aber zumindest noch ordentliche Verkaufserlöse erzielt, ist er damit zufrieden.
Wenn die Milchkühe an den Roboter andocken, geht alles ohne menschliche Hand, vollkommen automatisch, spart Kosten und Zeitaufwand. Dass die Tiere so bereitwillig diese alltägliche Prozedur auf dem modernen Bauernhof bzw. auf der einen Kilometer vom Hof entfernten Weidefläche über sich ergehen lassen, habe auch damit zu tun, „dass sie wissen, dass am Ende ein Löffelchen Schokolade auf sie als Belohnung wartet“, zieht Markus Legge einen süßen Vergleich.
Natürlich, „menschliche“ Nervennahrung ist es nicht, die die Kühe nach dem Melkvorgang abgreifen können. Es ist ein spezielles Kraftfutter hauptsächlich aus Roggen- und Gerstenschrot, das den Vierbeinern mundet. Und das Computergehirn des Automaten ist auch noch so schlau, das er denjenigen Kühen aus der Herde zusätzliche „Leckerlis“ zuteilt, die mehr Milch abzapfen lassen als andere.
Ein ganz schön „intelligentes“ System! Der schlaue, vollautomatische Melkroboter kann noch viel mehr. Dessen empfindliche Sensorik misst zum Beispiel die Milch- und die Körpertemperatur der Kühe. Aus der Leitfähigkeit des weißen Natursafts kann zurückgeschlossen werden etwa auf Entzündungsprozesse im Euter. Wie gesagt, alles ohne menschliches Zutun. Markus Legge: „Ich fasse keine Kuh mehr an.“
Und der Automat weiß auch, wie oft jede einzelne Kuh zum Melken angetreten ist. Bis zu viermal täglich, sogar rund um die Uhr. Immer dann, wenn der einzelnen Kuh danach ist und sie Druck im Euter verspürt. Die durchschnittliche Melkrate pro Kuh und Tag beträgt 2,4-mal, listet ihm der Roboter präzise auf. Das macht etwa 27 bis 28 Liter täglich pro Milchkuh, weiß Legge. Maximal 50 Liter fließen sogar in den sterilen Sammelbehälter, wenn eine Kuh frisch gekalbt hat. Dann braucht die Maschine sicher ein wenig länger als die durchschnittlich 6,5 Minuten pro Melkvorgang.
Jeden Tag sammelt Markus Legge bei seinen Kühen insgesamt zwischen 1800 und 2000 Liter Frischmilch ein. Sein erzielter Erlös aus der Molkerei halte sich in Grenzen, wenn er vergleiche, dass in den achtziger Jahren die Einnahmen pro Liter noch bei bis zu 90 Pfennig gelegen hätten – „das war höher als jetzt“, ist er von diesem Verfall der Erlöse enttäuscht.
Und dies, obwohl zum Beispiel landwirtschaftliche Maschinen seitdem dreimal so teuer geworden seien. „Der Abnehmer diktiert den Preis, der Bauer schreibt keine Rechnung“, sagt Legge, und er müsse sich solchen Vorgaben beugen. Er könne kaum den Selbstkostenpreis erzielen, da bleibe kaum etwas übrig. Wenn etwa Aldi heute pro Liter Milch 59 Cent von den Kunden verlange, „bleiben bei uns nur 35 Cent hängen“, macht er die Abhängigkeit von den Großen deutlich.
Oft genug hat Markus Legge mit seinen Kollegen in Brüssel oder Berlin mit seinem Traktor gegen das Preisdiktat der Discounter, für faire Milchpreise protestiert. Letztlich habe dies nichts gebracht. „Die Landwirtschaft stirbt aus“, will sich Legge keine allzu großen Illusionen über die Zukunft vieler Betriebe und der gesamten Branche machen.
Und noch ein Zeichen der Zeit hat er im Kollegenkreis feststellen müssen: Früher hätten die Ehefrauen der Landwirte wie selbstverständlich auf dem Hof mitgearbeitet: „Sie hatten zu Hause genug zu tun“, sagt er. Und mittlerweile seien viele von ihnen selbst berufstätig geworden, nicht zuletzt, um das finanzielle Überleben des Betriebs zu sichern.
Der hauptberufliche, zertifizierte Öko-Landwirt verfügt über rund 80 Hektar Grünfläche, die er mit seinem Familienbetrieb und dem mobilen Melkroboter bewirtschaftet. Bis Ende Oktober bleiben die Kühe auf seinen Menzerather Wiesen. Danach geht es zurück zum Hof.
Noch bis zum Jahreswechsel nimmt ihm eine niederländische Biomolkerei mit ihrem Tankwagen täglich seine Milch in Imgenbroich ab. Nach dem früheren Partner Arla aus Pronsfeld in der Südeifel war diese Erzeugergenossenschaft „Eko Holland“ die erste Wahl, weil sie parallel den Biohöfen auch eigenständige Vermarktung erlaubt. Die Niederländer möchten allerdings künftig mehr auf Lieferanten aus dem eigenen Land setzen. Zum neuen Jahr 2022 wird Legge den Abnehmer seiner Milch „von glücklichen Kühen“, wie er wirbt, wechseln. Dann wird seine „frische Biomilch aus der Eifel“ von der Milcherzeuger-Genossenschaft (MEG) aus Rheinland-Pfalz abgeholt.