Archivale des Monats : Als Kaiser Wilhelm der Schützenkönig von Monschau wurde
Serie Monschau In der aktuellen Folge geht es um das Jahr 1871, die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches und ein besonderes Ereignis in Monschau, bei dem der Kaiser die Hauptrolle spielte.
Man mag es kaum glauben. Da fand am 18. Januar 1871, also vor ziemlich genau 150 Jahren, im Spiegelsaal von Schloss Versailles die Proklamation des preußischen Königs Wilhelm I. zum Kaiser des Deutschen Reiches statt, überall liest man derzeit davon und in den Beständen des Stadtarchivs Monschau findet sich so gut wie nichts darüber – kein Huldigungsschreiben, kein Zeitungsbericht, keine Erwähnung in den Stadtratsprotokollen. Nur in der Stadtchronik wird in Zusammenhang mit dem Ende des deutsch-französischen Krieges ganz nebenbei die dadurch „erzielte Einigung Deutschlands und die Wiederherstellung des deutschen Kaiserreichs“ erwähnt.
Zugegeben, die Ernennung war ein rein formaler Akt, denn alles war bereits durch die am 1. Januar in Kraft getretene neue Verfassung geregelt. Doch wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand jedes Jahr des Königs beziehungsweise Kaisers Geburtstag begangen wurde, ist es schon erstaunlich, dass sich anscheinend niemand dafür interessierte.
Allerdings gab es in Monschau in diesem Jahr ein Ereignis, in dem der Kaiser die Hauptrolle spielte und das auf eindrucksvolle Weise die „Zuneigung“ belegt, die ihm entgegengebracht wurde. 1871 richtete der „Schützen-Verein zu Montjoie“ vom 9. bis 12. September (Samstag bis Dienstag) die Monschauer Kirmes aus. Wie seit vielen Jahren üblich stand für den Montag das „Königsvogel-Schießen“ auf dem Programm.
Zunächst trafen sich die Teilnehmer um 10.30 Uhr im Hotel Hembach in der Stadtstraße, heute „Alte Herrlichkeit“, zur Verlosung der Schießnummern, die die Reihenfolge der Schützen festlegten. Um 14 Uhr kamen alle Mitglieder zur Versammlung zusammen.
Anschließend formierte sich der Festzug, der den Schützenkönig abholte und durch die Stadt zur Schützenhalle am kleinen Laufenbach in der Nähe der späteren Felsenkeller-Brauerei marschierte. Über das, was dann geschah, gibt das Protokollbuch des Schützenvereins aus den Jahren 1849 bis 1874 Auskunft (Stadtarchiv Monschau, Bestand Vereine, Nr. 78).
Als erster trat der Fabrikant Ewald Jansen, zugleich Vorstandsmitglied des Vereins und erster Beigeordneter der Stadt, an den Schießstand und gab den „Ehrenschuß für Seine Majestät den Kaiser und König“ ab. Danach schossen die anderen Kandidaten. Zunächst tat sich nichts.
Aber dann passierte es. Jansen nahm für den Ehrenschuss, der die dritte Runde einleiten sollte, die Büchse in die Hand, legte an, drückte ab und holte den Vogel von der Stange. Damit hatte er den Kaiser zum König gemacht. Alle waren außer Rand und Band. Sofort wurde ein Telegramm aufgesetzt und gegen 19 Uhr auf den Weg nach Berlin gebracht.
Die Antwort kam drei Tage später. „Majestät nehmen die Schützenkönigswürde an, überlassen die goldene Medaille als Ehrenpreis Herrn Fabrikanten Jansen.“ Als am 20. September „aus dem Geheimen Civil-Cabinette Seiner Majestät“ ein Brief „in Begleitung einer prachtvollen silbernen, auf der einen Seite das Bildniß Seiner Majestät, auf der andern die Wappen des Königlich Preußischen Herrscherhauses tragenden Medaille“ eintraf, kannte die Begeisterung keine Grenzen mehr.
Rasch wurde aus Mitgliedern des Vorstandes ein Komitee gebildet und beauftragt, „an Seine Majestät eine Adresse zu erlaßen und in derselben die dankbaren, treuergebenen Gefühle des Vereins aus Anlaß der ihm gewordenen Auszeichnung niederzulegen.“
Zugegeben. Der Text ist sprachlich keine leichte Kost. Trotzdem werden die Auszüge im Originalwortlaut wiedergegeben. Das geschieht natürlich nicht ohne Absicht. Doch dazu kommen wir am Schluss. „Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Kaiser und König! Allergnädigster Kaiser, König und Herr! Ew. [Euer] Majestät haben huldvoll geruht, den Schützen-Verein zu Montjoie […] unterrichten zu laßen, daß Allerhöchstdieselben die Schützenkönigswürde des Vereines annehmen […].“
Zunächst lässt der Brief den Ablauf des Königsvogelschießens Revue passieren und betont den Dank für den „Gnadenbeweis“ und die Medaille. Nach einer Darstellung des Schützenvereins heißt es weiter: „Aus den von den großen Verkehrswegen abgeschnittenen kleinen Städten Ew. Majestät weiten Reiches gelangt zu selten der directe Ausdruck vor Ew. Majestät erhabenen Thron, wie sie sich einig fühlen und dem ganzen großen Vaterlande in treuer Liebe, in innigster Verehrung für ihren Herrscher und das ganze Kaiserl. Königl. Haus.
So sind auch wir ein freier Verein von Bürgern dieses an der äußersten Grenzmarke des Reiches gelegenen Stadt. Es wäre Anmaaßung, die Stadt als solche vor Ew. Majestät zu vertreten und doch hindert der engere Kreis der Mitgliedschaft des Vereines uns nicht, des uns gewordenen Glückes mit unserm tiefen Danke und unserer unbegränzten Verehrung zugleich die patriotischen Gefühle aussprechen zu dürfen, von denen, daß sind wir gewiß, die ganze Bürgerschaft der Stadt getragen und beseelt ist. Eine verklungene große Vergangenheit, eine ruhmvolle Gegenwart, die sich bei dem berührten frohen Ereigniße die Hand bietet, geben uns noch ganz außergewöhnliche Gründe, Ew. Majestät den Tribut unserer Huldigung und Ehrerbietung zu Füßen zu legen.
Vor mehr denn tausend Jahren, in jener gewaltigen Zeit, wo die germanische Nation nach jahrhundertelanger unruhiger Bewegung ihrer edlen Stämme die alte Größe wiedergefunden, wo sich Karls des Großen Schwert und Scepter Europas Herrscher und Völker beugen mußten, da ward, wie uns die Geschichte sagt, dahier in deutscher Waldestiefe auf wenige Meilen nahe der Kaiserpfalz in Aachen, auf steiler Felsenshöhe, eine kaiserliche Burg errichtet, die oft dem großen Helden jener Tage Wohnung bot und die den Grund zur spätern Stadt, Landschaft und Burggrafschaft Montjoie bilden sollte.“
Heute wissen wir, dass die ersten Gebäude der Burg erst um 1190 entstanden. „Nach mannigfachem Wechsel kleiner Dynasten kam Montjoie um die Mitte des 15. Jahrhunderts an das herzogliche Haus Jülich und fiel im Erbvertrag von 1666, nachdem wir die siegreichen brandenburgischen Soldaten schon oftmals hier gehabt, an Pfalz-Neuburg.
Darauf haben dann an der Wende des letzten Jahrhunderts gallische Schaaren auch uns mitüberfluthet und in zwanzigjährige Knechtschaft geschlagen, bis ein erhabener Hohenzoller uns im Befreiungskampfe siegreich dem Fremdling entriß und an ein angestammtes Herrscherhaus angliederte.
Wahrlich, Majestät! Niemand aus uns, aus unserer ganzen treuen Bürgerschaft, vermag sich im Jahre des Sieges und ruhmvollen Friedens 1871, der durch Ew. Majestät wiedererstandenen deutschen Macht und Größe, bei den geschichtlichen Erinnerungen, die von unsern Bergen in den Ruinen mächtiger Türme und Wälle zu uns sprechen, dem erhebenden Gefühle des Stolzes zu entziehen, daß Allerhöchstdieselben nicht verschmäht haben, den bürgerlichen Verein einer alten treuen deutschen Stadt so huldvoll zu ehren.
Wohl trägt ihr Namen den französischen Klang, doch welche Wandelungen auch Stadt und Landschaft die wechselnden Zeiten gebracht und wenn auch in nur wenigen Meilen Entfernung eine fremde Sprachgrenze und das benachbarte Belgien beginnen, deutsch ist ihre Sprache, ihr Wesen, ihre Sitte geblieben und dem erhabenen Monarchen, der erst vor Jahresfrist den Feind, der auch unser friedliches Thal bedrohte, vernichtend aufs Haupt geschlagen, dürfen wir als deutsche Männer sagen, daß deutsche Herzen voll glühender Vaterlandsliebe, voll inniger Verehrung treue Wacht gehalten haben werden gegen wälschen [französischen] Trug und wälsche Sitte. […] Wir danken Ew. Majestät tief bewegt, unsere Huldigung kommt aus treuen, ihrem Herrscher und dem ganzen Vaterlande mit Gut und Blut ergebenen Herzen.“
Dieses Schreiben ist ein bemerkenswertes Zeitdokument, und zwar in zweifacher Hinsicht. Zum einen geht es darin um ein ganz besonderes Ereignis in der Geschichte der Monschauer Schützen. Auch wenn es sich bei manchen Formulierungen um übliche Floskeln handelt, belegt es zum anderen eindrucksvoll die allgemein herrschende Mentalität des Untertans, seine Obrigkeitshörigkeit, seinen Patriotismus, seine fast schon ins Religiöse überhöhte Verehrung des Regenten.
Sprache ist ein Spiegel des Empfindens. Hier lässt sie auf beeindruckende und zugleich erschreckende Weise erahnen, wie es dazu kommen konnte, dass Deutschland 43 Jahre später unter Jubel und fröhlichem Gesang in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs marschierte.