Simmerather im Arla-Aufsichtsrat : Die Interessen von 10.000 Landwirten unter einen Hut bringen
Simmerath Das nach produzierter Milchmenge viertgrößte Molkereiunternehmen der Welt wird auch aus Simmerath geführt: Manfred Graff ist nun stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Arla Foods.
„Ganz ruhig in Rurberg, wo wir privat wohnen“, sagt Manfred Graff, „zu Hause mit der Familie; das ist ganz wichtig“: So verbringt der Landwirt aus Simmerath die Feiertage. In Ruhe und fernab von den sonst so herausfordernden Terminen und Themen eines globalisierten Alltags, ganz bodenständig. Seit wenigen Wochen amtiert der 62-Jährige als stellvertretender Vorsitzender des Boards of Directors, des Aufsichtsrates, der Molkereigenossenschaft Arla Foods mit Sitz im dänischen Viby.
„Man wächst da einfach rein“
Der Weg in die Führungsposition einer der größten Molkereien weltweit beginnt an der Jägerhausstraße in Lammersdorf, wo die Familie seit 1928 den von der Rheinprovinz errichteten Hof bewirtschaftet. 1982 übernimmt Manfred Graff den väterlichen Hof, 1986 wird er Mitglied der Milch-Union Hocheifel (MUH) in Pronsfeld und baut den Betrieb weiter aus. Biogas-Anlage, Boxenlaufstall, zwei Melkroboter sind nur wenige Stichworte einer ständigen Weiterentwicklung. Doch wie führt der Weg in die Führungsspitze des global auf Platz sieben rangierenden Milchproduzenten?
„Man wächst einfach da rein“, sagt Manfred Graff. Die ersten 20, 25 Jahre „habe ich intensiv im eigenen Betrieb gearbeitet, und wenn da jemand gekommen ist mit Bauernverband, Molkerei oder anderen Verbänden habe ich gesagt, er soll mich bloß in Ruhe lassen damit“. Manfred Graff hat genug zu tun mit seiner eigenen Scholle.
Doch je länger er im Beruf ist, je älter die beiden Söhne werden, um so mehr weitet sich sein Blick „auf das agrarpolitische Umfeld“. Die Entscheidung reift, sich einzubringen. Auf einer Versammlung der MUH ist eine Position neu zu besetzen, erinnert sich Graff. „Wer da nicht Nein sagt, ist dabei“. Er hat nicht Nein gesagt. 1998 war er dann im Aufsichtsrat der Genossenschaft mit Landwirten aus der Eifel, Belgien und Luxemburg. „Das war schon eine Errungenschaft, aber die Funktion war auch nicht so wichtig. Ich musste drei- bis viermal im Jahr hin“. Das reicht ihm aber nicht. Nach seiner ersten Amtsperiode will Manfred Graff „näher dran sein und mehr wissen“. Er bringt sich intensiver ein. 2006 wird er zum Vorsitzenden der MUH gewählt.
Es macht Spaß und Graff will mehr
Möglich wird dieses Engagement im ehrenamtlichen Bereich nur, weil die Familie mitzieht. „Anfangs habe ich mich ein wenig übernommen“, gesteht Manfred Graff ein: Es fehlt ihm doch die Zeit für den Betrieb. Ein Sohn studierte, der andere war im Praktikum, ein neuer Stall war im Bau. „Entweder kehrt ein Sohn zurück in den Stall oder ich ziehe die Reißleine“, steht für den Patron fest. Brauchte er nicht. Mirko kommt nach dem Studium in den Betrieb, Michael studiert erst anschließend. Selbstverständlich wird der Stall weitergebaut. „So ging es dann“, sagt Graff.
Bereut hat er es nicht. „Es macht Spaß, man wächst rein und damals wuchsen bei der MUH die Themen“. Investitionen werden erforderlich, die EU-Agrarpolitik ändert sich dramatisch, er kommt zum Ergebnis, „die MUH alleine tut es nicht“. Die Fusion mit Arla wird vorbereitet.
„Und dann kommst du in so ein großes Weltunternehmen rein“, sagt Graff und stellt fest, „es ist nicht viel anders, nur größer und internationaler.“ Mittlerweile sind beide Söhne im Betrieb, „und ich hatte mehr Zeit und Muße die Dinge zu machen“.
Zwei, drei Tage die Woche erfordert sein Engagement im Aufsichtsrat. Weitere Aufgaben kommen hinzu. Graff ist Vorsitzender der ehrenamtlichen, landwirtschaftlichen Länderchefs der Molkereigenossenschaft, als er im Oktober zum stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden gewählt wird. „Die Arbeit ist vielfältiger geworden, und ich bin jetzt näher dran am täglichen Geschäft“, sagt Graff – und sein Einsatz erfordert einen Tag mehr. „Aber wenn ich nicht ein, zwei Tage im eigenen Betrieb bin, fühle ich mich auch nicht wohl. Landwirt ist man ja aus Überzeugung.“
Jetzt beschäftigen ihn in seiner neuen Aufgabe vor allem Mitgliederangelegenheiten. „Es ist gar nicht so einfach, die Interessen von knapp 10.000 Landwirten aus sieben europäischen Ländern unter einen Hut zu bekommen“, erklärt Graff. Dabei kann er aber auf seine Erfahrungen bei der MUH bauen. Da hatten die Eifeler und niederrheinischen Bauern ebenso eigene Mentalitäten wie die Niederländer, Belgier und Luxemburger. „Sie nun europaweit auf einen Nenner zu bringen, erfordert viel Einfühlungsvermögen, Argumente und auch Glück.“ Denn die Maxime in der Genossenschaft heißt, „wir sind eine Arla“: Alle Mitglieder haben die gleichen Rechte und Pflichten, es gibt eine Satzung und alle bekommen den gleichen Milchpreis.
Die Märkte, insbesondere auf internationaler Ebene, zu beobachten, das Geschäft mit Handelsmarken und eigenen Labels, zählt ebenso zu Graffs Aufgaben. Das sind die Punkte, die auch zur Fusion von MUH und Arla führten. Während Handelsmarken der großen Lebensmittelhändler mit ihren geringen Margen den deutschen Markt prägen, kann man mit den Arla eigenen Marken „bessere Erlöse generieren“. Der internationale Markt ist zunehmend wichtig für den Konzern. Arla engagiert sich in diversen Schwellen- und Entwicklungsländern.
„Wir haben verstanden“
„Wir haben verstanden, dass um den Globus zu ziehen, um nur Business zu machen, nicht der nachhaltige Weg ist“, erklärt Graff. Frühzeitig war Arla mit H-Milch unter einer Handelsmarke, in Pronsfeld produziert, auf dem chinesischen Markt. „Das Geschäft blühte nur kurz auf, dann wurde man austauschbar“, bilanziert Graff. Jetzt ist Arla unter eigener Marke mit 200-Milliliter-Kleinverpackungen stabil in China präsent, liefert mehr als 200 Millionen Kilogramm mit steigender Tendenz: „Es ist absehbar, dass wir in dieser Kategorie Marktführer in China werden“, kündigt Graff an. Das ist auch ein Standbein für Pronsfeld, wo kräftig in den Eifel-Standort investiert wird.
In Westafrika sowie anderen Entwicklungsländern ist Arla mit einem zweigleisigen Ansatz unterwegs. „Wir liefern nicht nur, sondern wir helfen vor allen Dingen mit Know-how um eine eigene Infrastruktur vor Ort aufzubauen“. Unterstützt wird beim Aufbau einer lokalen Molkerei-Infrastruktur zur Herstellung hochwertiger Milchprodukte und in das Training der Landwirte vor Ort.
Beispielsweise in Nigeria, wo die Landwirtschaft extrem kleinteilig strukturiert ist und nur zehn Prozent der einheimischen Nachfrage nach Milchprodukten decken kann. Dort entsteht derzeit in Zusammenarbeit mit der Regierung ein landwirtschaftlicher Milchbetrieb, wo die heimischen Bauern das Einmaleins zeitgemäßer Milchwirtschaft erlernen können. „Die bis jetzt erzeugten Qualitäten lassen sich nicht mit europäischen Standards vergleichen“, sagt Graff. „Wir helfen, eine eigene Landwirtschaft aufzubauen, die gute Lebensmittel liefert“.
Nur so sei man ein gern gesehener Partner, der auch seine eigenen Produkte nachhaltig auf dem Markt etablieren könne. „Von der Entwicklungshilfe bis zum Geschäft ist es ganz wichtig, dass man es mit den Menschen vor Ort gemeinsam macht.“
Der internationale Absatzmarkt wird für die Genossenschaft umso wichtiger, je mehr in Europa die Konzentration im Lebensmittelhandel fortschreitet. In Deutschland sind fast nur noch eine Handvoll großer Konzerne Abnehmer und Handelspartner. Ihnen gegenüber stehen mehr als 120 deutsche Molkereien. „Die Händler haben eine gigantische Stärke, deshalb ist das Preisniveau so niedrig“, erklärt Graff. „Auch deshalb geht es den Landwirten nicht gut. Deshalb müssen wir starke Marken haben, die beim Konsumenten beliebt sind und auch über Europa hinaus agieren, um dieser Zange zu entkommen.“ Mit der Strategie „Future 2026“ will man sich stärker entwickeln und weiter wachsen.
„Wir setzen die Standards“
Vor allem auch mit Themen, die gesellschaftlich stark diskutiert werden. Qualität, Gesundheit, Tierwohl und Klima sind Beispiele dafür. „Wir bieten eine Reihe von Audits und Programmen, die auch im Milchgeld dargestellt werden, damit die Landwirte mitmachen“, sagt Graff. „Wir sind Frontrunner und setzen die Standards“. Seit Jahren produzieren die Genossen bereits Milch aus gentechnikfreier Fütterung. „Wir können ein hohes Niveau in den Betrieben abbilden, da kann eigentlich auch der Verbraucher nicht vorbei, wenn er das kauft, was er fordert.“
Graff nennt Beispiele. „Beim Klimaschutz ist noch niemand so weit wie wir.“ Mit seinem noch jungen Klimacheck will Arla bis 2030 bereits 30 Prozent des CO2-Ausstoßes auf den Höfen reduzieren und bis 2050 Netto-Null-Emissionen bei der gesamten Herstellung erreichen. „Wir sind jetzt soweit, dass wir den Fußabdruck für jeden einzelnen Liter Milch belegen können“. Im weiteren Verlauf des Programms werden die einzelnen Betriebe gezielt optimiert. Derweil hat Arla im britischen Aylesbury die erste CO2-freie Molkerei in Betrieb genommen. „Das Thema Klimawandel ist aktueller denn je; wir sind dabei und haben entsprechende Antworten“, betont Graff.
Die Herausforderungen werden nicht weniger. Nach den Feiertagen folgen für den Aufsichtsrat Strategiegespräche unter anderem rund um das Thema Futter. Die Masse stammt ohnehin von den heimischen Höfen, aber beispielsweise Kraftfutter kaufen die Genossen in Teilen zu. „Nachhaltige Futtermittel“ heißt das Ziel in der europäischen Genossenschaft. Gesund, ökologisch, sozial und auch wirtschaftlich sollen die Zukäufe sein.
Beispielsweise bei Soja, das ökologisch zweifelhaft auch auf früheren Regenwald-Parzellen kultiviert wird. „Wir brauchen dort ja nicht aufzuforsten, wenn hinterher seitens der dortigen Verantwortlichen an anderer Stelle wieder abgeholzt wird“, kritisiert Graff. „Hier setzen wir auf Soja aus nachhaltigem Anbau, das von unabhängigen Stellen entsprechend zertifiziert ist.“ Grundsätzlich bleibt nach Ansicht des Landwirts aus Lammersdorf jedoch die allgemeine globale Problematik mit der Abholzung des Regenwaldes. „Ich habe die Antworten noch nicht“, gesteht der Simmerather offen ein.
So profitiert die Eifel
Was haben denn seine Nachbarn in der Eifel davon, wenn mit Manfred Graff ein Simmerather an den Schalthebeln einer globalen Molkereigenossenschaft sitzt? „Es wäre vermessen, wenn ich die Eifel bevorzugen würde“, gesteht er offen. „Ich bin nur einer der Stellvertreter für alle Arla-Bauern“. Aber Graff sieht es durchaus als einen Erfolg, dass erstmals aus dem Raum Deutschland, Belgien, Niederlande und Luxemburg ein Vertreter in diese Führungsebene vorgedrungen ist, die bislang von den starken skandinavischen Ländern dominiert war. „Das dokumentiert, dass wir Ein-Arla bis in die höchsten Gremien leben“. Und das werde auch dadurch dokumentiert, dass Entscheidungen sachgerecht getroffen würden.
„In unserer Region, in Pronsfeld, erfolgt mit 190 Millionen Euro die größte Einzelinvestition unserer Genossenschaft“, sagt Graff. Ein zweiter Trockenturm für Markenmilchpulver mit einer jährlichen Kapazität von 685 Millionen Kilogramm Milch geht Anfang 2022 in Betrieb. Pronsfeld gehört damit europaweit zu den drei größten Standorten der Molkereiwirtschaft, „ein top moderner Standort“, unterstreicht Graff. „Davon profitiert auch unsere ganze Region“.
Dagegen erteilt der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Idee einer 100-prozentigen Umstellung auf Bio-Betriebe eine Absage. „Die konventionellen Betriebe kommen der biologischen Produktion in vielen Punkten immer näher.“ Zum Bio-Hof sei es aber ein weiterer Schritt, der mit einem größeren Flächenbedarf und einer geringeren Milchleistung einhergehe. „Ob das der richtige Weg ist, eine wachsende Menschheit zu ernähren, wage ich zu bezweifeln“, sagt Graff und spricht von einem „gesunden Mix“ zwischen Bio und nachhaltigen, hochqualitativen Produkten, die auch der Standardbürger gut bezahlen kann.
Tierwohl und Nachhaltigkeit
Auf steigende Preise wird sich der Konsument einstellen müssen. „Damit genug Geld auf die Höfe kommt, die Landwirte in mehr Tierwohl und Nachhaltigkeit investieren und modernisieren können“, sagt Graff und gesteht: „Das aktuelle Milchpreisniveau reicht dazu noch nicht aus“.
Aktuell zahlt Arla um 40 Cent pro Kilogramm Milch an konventionelle Betriebe, für die Bio-Milch rund elf Cent mehr. „Auskömmlich ist das noch immer nicht“, sagt Graff. Aber man komme von durchschnittlich rund 36 Cent im vorigen und zirka 34 Cent im Jahr davor. „Wir brauchen noch einmal einen Schub von mehr als zehn Prozent“, so Graff – vorausgesetzt, die Kosten laufen nicht so weiter davon, wie es aktuell der Fall ist.
Das Milchgeld müsse nachhaltig sein, „sonst laufen die jungen Leute von den Höfen davon“, sagt Graff, „und sie haben recht, wenn man kein Geld mit seiner Arbeit im eigenen Betrieb verdienen kann“. Verständnis für die Abwanderung in andere Berufe mit geregelten Arbeitszeiten und einem anderen sozialen Status bringt der Aufsichtsrats-Vize durchaus auf. „Sie muss sich lohnen und man muss überzeugt sein von seiner Arbeit auf dem Hof, dann kommt es auch auf zehn oder 20 Arbeitsstunden mehr nicht mehr an.“