Von der Bühne ins Berufskolleg : „Das ist auch eine Variante von Showbiz“
Simmerath Robert Woitas war früher in den unterschiedlichsten Berufen auf den Kleinkunstbühnen der Bundesrepublik zu Hause. In der Zukunft will er als Erzieher arbeiten – und geht deswegen zurück ins Berufskolleg.
In einem kritischen Moment hinterfragt er, warum er sich bloß selbst in dieses Gefängnis eingeliefert hat. Es liegt nicht an den Lehrern, die alle jünger sind als er. Es liegt an den Zwängen in diesem Klassenraum, in dem er seit August vergangenen Jahres mit einigen Unterbrechungen sitzt. Fünf Tage die Woche, sechs bis neun Stunden am Tag. Als einziger Mann. Als „Schul-Methusalem“, wie er sich selbst augenzwinkernd bezeichnet.
Robert Woitas ist 55 Jahre alt und weiß, dass er die wichtigsten Dinge des Lebens im direkten Kontakt mit der Natur gelernt hat – trotzdem geht er jetzt in die Schule. Woitas möchte Erzieher werden und besucht deshalb das Berufskolleg Simmerath. Er ist oder war bereits Varieté-Künstler, Comedian, Autor, Regisseur, Moderator, Heilpraktiker und schließlich Natur- und Wildnispädagoge. Er ist ein nachdenklicher, grundsätzlich stiller Mensch.
Aus einer literarischen Perspektive betrachtet, sei seine derzeitige Situation „ein guter Witz“, sagt Woitas. Mit einem Scherz, der nicht ankommt, beginnt er im vergangenen Jahr spontan seine Ausbildung in Simmerath. Ob das Gebäude früher belgischen Soldaten als Kaserne gedient habe, fragt Woitas die Schulsekretärin bei seiner Anmeldung. Die kann darüber nicht lachen. Die Strenge der Architektur verliert auch für Woitas mit der Zeit ihren Schrecken. Er beachtet sie nicht weiter. Seine Mitschüler begegnen ihm zunächst respektvoll und grüßen, weil sie ihn für einen Lehrer halten. Das ändert sich, als sich herumspricht, dass auch der „alte Mann“ die Schulbank drückt. „Die Situation ist definitiv ein bisschen merkwürdig“, sagt Woitas und grinst. Trotz allem ist er ein leidenschaftlicher Schüler, der für seine Sache brennt.
Bei den obligatorischen Praktika begegnet er mancherlei Skepsis, überzeugt Kollegen und Vorgesetzte aber schnell. Denn Kinder mögen ihn – das ist das Entscheidende. Tatsächlich sei es nur eine „Variante von Showbiz“, sich vor Kinder zu stellen, sagt Woitas. „Kinder sind ein enorm kritisches Publikum. Sie fühlen, ob du authentisch bist. Sie wollen ernst genommen werden, wollen Fairness und Freiheit erleben.“
Robert Woitas kommt auch mit den komplizierteren Jungs zurecht. Weil er selbst als Kind rotzfrech war, wie er meint. Und, weil er unterhaltsam und lustig ist. Bei seiner Vita ist das auch kein Wunder. Woitas wächst in Westberlin auf und kommt als Student zufällig mit einem Aktionstheater in Kontakt. Macht bei denen mit. Sie gewinnen Preise.
Zu dieser Zeit hat er sich schon einen Namen in der Super-8-Filmszene gemacht, er schreibt Drehbücher und arbeitet als Regisseur für kleine Independent-Produktionen. Freunde von ihm gründen derweil das später berühmte Chamäleon-Varieté in Berlin. Woitas selbst steigt Anfang der 1990er Jahre mit ein und entwickelt gemeinsam mit einem alten Schulfreund „Die legendäre-Edgar-Allan-Schulze-Lehmann-Show“, die sich in der Hauptstadt schnell zum Kult entwickelt.
„Die Leute haben gestanden, weil sie im Sitzen nicht mehr lachen konnten.“ Woitas und sein Bühnenpartner gelten seinerzeit als die „Monty Python von Schöneberg“ und werden hierzulande zu Wegbereitern des Schwarzen Humors. Szenegröße Lilo Wanders wird auf ihn aufmerksam und fördert ihn. Woitas wird Hausmoderator des Schmidt-Theaters in Hamburg und arbeitet dort fast zehn Jahre lang. Er ist von Anfang an bei Thomas Herrmanns dabei, tritt regelmäßig im „Quatsch Comedy Club“ auf. „Ich war viel auf Tour. Das war aus heutiger Perspektive so etwas wie bezahlter Urlaub.“
Das Leben in der Stadt macht ihn auf Dauer allerdings nicht glücklich. „Auf Showbiz hatte ich um die Jahrtausendwende einfach keine Lust mehr.“ Woitas bleibt dennoch zunächst in Berlin, wo er eine Ausbildung zum Heilpraktiker macht und bis 2008 auch fünf Jahre in diesem Beruf praktiziert. „Irgendwann war mir aber alles zu viel. Ich arbeitete nur noch, bekam keine Jahreszeiten mehr mit, hörte keine Vögel mehr zwitschern. Ich wurde mir selbst fremd. Schon als Kind, als kleiner Junge, liebte ich die Natur. Ich war immer draußen. In allen Lebensaltern. Diese Liebe ist mir geblieben.“
Der Comedian setzt endlich um, was er sich schon im Alter von 18 Jahren vorgenommen hatte: Er geht aufs Land, zieht zu Freunden in den Teutoburger Wald und absolviert dort an der Natur- und Wildnisschule Teutoburger Wald eine pädagogische Ausbildung. Immer wieder erliegt er zwar zwischendurch dem Lockruf jener Bretter, „die die Welt bedeuten“. Für Roncalli moderiert er ein halbes Jahr in München und vier Monate in Hamburg die „Witzigmann-Roncalli-Bajazzo“-Dinnershow. Doch Woitas ist im Herzen längst ein Mann der Provinz. Das ist ihm inzwischen bewusst.
Von Köln aus, wo er zwischenzeitlich mit seiner Frau wohnt, zieht es ihn schließlich in die Eifel nach Heimbach. Im Jugendwaldheim in Urft sammelt Woitas erste Erfahrungen als Natur-und Wildnispädagoge. Er arbeitet in Urft und bei anderen erlebnispädagogischen Anbietern. Er professionalisiert sich mehr und mehr. Dann bewirbt er sich bei der „Villa Vida“, einer pädagogischen Einrichtung der Malteser in Nideggen.
Dort würde man ihn sofort nehmen, macht ihm aber schnell klar, dass er ohne staatlich anerkannten Abschluss als Erzieher oder studierter Sozialpädagoge keine Aussicht auf einen festen Job hat. So schließt sich der Kreis. Er sucht und findet innerhalb von zehn Tagen eine Schule, die ihm passt. Und seine Eltern scherzen neuerdings, unser Sohn macht nun „endlich etwas Solides, etwas mit Zukunft“.
Doch Woitas lässt sich davon nicht beirren – ebenso wenig wie vom schlechten Image der sozialen Berufe. „Im Grunde ist die Ausbildung in Simmerath mit einem Bachelor-Studium vergleichbar. Wir werden da sehr gefordert. Das macht Spaß und spornt an.“
Auf der Gartenmesse IGA organisiert er in Berlin für Interessierte Survivalkurse und ist „nebenbei“ Projektleiter für das „Schlaraffenland der Wortkultur“ – literarische Lesungen in einer romantischen Nische auf dem Gartengelände. Im Jugendwaldheim Urft bietet er unterdessen zusammen mit einer Kollegin aus der Natur- und Wildnisschule Ferienfreizeiten und Eltern-Kind-Wochenenden an.
Seine berufliche Vergangenheit vermisst Woitas nicht. „Ich bin nicht traurig. Im Gegenteil!“ Anfang des Jahres hat er die letzten Auftritte absolviert. In seiner freien Zeit arbeitet er bisweilen noch als Regisseur oder schreibt Soloprogramme für bekannte Magier, etwa den deutschen Meister der Zauberkunst. Doch das Ziel ist klar: Der 55-Jährige will 2020 sein Anerkennungsjahr in der Kinder- und Jugendarbeit absolvieren und anschließend womöglich noch ein sozialpädagogisches Fernstudium draufsetzen.