Lockdown-Verlierer im Handel : „Das ist einfach nur ungerecht“
Simmerath/Roetgen Die Pandemie bringt Gewinner und Verlierer hervor. Zu letzteren zählen gastronomische Betriebe sowie Teile des Handels. Wie Michael Haas und sein Modegeschäft in Simmerath und Thermen-Betreiber Stamos Papas aus Roetgen.
Michael Haas steht im Schaufenster seines Geschäfts für Herrenmode in Simmerath und zupft das Hemd an einer Puppe zurecht. Das Telefon klingelt. „Nein, sie können nur mit einem aktuellen Testergebnis einkaufen“, antwortet der Kaufmann auf die Frage eines Kunden. „Ja, tut mir auch leid!“ Es ist nicht der erste Anruf dieser Art am Dienstag. Während die Supermärkte im nicht weit entfernten Gewerbegebiet schon zur Mittagsstunde gut gefüllt sind, herrscht in den beiden Haas-Geschäften an der Hauptstraße gähnende Leere. „Schauen sie sich doch um! Wo soll sich hier jemand anstecken?“
In Berlin hat das Kabinett gerade den Weg für die sogenannte „Bundesnotbremse“ freigemacht. Michael Haas, der auch Vorsitzender des Simmerather Gewerbevereins ist, verfolgt die Neuigkeiten mit Wut im Bauch. „Mein Vertrauen in die Politik ist in den vergangenen zwölf Monaten massiv geschwunden. Ich habe immer alles mitgetragen, habe alle Vorgaben beachtet. Und zum Dank müssen wir womöglich bald wieder schließen.“
Der Modehändler sieht sich und den „nicht systemrelevanten Einzelhandel“ ungerecht behandelt. „Mein Zorn rührt daher, dass man uns ohne sachliche Begründung so hart rannimmt. Selbst das Robert-Koch-Institut hat festgestellt, dass der Handel kein Treiber der Pandemie ist. Und ausgerechnet die, die den wenigsten Kundenverkehr haben, müssen dann schließen. Ein Wahnsinn!“
Dem Händler klingen noch die Worte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in den Ohren: „Mit dem Wissen von heute würde der Staat keinen Einzelhandel mehr schließen.“ Diesen Satz sagte der CDU-Politiker Anfang September. Dreieinhalb Monate später musste Michael Haas sein Geschäft erneut schließen. Erst am 7. März durfte der Simmerather wieder Kunden bedienen – per „Click and meet“ gegen Terminvergabe. „Das hat gut funktioniert, das war eine saubere Sache. Die Kunden haben das gut angenommen.“ Als dann nach drei Wochen die Testpflicht dazukam, sei der Umsatz um Dreiviertel eingebrochen. „Weil die Menschen einfach keine Lust haben, sich zum Shoppen testen zu lassen. Denn das hat auch etwas mit Spontanität und Spaß zu tun. Unter diesen Umständen könnten wir eigentlich gleich schließen – wirtschaftlich ist das sinnlos. Wir machen das nur, um für unsere Stammkunden da zu sein und Flagge zu zeigen.“
Frust und Probleme
Der Modehändler hat ein dickes Problem: Die Sommer- und Frühjahrskollektion, die aktuell in seinem Geschäft zum Verkauf angeboten wird, hat er aufgrund des langen Produktionsvorlaufs in der Branche vor fast einem Jahr bestellt. „Damals konnten wir noch nicht vorhersehen, dass 2021 noch deutlich verheerender ausfallen würde als das erste Pandemiejahr.“ Hinzu kommt, dass auch seine Ware ein Verfallsdatum trägt – denn spätestens im Herbst muss alles raus sein. „Wenn es so weitergeht, dann verhagelt uns Corona auch den zweiten Saisonausverkauf in diesem Jahr.“
Da schmerzt es den Mittelständler besonders, dass große Discounter- und Supermarktketten Bekleidung ohne Beschränkung anbieten können. Auch der Trend zur Zentralisierung, der mit der bundeseinheitlichen Notbremse vorangetrieben wird, ärgert Michael Haas. „Ich finde es ungerecht, dass nicht viel mehr regional differenziert wird. Wenn vom Modehandel die Rede ist, haben viele Politiker nur die Schildergasse in Köln und Menschenmengen in Fußgängerzonen vor Augen. Hier in der Eifel haben wir Platz! Warum kann man da keine Ausnahme machen?“ Die zuletzt vorgeschriebenen 40 Quadratmeter Einkaufsfläche pro Kunde habe man „locker einhalten können. So ist das einfach nur noch frustrierend.“ Seinen Schaden kann und will der Einzelhändler nicht genau beziffern.
Stamos Papas hingegen lässt bei der Frage nach den Verlusten die vornehme Zurückhaltung fallen. Während Michael Haas in Simmerath das Treiben vor seinem Schaufenster verfolgt, ist der Inhaber der Roetgen Therme auf seinem regelmäßigen Kontrollgang. „Locker sechsstellig!“, sagt der 70-Jährige auf die Frage nach den Verlusten.
Seine Belegschaft hat der erfahrende Unternehmer ähnlich wie Michael Haas schon lange in Kurzarbeit geschickt. Nur die Buchhalterin und seine Auszubildenden sind davon nicht betroffen. Während ein Ende des Lockdowns nicht absehbar ist, laufen die Kosten des Sauna- und Hotelbetriebs munter weiter. So muss das Wasser im Außenpool auch bei winterlichen Temperaturen auf mindestens 26 Grad erwärmt werden, weil bei zu großen Temperaturschwankungen Schäden am Mauerwerk drohen.
Papas will nicht klagen, sagt er. Die Verluste kann er derzeit noch aus seinen Betriebsrücklagen decken. „Wir sind 40 Jahre am Markt, da geht so etwas. Viel schlimmer sieht es für die kleinen gastronomischen Betriebe in der Eifel aus. Und auch unseren Mitarbeitern kann es bei einem auf 60 Prozent des eigentlichen Nettolohns geschrumpften Einkommen nicht gut gehen“, sagt Papas. Zumal gerade in der Gastronomie das Trinkgeld einen nicht unerheblichen Teil des Lohns ausmache - „und diesen Verlust ersetzt meinen Leuten niemand“.
Wut empfinde er angesichts der aktuellen Situation aber nicht. „Wenn, dann müsste ich auf das Virus wütend sein. Die Politik tut letztlich, was sie kann.“ Auf die vom Kabinett beschlossene Bundesnotbremse angesprochen, wird aber auch Stamos Papas deutlich. „Zentralismus war noch nie eine gute Idee. Ich glaube daran, dass die Entscheidungsträger vor Ort am besten wissen, was zu tun ist.“ Aber das sei Politik und damit nicht sein Metier, sagt der Unternehmer und winkt ab.
Erst vor zwei Wochen war er mit einem Vorstoß bei der Städteregion gescheitert, die Thermen für Getestete wieder zu öffnen. Denn auch die Saunabetriebe in Deutschland nehmen für sich in Anspruch, kein Treiber der Pandemie zu sein. „Im Zeitraum zwischen dem Ende des ersten Lockdowns und dem Beginn des zweiten hat es bei 21 Millionen Saunabesuchern in Deutschland keinen einzigen Corona-Fall gegeben. Auch wir waren zu 100 Prozent virusfrei!“ So wollte Papas mit einer eigenen Teststation eine Wiederöffnung in Angriff nehmen. Die Corona-Schutzverordnung gibt dies aber nach Ansicht der Städteregion nicht her. Trotzdem gibt Papas die Hoffnung auf eine baldige Öffnung nicht auf. Das „Tübinger Modell“ findet er sinnvoll, solange es messbare Kriterien gebe. „Wenn es soweit ist, dann können wir am nächsten Tag wieder öffnen!“
Nicht nur dem Roetgener Saunabetreiber schwant, dass dies derzeit wohl Wunschdenken bleibt. Auch Michael Haas rechnet für die kommenden Wochen, wenn nicht gar Monate mit dem Schlimmsten. „Grundsätzlich bin ich nicht gegen den Lockdown – im Gegenteil. Ich sehe nicht, wie wir sonst in absehbarer Zeit auf bessere Zahlen kommen. Aber dann müssen sich auch alle beteiligen. Dann darf es nicht auf dem Rücken weniger ausgetragen werden“, sagt der Händler. „Wenn nicht alle Bereiche Opfer bringen, wird es ohnehin nichts bringen. Ich verstehe es einfach nicht mehr.“
Gedanken macht sich der Vorsitzende des Gewerbevereins auch um den Standort Simmerath. „Positiv stimmt mich die Solidarität der Eifeler Kunden, die uns zuletzt immer unterstützt haben, sobald wir öffnen durften. Die hatten richtig Lust, vor Ort im Laden zu kaufen; die lassen uns nicht im Stich.“ Dennoch sei diese Krise nur mit einem gesunden, möglichst etablierten Betrieb zu meistern. „Ganz bitter wird das für diejenigen, bei denen es schon vorher vielleicht nicht so ganz rund lief, oder die ein Geschäft gegründet haben.“