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Hochwasser: Auch Belgien verweist auf den Staatsvertrag von 1956

Hochwasser : Auch Belgien verweist auf den Staatsvertrag von 1956

Die Wallonie zieht Konsequenzen aus der Flutkatastrophe im Juli 2021. Talsperren werden anders bewirtschaftet. Aber bei der Weserumleitung verweist auch Belgien auf den Staatsvertrag von 1956.

63 Projekte weist der Wasserverband Eifel-Rur in seinem Masterplan zum Hochwasserschutz auf deutscher Seite im Einzugsgebiet der Rur aus. Hinzu kommen diverse Forschungsprojekte in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Kommune. Die „Stärkung der Krisensicherheit in der Grenzregion Niederlande, Belgien, Deutschland im Hinblick auf den dringenden Bedarf an zukunftsfähigem Hochwasserschutz und Minderung von Hochwasserrisiken“ wird im InterReg-Forschungsvorhaben „EM Floodresilience“ mit einem Budget von 5,1 Millionen Euro untersucht. Vier Projektpartner stammen aus Belgien, wo das Hochwasser unter anderem entlang der Vesdre – allein in ihrem Verlauf mit mehr als 20 Toten – noch schlimmer gewütet hat als im Tal der Vicht.

Aber an der Weser, wie die Vesdre hier genannt wird, wollen weder belgische noch deutsche Behörden rütteln. Allenfalls mal über das zukünftige Schicksal des 69,7 Kilometer langen Baches sprechen will man. Während viele Menschen im Vichtbachtal der Weser einen spürbaren Einfluss auf Hochwassersituationen beimessen, sprechen die Behörden von einem nur minimalen Einfluss.

„Der Anteil des Wassers aus dem Einzugsgebiet der Oberweser, der in die Vicht umgeleitet wird, ist sehr gering“, sagt Sarah Pierre auf Anfrage unserer Zeitung. Die Pressesprecherin für Mobilität und Infrastruktur bei der Wallonischen Regierung in Namur beruft sich dabei auf den Wasserverband Eifel-Rur: „Der WVER schätzt zudem, dass der Eintrag der Weser in die Vicht in Bezug auf die Abflussmenge sehr gering ist.“

Pierre sagt in Namur aber auch etwas, was der WVER hier vor Ort immer betont: Der deutsch-belgische Staatsvertrag anno 1956 regelt den Verlauf der Weser so, dass da heute keiner mehr dran rütteln möchte. „Wenn dann muss der Austausch auf politischer Ebene geregelt werden“, betonte auch Verbandsvorsitzender Joachim Reichert bei seiner Präsentation im Mai 2022 in Roetgen. „Auf wasserwirtschaftlicher Ebene werden keine Durchsetzungsmöglichkeiten gesehen“ – selbst wenn Veränderungen von Vorteil für das Einzugsgebiet der Vicht gäbe.

 Durch den Stollen an der Roetgener Mühlenstraße fließt das verbliebene Wasser der Weser auf deutscher Seite dem Grölisbach zu, der in die Vicht mündet.
Durch den Stollen an der Roetgener Mühlenstraße fließt das verbliebene Wasser der Weser auf deutscher Seite dem Grölisbach zu, der in die Vicht mündet. Foto: Jürgen Lange

Der deutsch-belgische Grenzvertrag vom 24. September 1956 regelte nicht nur den heute noch gültigen Verlauf der Staatsgrenze, Grundstücksfragen und Eisenbahnlinien, sondern in Artikel 7 auch das Schicksal der Weser.

„Die Umleitung der Weser vor ihrem Durchgang durch Deutschland ist in dem Vertrag festgelegt, um eine Verschmutzungsgefahr für das Becken der Wesertalsperre in Eupen als ein sehr wichtiges Trinkwasserreservoir in der Wallonie zu vermeiden“, erklärt Sarah Pierre. Die belgische Trinkwasserversorgung befürchtete, dass die nahe Konzen im belgischen Venn entspringende Weser durch frühere Industrie in Roetgen verunreinigt werden könnte. Südwestlich von Fringshaus wird der Bach deshalb in einem 2,5 Kilometer langen Graben an Deutschland vorbeigeleitet und über den Steinbach direkt der Wesertalsperre zugeführt. Restwasser der Weser wird gefangen und an der Roetgener Mühlenstraße durch einen Stollen dem Grölisbach zugeführt, der wiederum unterhalb der Dreilägerbachtalsperre der Vicht zufließt. Kontinuierliche und belegbare Pegelmessungen gibt es nicht, berichtet zumindest der Heimat- und Geschichtsverein Roetgen.

Auf fachlicher Ebene vertritt der WVER jedenfalls die Auffasung, „dass eine andere Aufteilung des Weserbachzuflusses zu massiven wasserwirtschaftlichen Nachteilen bei Trink- und Hochwasserschutz auf belgischer Seite führen würde, die nur mit hohen technischen Maßnahmen aufzufangen wären“. Eine Rückführung der Weserbachumleitung gilt als nicht machbar – beidseits der Grenze.

Aber bei einem Besuch an den Talsperren Weser und Gileppe hat der Präsident des wallonischen Regionalparlamentes, André Frédéric, erklärt, dass die Empfehlungen des wallonischen Untersuchungsausschusses zur Flutkatastrophe erste Früchte tragen würden. 70 Prozent von 30 Maßnahmen seien in der Umsetzung.

 Ein Jahr nach der Katastrophe plätschert die Weser wieder friedlich der Ourthe kurz vor ihrer Mündung in die Maas in Lüttich zu.
Ein Jahr nach der Katastrophe plätschert die Weser wieder friedlich der Ourthe kurz vor ihrer Mündung in die Maas in Lüttich zu. Foto: Patrick Outers

Wichtigster Baustein ist offensichtlich, dass die Staureserve der beiden Eupener Talsperren Gileppe und Weser nahezu verdoppelt wurden: im Detail von 2,8 auf 6,0 Millionen Kubikmeter. Sarah Pierre sagt: „Konkret haben wir den Seespiegel gesenkt und gleichzeitig die Trinkwasserversorgung in zwei aufeinanderfolgenden Dürrejahren sichergestellt.“ Somit sei aber mehr Platz geschaffen worden, um das Regenwasser auffangen zu können. Die mit Unterbrechungen von 1936 bis 1950 gebaute Wesertalsperre verfügt über einen Stauraum von insgesamt 25 Millionen Kubikmetern. Nach ihrer Aufstockung von 1967 bis 1971 verfügt die 1867-78 errichtete Gileppe-Talsperre über ein Volumen von 26,5 Millionen Kubikmetern.

Damit bieten auch diese beiden Talsperren ein Vielfaches des Potenzials der Dreilägerbachtalsperre mit ihren 3,6 Millionen Kubikmetern Volumen. Als entscheidender Bestandteil der regionalen Trinkwasserversorgung wird es von der betreibenden WAG strikt abgelehnt, Volumen zugunsten des Hochwasserschutzes bereitzustellen. Das sieht der von der Bezirksregierung vorgegebene Betriebsplan nicht vor, weil dadurch die Trinkwasserversorgung gefährdet wäre. Die Dreilägerbachtalsperre ist zwar über ein Rohrleitungsnetz mit Kalltalsperre und Obersee der Rur verbunden, muss aber auch für die Sicherstellung der Versorgung des Perlenbachverbandes aufkommen. Die nur 800.000 Kubikmeter große Perlenbachtalsperre kann die nach der Konzeptionierung deutlich gestiegene Anzahl von Kunden nicht mehr sicher in Trockenzeiten versorgen.

Aber im Rahmen des Masterplans wird geprüft, ob das Vorbecken der Dreilägerbachtalsperre erweitert werden kann und sollte. Das könnte nicht nur dem Hochwasserschutz dienen, sondern zugleich die Qualität des Trinkwassers sichern.

In der Wallonie hat man zudem organisatorische Maßnahmen zur Vorsorge getroffen: „Die Anzahl der Wachingenieure in der Entscheidungszentrale wurde verdoppelt, um besser für einen Krisenfall gewappnet sein zu können“, sagt Sarah Pierre. Und die Abstimmung zwischen Experten und regionalen Krisenzentren seien verbessert worden.