Nach Wahlniederlage : Ab Mitternacht sitzt Stefan Kämmerling wieder im Landtag
Städteregion „Ich freue mich“, sagt Stefan Kämmerling. Punkt 0 Uhr an diesem Samstag wird der SPD-Politiker nach rund neun Monaten Abstinenz wieder dem Landtag angehören.
Erst spät in der Nacht des Wahlabends im Mai letzten Jahres steht fest, dass Stefan Kämmerling nach zehn Jahren dem Landtag nicht mehr angehören wird. 2010 hatte der Sozialdemokrat aus Eschweiler erstmals kandidiert, aber dem CDU-Granden Axel Wirtz noch nicht den Wahlbezirk im Südkreis der Städteregion streitig machen können. 2012 zog Kämmerling ihn direkt und verteidigte seitdem stets den Stolberg, Eschweiler sowie die Nordeifel umfassenden Bezirk – und machte Karriere in seiner Landtagsfraktion.
Bis zum besagten 15. Mai 2022, als der für die CDU kandidierende Newcomer Daniel Scheen-Pauls aus Strauch mit 964 Stimmen Vorsprung das Direktmandat gewinnt. Noch eine Chance hat an dem Tag der Mitbewerber aus Eschweiler. Mit Platz 15 ist der kommunalpolitische Sprecher seiner Fraktion eigentlich gut auf der Landesliste der SPD abgesichert. Aber sie zieht nur bis Rang 14. Kämmerling bleibt im Mai draußen. Ein harte Entscheidung der Wähler für den heute 46-Jährigen, mit der selbst Beobachter nicht gerechnet hatten.
„Normalfall der Demokratie“
„Es war ein Normalfall in der Demokratie“, sagt Kämmerling heute. „Politische Karrieren sind nicht planbar, und ich habe nicht darauf geplant“. Aber Kämmerling gesteht auch ein: „Es war kein schöner Abend für mich“. Der profilierte Sozialdemokrat hegt keinen Groll beim Blick zurück, goutiert hier vor Ort einen „sauberen und fairen Wahlkampf“. Bei dem sich abzeichnenden Ergebnis hat er noch vor Feststehen des Ergebnisses „meine Niederlage eingestanden und dem Wahlgewinner gratuliert“. So ist der Gang der Dinge in einer Demokratie.
Sie ermöglicht aber auch das Comeback in Düsseldorf für den Mann, der seit 2004 ununterbrochen dem Stadtrat seiner Heimatstadt Eschweiler angehört. Scheidet ein Mitglied seiner Fraktion auf dem Landtag aus, ist als nächster auf der Reserveliste der erste Folgende, der gefragt wird, ob er in den Landtag einziehen will. Das will der gelernte Bankkaufmann und Sparkassenfachwirt, der seit Oktober als Geschäftsführer der Landes-SPD arbeitet. Denn Ibrahim Yetim, SPD-Abgeordneter aus dem Wahlreis Moers/Neukirchen-Vluyn, legt mit Wirkung von Freitag um Mitternacht sein Landtagsmandat nieder, um die Geschäftsführung der neuen „Urbane Zukunft Ruhr GmbH“ mit Sitz in Duisburg zu übernehmen.
Platz 261 in der Hinterbank
Eine Sekunde später wird Stefan Kämmerling wieder Abgeordneter sein. Bei der nächsten Sitzung des Landtages wird er dann verpflichtet. Seinen neuen Sitz im Plenum bekommt der Eschweiler am diesem Mittwochnachmittag zugewiesen: Platz 261 liegt in der letzten Reihe – die Hinterbank. Sie dürfte nach den Anfangstagen des Sozialdemokraten in Düsseldorf ein ungewohnter Platz sein. Kämmerling hatte sich in der vergangenen Legislaturperiode profiliert als einer der führenden Kräfte seiner Fraktion. Als kommunalpolitischer Sprecher macht er sich insbesondere im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur Hochwasserkatastrophe landesweit einen Namen – als Chefankläger der Opposition.
„Ein PUA ist das schärfste Schwert des Parlaments“, bilanziert Kämmerling. Und damit ist die Sprecherrolle der Opposition zugleich ihre wichtigste Waffe. Diese hat Stefan Kämmerling geschwungen wie ein Samuraischwert. „Hätten wir das nicht getan, wäre jetzt nicht so viel in Bewegung“, sagt der zurückkehrende Parlamentarier rückblickend und vorausschauend auf Veränderungen im Katastrophenschutz. „Die Landesregierung hat gemauert und mauert immer noch“, sagt der Abgeordnete, dessen eigenes Wahlkreisbüro an der Uferstraße im Juli 2021 in den Fluten versank.
Chefankläger im Landtag
Diese Rolle als Chefankläger ist in der vergangenen Legislaturperiode ein Schwerpunkt seiner Arbeit als Abgeordneter. Der andere gilt wie in den Jahren zuvor den Menschen im Wahlkreis. Ihnen mit ihren kleinen und großen Anliegen zu helfen, ist stets eine Herzensangelegenheit des bodenständigen Politikers geblieben. Diese Unterstützung erfahren zuletzt insbesondere die vielen von der Flutkatastrophe betroffenen Menschen.
Ihnen helfen und sich all den mehr oder minder wichtigen Aufgaben im Südkreis stellen will sich Stefan Kämmerling, sobald er arbeitsfähig in den Landtag zurückgekehrt ist. Seine zuvor wichtigen Rollen in seiner Fraktion als Strukturwandelbeauftragter für das Rheinische Revier, als kommunalpolitischer Sprecher und als Chefankläger im PUA Hochwasserkatastrophe haben mittlerweile andere Genossinnen und Genossen übernommen. „Sie machen ihre Sache gut, ich strebe diese Positionen nicht an“, sagt Kämmerling: „Ich war immer Wahlkreisabgeordneter und werde es wieder sein“.
In welchen Gremien des Landtages und der SPD-Fraktion Stefan Kämmerling zukünftig arbeiten wird, weiß er zum Zeitpunkt unseres Gespräches noch nicht. Er lässt die Herausforderungen auf sich zukommen, als braver Parteisoldat und als Diener der Wählerschaft.
Weiter Landesgeschäftsführer
Stefan Kämmerling strahlt eine gehörige Portion Bescheidenheit aus. Gleichwohl darf er zuversichtlich sein, zu den führenden sozialdemokratischen Politikern im Land zu zählen. Nicht ohne Grund hat seine Partei ihn gut vor einem Jahr auf einen aussichtsreichen Listenplatz gesetzt. Nicht ohne Grund hat ihn Nordrhein-Westfalens SPD-Chef Thomas Kutschaty zum Landesgeschäftsführer seiner Partei berufen. Seit Oktober füllt Stefan Kämmerling diese zuvor vakante, mehr organisatorische Aufgabe in der NRW-SPD aus – und wird dieses Parteiamt auch nach Einzug in den Landtag weiter fortführen.
„Mit der Übernahme dieser Aufgabe habe ich meinen anderen Ämter in der Partei niedergelegt, weil sie nicht kompatibel sind“, sagt Stefan Kämmerling. Aus dem Präsidium der Landes-SPD ist er ebenso ausgeschieden wie aus dem Vorstand des Bezirks Mittelrhein. Die gewählten Parteivorstände geben inhaltlich vor, was das Team des Landesgeschäftsführers logistisch umzusetzen hat. „Die gewählten Parteimitglieder bestimmen die Themen, die die PS sind, die wir auf die Straße zu bringen haben“, beschreibt der 46-Jährige seine Rolle als Geschäftsführer.
Für den zurückkehrenden Landtagspolitiker ist die Rolle als Geschäftsführer eine erfüllende Aufgabe. „Sie bereichert mich“, analysiert der Eschweiler. Zu den Erfahrungen aus 20 Jahren als Bankkaufmann gesellen sich zehn Jahre aus dem Landtag und 20 Jahre aus der kommunalpolitischen Praxis und nunmehr die Aufgaben aus Organisation, Personalverantwortung, Führung und Marketing hinzu. Seine Erfahrungen mit professionellen Kampagnen werden sicherlich zukünftig auch in den Wahlkreis ausstrahlen.
Analyse für Landesparteitag
Aktuell arbeitet das Team um Stefan Kämmerling eine Analyse des jüngsten Wahlergebnisses aus. Im Mai wird sie dem Landesparteitag zur Diskussion vorgelegt. Was sagt die Analyse zu seinem Wahlkreis aus?
Nur so viel verrät der Landesgeschäftsführer: Im landesweiten Trend Landesweit lag die CDU neun Punkte vor der SPD; im Wahlkreis rangierte Kämmerling bei den Erststimmen 1,62 Prozent hinten. Vor Ort hinzugekommen ist eine niedrigere Wahlbeteiligung in Eschweiler und Stolberg sowie eine höhere in den drei Kommunen der Nordeifel – begünstigt durch die Bürgermeisterwahl in Monschau und das Bürgervotum zur Windkraft in Roetgen.
Mit anderen Worten sind im sozialdemokratischen Stammland Eschweiler weniger potenzielle Kämmerling-Wähler an die Urnen gegangen ebenso wie in Stolberg, wo erfahrungsgemäß der Wahlbezirk entschieden wird, während in der ehemals „schwarzen Eifel“ der Kandidat aus der Nachbarschaft punkten konnten. Dennoch holte Scheen-Pauls weniger Erst- als Zweitstimmen. Eigentliche Gewinner sind überall die Grünen.
Der Wahlgang ist Geschichte. Der Sozialdemokrat sieht in dem einstigen christdemokratischen Kontrahenten ebenso wie in dem über die Landesliste gewählten FDP-Abgeordeneten Werner Pfeil nun eher Mitstreiter als Gegner in dem Ziel, möglichst viel für die Menschen in Monschau, Roetgen und Simmerath sowie Stolberg und Eschweiler bewegen zu können.
„Ein Servicedienstleister“
Stefan Kämmerling kann dabei auf sein seit Jahren geknüpftes Netzwerk zurückgreifen. Aber zunächst steht für den neuen Abgeordneten an, „erst wieder arbeitsfähig zu werden“. Die Landtagsverwaltung muss Büro und Kommunikationsmittel einrichten, der Abgeordnete neue Zuarbeiter finden. Sobald das Büro Kämmerling in Düsseldorf wieder läuft, will sich der Abgeordnete den Bürgermeisterinnen und den Bürgermeistern in seinen fünf Wahlkreiskommunen wieder anbieten „als Servicedienstleister“, so formuliert es Stefan Kämmerling: „Es ist wichtig, wenn ich zur Seite stehen und helfen kann“. Das gilt für den Abgeordneten erst recht für jeden einzelnen Bürger. „Ich freue mich, wieder im Landtag zu sein.“