1. Lokales
  2. Düren

Kind und Kommunalpolitk: Zwischen Vorlagen und voller Windel

Kind und Kommunalpolitk : Zwischen Vorlagen und voller Windel

Kristina Hensen-Reifgens (SPD) erscheint seit dem Sommer mit dem Kinderwagen bei den Merzenicher Ratssitzungen. Nach anfänglicher Verwunderung fällt das Echo sehr positiv aus.

Es ist kurz vor 18 Uhr, Kristina Hensen-Reifgens schiebt zügigen Schrittes den Kinderwagen in die Merzenicher Mehrzweckhalle. Immer pünktlich, immer präsent und seit dem Sommer immer mit ihrer Tochter. Sie parkt den Kinderwagen neben ihrem Tisch, zieht die Bremse fest. Ein kurzer Blick unters Verdeck: schläft. Alles klar. Räuspern durchs Mikrofon: „Meine sehr geehrten Damen und Herren ...“, Bürgermeister Georg Gelhausen (CDU) eröffnet die Sitzung.

Die SPD-Ratsfrau mit den langen roten Haaren wischt kurz auf ihrem Tablet durch die Vorlagen. Gelesen hat sie die in der Regel abends, wenn die Kinder schlafen, oder wenn ihr dreijähriger Sohn in der Kita ist und die Tochter Mittagsschlaf hält. „Klar muss man sich Zeit dafür freischaufeln“, erzählt sie während eines Besuchs bei ihr zu Hause. Vor allem, wenn Vorlagen wieder recht kurzfristig ins Ratsinformationssystem eingestellt worden sind, wie sie nebenbei bemängelt. In der Regel gelinge es ihr aber, sich rechtzeitig einen Überblick zu verschaffen. „Wenn man etwas will, schafft man das auch“, sagt die 38-Jährige.

Sie hat vor drei Jahren mit ihrem Mann und den Eltern (direkt nebenan) in Merzenich neu gebaut. Sie stammt aus Oberhausen, er aus Linnich. Sie arbeitet normalerweise in Bonn, er in Hückelhoven. Merzenich liegt quasi in der Mitte.

Kristina Hensen-Reifgens rutscht in der Ratssitzung etwas nervös auf dem Stuhl hin und her, wirft die Haare zurück, blättert durch ihre Notizen. Der Haushalt soll verabschiedet werden, die Tagesordnung ist mit 17 Punkten und Unterpunkten im öffentlichen Teil auch sonst recht stramm. Der Bürgermeister hat eingangs drei Stunden als maximale Dauer angekündigt. Mit Kind können auch drei Minuten schon mal eine Ewigkeit dauern.

Kristina Hensen-Reifgens zu Hause.
Kristina Hensen-Reifgens zu Hause. Foto: MHA/Verena Müller

Während ihres Studiums der Politik-, Kommunikations- und Medienwissenschaften war die gebürtige Oberhausenerin Referentin im Landtag. „Politik hat mich schon immer interessiert“, erzählt sie. Deshalb ist sie auch schon früh in die SPD eingetreten. Nach dem Studium war sie in Bonn beim Bundesinstitut für Berufsbildung angestellt, reiste viel. Danach wechselte sie innerhalb Bonns zum DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt).

Rückkehr in den Job

Im Job habe sie eher mehr gearbeitet, als sie hätte arbeiten müssen, erzählt sie. „In der Elternzeit nur Kaffeetrinken und Krabbelgruppen – das wäre mir zu wenig gewesen.“ Also kandidierte sie für den Gemeinderat und erhielt im ersten Anlauf ein Mandat.

Ein weiterer Beweggrund: „Um ein bisschen verwurzelter zu werden und zu wissen, was passiert, aber auch mitzugestalten, wollte ich in die Kommunalpolitik. Hier wird viel entschieden, was einen direkt betrifft“, sagt sie. Sie meint damit auch den Gegensatz zu ihrer Arbeit, wo sie zuletzt eine beratende Tätigkeit innehatte. Bis zur Rückkehr in den Job dauert es noch etwas. „Bei meinem Sohn bin ich zehn Monate zu Hause geblieben, jetzt geht meine Elternzeit bis Februar 2023.“ So könne sie mit beiden kleinen Kindern Zeit verbringen. Und sich intensiv mit den Entwicklungen in und um Merzenich auseinandersetzen.

„Es kann auch durchaus schwierig und stressig sein, alles unter einen Hut zu bekommen“, räumt sie ein. „Mal ist man müde und ausgelaugt, wenn die Nacht schlecht war, weil ein Kind oder beide nicht schlafen konnten. Oder die Kinder sind krank, oder die Kleine bekommt Zähne, dann ist sie schlecht drauf – Tag und Nacht“, listet die junge Mutter auf. Aber unter dem Strich lohne es sich, und sie habe das Gefühl, etwas Wichtiges für die Gemeinde zu tun.

Manche nehmen sich vielleicht auch besonders wichtig. Ein Ratsmitglied hält entgegen vorheriger Absprachen nun doch eine Haushaltsrede. Im Kinderwagen wird es unruhig. Hensen-Reifgens löst die Bremse und schiebt den Wagen auf der Stelle hin und her. Dann kann sie sich wieder dem Haushalt widmen. Neben Ausschuss- und Ratssitzungen besucht sie Fraktionssitzungen und die Sitzungen des Ortsverbands sowie des Schulverbands. An solchen Tagen ist ihr Mann immer besonders pünktlich zu Hause. Bei ihm lassen kann sie ihre Tochter noch nicht, erzählt sie. Im Gegensatz zum großen Bruder sei sie sehr auf die Mutter fixiert – und wird auch noch voll gestillt.

Den Saal verlassen

Inzwischen ist der Rat bei Tagesordnungspunkt 13 angelangt. Hensen-Reifgens hält die Tochter auf dem Schoß, spielt mit ihren Fingerchen. Bislang läuft es gut, aber es gab auch schon Sitzungen, in denen die 38-Jährige häufiger den Saal verlassen musste, weil die Kleine weinte. „Das ist dann halt so. Man muss auch ein bisschen locker bleiben“, findet sie. Anfangs sei sei von einzelnen Gremiumsmitgliedern komisch beäugt worden, aus ihrer Fraktion und vom Bürgermeister habe sie aber von Anfang an Unterstützung erhalten. Nach fünf Monaten ist es längst normal, wenn die Kleine sich meldet.

Tagesordnungspunkt 16: Mitteilungen der Verwaltung. Die Kleine teilt mit, dass sie langsam unruhig wird. Die Windel ist voll. Die Mutter geht mit ihr ins Foyer. Ein guter Schnitt, bevor gleich der nicht-öffentliche Teil anschließt.