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Interview mit Gabriele Gellings: Was sich Kulturschaffende wünschen

Interview mit Gabriele Gellings : Was sich Kulturschaffende wünschen

Kulturschaffende haben sich darum bemüht, trotz Corona ein abwechslungsreiches Programm auf die Beine zu stellen. Was ist für das Jahr 2022 in Düren geplant? Ein Ausblick, was Neues kommt und was beibehalten wird.

Stillstand, dann Lockerungen und immer wieder neue Rahmenbedingungen: Dürens Kulturschaffende haben sich im vergangenen Jahr mit vollem Einsatz darum bemüht, dennoch ein abwechslungsreiches Programm auf die Beine zu stellen – und auch durchzuziehen. Was sie sich für das neue Jahr wünschen, erzählt die Leiterin von Düren Kultur, Drs. Gabriele Gellings, im Interview mit Verena Müller:

Im August befand sich der Dürener Kulturbetrieb in Aufbruchstimmung. Wie haben Sie die Monate danach erlebt? 

Gabriele Gellings: Ich denke, die Sommerbühne hat uns sicher keine Windeier gelegt. Sie war eine große Übung fürs Teambuilding im Haus der Stadt, aber auch für die Künstler nach der langen Pause. Da gab es schon mal einen falschen Einsatz, aber alle waren unheimlich glücklich, dass endlich wieder etwas stattfinden konnte. Diese Energie des Aufschwungs hat sich auf den Rest der Saison übertragen. 

Hatte das Theater Schwierigkeiten wegen der im Winter eingeführten Nachweispflicht von 3G und später 2G?

Gellings: In dem Punkt muss ich sagen, liegt es nicht immer an den Theatern, wenn nicht gespielt werden kann. Eine Hauptdarstellerin eines Ensembles war nicht geimpft und konnte deshalb nicht auftreten, ein Darsteller ebenfalls nicht. Aus Überzeugung wollte er sich nicht impfen lassen. Und es gab keine zweite Besetzung...

Wie sind Sie allgemein mit den sich ändernden Rahmenbedingungen umgegangen? 

Gellings: Wir befinden uns in einem beweglichen Umfeld, wie an einem Schießstand auf der Kirmes. Man muss immer neu fokussieren. Wir haben immer gesagt, dass wir so sicher wie möglich sein wollen und haben die Plätze früh um die Hälfte reduziert. Das ist inzwischen überall Standard. 

Und wie geht das Publikum mit den ständigen Neuerungen um?

Gellings: Sehr gut. Als 2G eingeführt wurde, stand ein Konzert der Cappella Villa Duria als nächstes auf dem Programm. Ich hatte wirklich Sorge, dass die neue 2G-Regel die Besucher kalt erwischt, deshalb habe ich mich selbst auf den Rudolf-Schock-Platz gestellt. Aber alle waren darauf vorbereitet, alle waren informiert. Das Dürener Publikum ist sowieso toll, das haben zuletzt noch die Comedian Harmonists gesagt, von denen sich das Publikum mehrere Zugaben erklatscht hat.

Wie reagiert das Publikum auf Omikron? 

Gellings: Ich glaube, dass viele erst einmal abwarten, wie gefährlich diese Variante wirklich ist. Die Zuschauerzahlen waren zwar zuletzt rückläufig, steigen jetzt aber wieder langsam an.

Das Theater ist das eine, was ist mit den anderen Standbeinen des Dürener Kulturlebens, zum Beispiel mit der Musikschule? 

Gellings: Was Andrea Nolte und ihr Team auf die Beine gestellt haben, verdient meinen höchsten Respekt. Es steckt wahnsinnig viel Organisationsarbeit dahinter, den Unterricht unter den pandemischen Umständen weiter fortführen zu können. Räume wurden hergerichtet, die Technik für Online-Unterricht aufgebaut, nicht nur in der Musikschule selbst. Es ist so wichtig, den Kontakt zu den Schülern nicht zu verlieren. Das hat man auch bei zwei Veranstaltungen vor den Weihnachtsferien gesehen. 

Welchen? 

Gellings: Einmal das Akkordeon-Orchester von Andrea Nolte mit ihrem Vater, der gerade 80 Jahre alt geworden war. Das war voll besetzt. Es war sehr ergreifend. Fast zwei Jahre war nicht mehr öffentlich gespielt worden. Das zweite war ein Konzert der Anfänger der Musikschule. Da ist gerade etwas bei Kindern entfacht worden. Und das ist – im Niederländischen würde man sagen – zerbrechlich. Ich hoffe wirklich sehr, dass der Präsenzunterricht in der Musikschule weitergehen kann. Kunst und Kultur sind für Kinder enorm wichtig. 

Nicht nur für Kinder. Allgemein für die Gesellschaft.

Gellings: Ja, klar. Im Haus der Stadt beispielsweise gibt es verschiedene Zielgruppen, die sich an bestimmte Künstler binden. Es ist ganz toll zu sehen, wenn diese Zielgruppen wieder zusammenkommen. Das ist eine einmalige Atmosphäre. Kunst und Kultur haben so viele Facetten. Sie müssen auch an einem Ort stattfinden, wo man gerne hingeht und verweilt. Und so ein Ort ist auch die Stadtbücherei, mit ihrer 2021 neu gestalteten Kinder- und Jugendbücherei, aber auch Schloss Burgau mit seinem Sommercafé, wunderbar kuratierten Ausstellungen von Jasper Hallmanns und neuerdings der Möglichkeit, dort den schönsten Tag seines Lebens zu verbringen, nämlich zu heiraten.

Was möchten Sie mit ins neue Jahr nehmen? 

Gellings: Die Sommerbühne wollen wir auch in diesem Jahr wieder aufbauen, allerdings als Sommertheater mit einem neuen Format, bei dem wir der Beteiligung in Form einer Community-Bühne noch mehr Raum geben. Ich wünsche mir außerdem, dass die Flexibilität erhalten bleibt. In der Organisation von sicheren Veranstaltungen haben wir inzwischen so viele Erfahrungen gesammelt, diese möchten wir gerne an andere weitergeben. Wir wollen in diesem Jahr natürlich auch weiter mit Top-Prio an der Kundenrückgewinnung arbeiten – da sind wir mit dem i-Punkt sehr gut aufgestellt –, außerdem wollen wir unsere Zielgruppen erweitern und zum Beispiel die Theaterpädagogik und Cross-Overs mit Marion Kaeseler, Rebekka Paas und Anke Otten weiter ausbauen und so Erlebnisse vertiefen. Die VHS hat im vorigen Jahr große Schritte Richtung hybridem Angebot gemacht, hat unter der Leitung von Dr. Wilma Viol die Lockdownzeit optimal genutzt und viel mehr digitale Angebote erstellt. Diese hybride Form der Programmierung wünsche ich mir für alle Einrichtungen von Düren Kultur. Aber auch die Bücherei unter der Leitung von Alexandra Oidtmann hat diesbezüglich schon viel getan, online Vorlesen von Melanie Joisten als strukturelles Angebot, Gaming und Streamingangebote. Natürlich war und ist auch die handfeste Unterstützung von Verwaltungsleiter Thomas König für diese Flexibilität unendlich wichtig und verdient große Wertschätzung.

Welche neuen Zielgruppen haben Sie im Blick? 

Gellings: Wissen Sie, ich finde es wichtig, dass Kultur die Gemeinschaft auch umarmt. In den Niederlanden hat Kultur längst eine deutlich stärkere gesellschaftliche Dimension. Ich möchte an der Stelle noch nicht zu viel verraten, ich habe aber beispielsweise demnächst einen Termin mit der Sozialamtsleiterin Britta Hourtz um zu sehen, wie wir Kunst und Kultur verstärkt in den Dürener Sozialraum einbringen. 30 Prozent der Kinder in Düren leben in Armut – davor können wir unsere Augen nicht verschließen, sondern müssen unser Fenster erweitern. So freut es mich besonders, dass ich ein Leseförderungsprojekt für potenziell leseschwache Schüler mit nach Düren habe bringen können. Dies hat Kuni Nellesson mit Markus Langer auf die Heinrich-Böll-Schule zugeschnitten, gemeinsam mit einem Team dort. Das war sehr gelungen. Auch die Senioren, für die Martina Kämmerling gerade auch in den Stadtteilen Angebote realisiert, stehen fürs nächste Jahr hoch auf der Agenda.

Was erwarten Sie von den Künstlern? 

Gellings: Von unserer Seite tun wir alles dafür, sichere Bedingungen zu schaffen. Unsere Lüftung ist auf dem neuesten Stand und wir kontrollieren alles akribisch. Wenn wir aber all diese Anstrengungen unternehmen, erwarte ich auch, dass von der anderen Seite etwas zurückkommt.

Wie meinen Sie das? 

Gellings: Wenn eine Show-Company erst ihren Auftritt zusagt, dann aber feststellt, dass sie woanders nicht auftreten kann und uns deswegen absagt, würde ich mir mehr Entgegenkommen wünschen. Beispielsweise hätte man dann sagen können, wir treten mit drei Ensemble-Mitgliedern weniger auf. Nichts ist für Publikum so schwierig wie Verwirrung.

Was wünschen Sie sich für die Künstler im Allgemeinen? 

Gellings:  Aus Sicht der Kulturschaffenden ist es wichtig, dass besonders die kleinen Künstler nicht durchs Netz fallen. Man spart unter Umständen Geld, wenn man Veranstaltungen bei geringem Kartenverkauf absagt. Es ist aber wichtig, für Kontinuität zu sorgen. Und unsere Erfahrung ist: Es war gut, dass wir nicht lockergelassen haben. 

Was wird die Dürener in diesem Jahr noch Neues erwarten? Ich meine damit nicht einzelne Programmpunkte, die werden ja in den kommenden Monaten noch vorgestellt. Sondern wohin wird die Reise generell gehen? 

Gellings: Die Volkshochschule wird sich breiter aufstellen, also nicht nur einen Bildungsauftrag haben, sondern auch kulturelle Aufgaben übernehmen. Außerdem möchte ich eine Machbarkeitsstudie für einen dritten Ort im Haus der Stadt in Auftrag geben. Da bin ich auch auf die Ergebnisse gespannt. Es wird einige schöne neue Formate geben und Düren Kultur wird auch seinen Beitrag zu 1275 Jahre Stadt Düren leisten. Unsere frische Kooperation mit den Vereinigten Industrieverbänden wollen wir fortführen, die Euregio Liest, den Literarischen Sommer, ebenso unseren Theaterclub. Bei einem Kaffee erfährt man etwas über Stücke, die aufgeführt werden. 

Zuletzt hatte das Interesse daran nachgelassen. 

Gellings: Na ja, ich verstehe, dass viele aus Angst vor Corona solchen Veranstaltungen lieber fernbleiben. Wir Niederländer – und ich bin ja zur Hälfte Niederländerin – sind aber pragmatisch. Wenn ich nicht mit dem Fahrrad kommen kann, dann gehe ich halt zu Fuß. Warum also nicht per Zoom-Meeting an der Veranstaltung teilnehmen? Ich glaube, der Umgang mit der Angst ist eh ein großes Thema. Statt „entweder – oder” sollte die Devise im neuen Jahr „und – und” heißen. Das neue Theaterprogramm hat als Thema Resilienz, also Widerstandskraft und das wünsche ich mir für uns insgesamt: dass wir auf diese schwierige Periode zurückblicken und sehen wie viel Neues, auch Positives es uns gebracht hat.