Konjunkturumfrage : VIV-Chef Schmidt zeichnet düsteres Zukunftsbild für die Industrie
Kreis Düren Bei der Jahreshauptversammlung der Vereinigten Industrieverbände in Schloss Burgau wurde das Ergebnis der Konjunkturumfrage vorgestellt. Kurzum: Die Aussichten sind düster.
Eine Abkürzung beschreibt in den Augen Hans-Helmuth Schmidts die Situation der heimischen Unternehmen: Vuca. Dahinter verbergen sich die Worte Volatility (Unbeständigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Sie wurde erstmals von einem amerikanischen Militär-College genutzt, um die neue globale Situation nach dem Kalten Krieg Anfang der 1990er Jahre zu beschreiben. Der Vorsitzende der Vereinigten Industrieverbände von Düren, Jülich, Euskirchen und Umgebung (VIV) stellte sie bei der Jahreshauptversammlung an den Anfang seines Ausblicks. Und der war düster.
Eine Abkürzung aus der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion passte auch insofern, dass mit Gabriele Krone-Schmalz eine Gastrednerin verpflichtet wurde, die mit Äußerungen zum Ukraine-Krieg immer wieder in die Kritik geraten ist und auch am Mittwochabend in Schloss Burgau für manch ernste Mine im etwa 200 Personen umfassenden Plenum sorgte. Ihr Vortrag „Russlands Krieg gegen die Ukraine – kann ein neuer Frieden in Europa gelingen“ entpuppte sich vor allem als Kritik an in ihren Augen einseitiger Berichterstattung über Russland und die Ukraine.
Dass die Ereignisse im Osten Europas durchaus mit großem Interesse vom VIV beobachtet werden, liegt auf der Hand. Die Energiepreise sind mit dem Ausbruch des Krieges deutlich gestiegen. Entsprechend gedrückt war die Stimmung, als Schmidt Formulierungen wählte wie „Deutschlands Abstieg ist nicht mehr zu übersehen“, „die Industrie wird vergrault“, „Deutschland befindet sich in einer schnellen Rückwärtsbewegung“ und „es gibt nicht viel, was gut ist“.
Die Konjunkturumfrage bei den VIV-Mitgliedsunternehmen, deren Ergebnis zur Jahreshauptversammlung bekanntgegeben wurde, gibt Schmidt recht: „Besonders schlecht ist die Situation in der papiererzeugenden Industrie. In der aktuellen Umfrage hat kein einziges Unternehmen angegeben, dass seine Geschäftslage gut sei“, sagte er. Vor einem Jahr habe noch 92,3 Prozent von einer guten Geschäftslage gesprochen. Von den Gesamtunternehmen bezeichnen 35,2 Prozent ihre Geschäftslage als schlecht – im Jahr 2022 waren es noch 15 Prozent.
Einen Aufschwung erwarten die Firmenchefs nicht, auch wenn 46 Prozent der Betriebe dem Frühjahr 2023 die Note „Befriedigend“ verpassen. Nur noch neun Prozent gehen von einer verbesserten Ertragslage aus, fast die Hälfte (49 Prozent) rechnet sogar damit, dass der Abwärtstrend anhält. Der Optimismus des Vorjahres, in dem 38,4 Prozent noch mit einem Aufschwung rechneten, ist verpufft. Vor allem die Auslandsumsätze haben sich nach der Umfrage bei etwa 70 Prozent der Firmen verringert. Trotzdem will knapp ein Viertel in nächster Zeit investieren.
Der negative Trend zieht sich durch alle fünf Industriezweige, die sich der VIV angeschlossen haben. Konkret: die Metallindustrie, die papierverarbeitende Industrie, die papiererzeugende Industrie, die Textilindustrie und chemisch-gemischte Industrie. In Summe arbeiten in den Unternehmen etwa 15.000 Menschen. Schmidt spricht davon, dass sich Deutschland zunehmend in einer Phase der Deindustrialisierung befinde. „Wir müssen uns fragen, ob wir unseren Wohlstand wirklich aufgeben wollen“, sagte er.
Als größtes Risiko – wen wundert’s – sehen 74,5 Prozent der Unternehmen die hohen Energie- und Rohstoffpreise sowie 62 Prozent den Fachkräftemangel. Auch nach dem Energieeffizienzgesetz, das bei einem Jahresendverbrauch von mehr als 15 Gigawattstunden ein Umwelt- und Energiemanagementsystem einzuführen, wurde gefragt. 68 Prozent der Unternehmen befürchten dadurch einen höheren bürokratischen Aufwand, nur 21 Prozent erwarten einen positiven Wirtschaftseffekt. 20,8 Prozent rechnen sogar mit einem negativen Effekt des neuen Gesetzes.
Deutlich besser schneidet in der Umfrage das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ab: Mehr als die Hälfte der Unternehmen begrüßen es, dass Menschen mit beruflicher, nicht-akademischer Ausbildung leichter einwandern können. Dies biete die Chancen, freie Stellen schneller zu besetzen, heißt es.
Überraschend wirkt hingegen die Bewertung des Strukturwandels im Rheinischen Revier, die erstmals in die Konjunkturumfrage einfloss: Für 75,5 Prozent ist der frühe Kohleausstieg 2030 „irrelevant“.