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Hagen Rether in Düren: Schonungslose Analyse der Nach-Corona-Gesellschaft

Hagen Rether in Düren : Schonungslose Analyse der Nach-Corona-Gesellschaft

Hagen Rether nimmt im ausverkauften Haus der Stadt kein Blatt vor den Mund. Drei Jahre musste sein Publikum auf den Auftritt warten und wurde mit bissiger Satire belohnt.

„Na, ihr Schnuckis?“ begrüßte Hagen Rether sein Publikum, das zum Teil aufgrund der Corona-bedingten Verschiebungen drei Jahre auf seinen Auftritt in Düren warten musste, im voll besetzten Haus der Stadt. Es folgte eine schonungslose Analyse unserer Gesellschaft mit den Mitteln der Satire. Die Realität musste Rether nicht sehr überzeichnen, um an immer wieder neuen Beispielen deutlich zu machen, dass wir alle selbst schuld sind an der Nichtbeantwortung der dringendsten Fragen unserer Zeit.

Er zeigte auf, wie und warum „nach Corona“ eben nicht alles anders geworden sei. Während der Pandemie seien wir in die Rollenmuster der 1950er Jahre zurückgefallen – zum Beispiel beim Thema „Homeschooling“: „Die Mütter haben gerödelt, dass ihnen die Ohren abfallen, und die Väter haben sich beim Kacken gestört gefühlt“ unterbrach er nicht nur an dieser Stelle mit rustikalen Worten seinen ansonsten mit wohl gewählten, klugen Sätzen in freundlichem Singsang gezeichneten Vortrag. Erklärtes Ziel: Unmissverständlich sein.

Schon dass man im Haus der Stadt zusammengekommen sei, aus verschiedenen Ecken des Kreises Düren, um mit dem Auto anzureisen und anschließend „drei Stunden lang mit ihm über Ökologie zu reden“ sei ja „Irrsinn“. Aber andererseits hinterließe ja selbst der Dalai Lama, jener „Peter Lustig für enttäuschte Christen“, mit seinen Reisen einen Riesen-CO2 Abdruck. Und selbst zuhause sitzen und streamen sei nicht CO2-neutral möglich.

Er selbst habe während der Pandemie das gemacht, was viele taten. Er habe sich ein Haustier angeschafft. Nur dass seines der eigene Bart sei, den er liebevoll „Frettchen“ nannte. Ansonsten sei er viel spazieren gegangen und habe Blut gespendet. Regelmäßig erhalte er jetzt Folge-Einladungen zum Blutspenden. Zur Organspende habe man ihn trotz entsprechendem Ausweis noch nicht gebeten. Er sei sich aber sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch dieser Bereich des Lebens kommerzialisiert würde.

Der Bart als Frettchen

Der Kabarettist, der sich seit Jahrzehnten dem Klimawandel und der Geschlechterungerechtigkeit widmet, zeigte an vielen Beispielen und Geschichten auf, dass „wir alle tun, als ob wir drei Planeten hätten“ und dass wir mit unserem Konsumverhalten über die Zukunft der Erde abstimmen. Fluchtursachen könnten nicht einzelne Politiker bekämpfen, weil wir selbst die Fluchtursache seien: „Kenia ist am Arsch, weil das ganze Wasser für unsere Schnittblumen draufgeht.“

„Narzisstische Luftpumpe“

Christian Lindner bezeichnete er zum Vergnügen des Publikums als „narzisstische Luftpumpe“. Ihm gehe es aber trotzdem nie darum, Personen zu beschuldigen, sondern darum, Muster sichtbar zu machen. So wie jenes, dass wir immer wieder das Patriarchat wählen, das Alleinerziehenden und Geringverdienern „ins Gesicht rülpse“, so lange, bis hart arbeitende Menschen wie Busfahrer Wohngeld beantragen müssen. Der Grund: Wir wollen in der Welt unseres „Kindheits-Ich“ verweilen: Papa gebe uns Schokolade vor dem Zubettgehen und beharre nicht – wie die verantwortungsbewusste Mama – aufs Zähneputzen.

Die Grünen hätten so etwas wie die „Mutter-Rolle“ gepachtet. Seit Jahrzehnten warnen und erziehen sie. Und jetzt, wo es zu spät sei und das Kindheits-Ich zum Teenager mit katastrophalem Gebiss herangewachsen wäre, sollten Habeck, Özdemir und Baerbock über Nacht die Vollprothese heranschaffen.

Angesichts Rethers scharfsinniger Zustandsbeschreibungen blieb den Zuschauern so manches Mal das Lachen im Halse stecken. Aber Hoffnungslosigkeit ließ Rether auch nicht gelten. Der Stammtischparole „Es ändert sich ja doch nix“ erteilte er eine rigorose Absage und erinnerte daran, wie zerstört Deutschland vor 80 Jahren nach Kriegsende ausgesehen habe und dass aus dem Land, das jüdische Menschen vernichtet hat, mit vielen internationalen Hilfen schließlich wieder ein beliebtes Land geworden sei. Sein Resümee: „Wir müssten uns eigentlich kaputt freuen den ganzen Tag.“

Hagen Rether hat eben die Hoffnung noch nicht aufgegeben und auch Stift und Papier mitgebracht, um Ideen zur Weltrettung aus dem Publikum zu sammeln. Er meint es ernst mit seinem Angebot zum Mitdenken, Perspektive-Wechseln und neu auf unseren Planeten schauen.