Projekt im Rheinischen Revier : Pfandflaschen-Prinzip für Wasserstoff soll in Jülich groß rauskommen
Jülich/Erlangen Peter Wasserscheid hat eine Art Pfandflasche entwickelt, in der Wasserstoff aufbewahrt werden kann. Das Projekt wird in Jülich vorangetrieben und mit 860 Millionen Euro gefördert. Doch der Teufel steckt im Detail.
Peter Wasserscheid ist einer der Hoffnungsträger im Rheinischen Revier. Seit dem 1. November ist der Professor für Chemische Reaktionstechnik der Gründungsdirektor des Helmholtz-Clusters für nachhaltige und infrastrukturkompatible Wasserstoffwirtschaft, kurz HC-H2, in Jülich. Das ist das Projekt, für das das Bundesforschungsministerium im Sommer 860 Millionen Euro Fördergeld bewilligt hat über einen Zeitraum von 17 Jahren. Das Kernthema ist nicht das klimaneutrale Erzeugen von Wasserstoff. Das steht im Mittelpunkt anderer Förderprojekte.
Das HC-H2 soll Technologien entwickeln, mit denen der Wasserstoff in großen Mengen transportiert, gelagert und bedarfsgerecht bereitgestellt werden kann. Denn das steht jetzt schon fest: Mit Wasserstoff wird das genau so sein wie mit fossilen Energieträgern wie Kohle oder Öl. Die Ressourcen in Deutschland reichen nicht für den Eigenbedarf. Auch künftig muss Energie importiert werden.
Umso mehr, wenn Elektromotoren und Wasserstoffantriebe den Verbrennungsmotor ersetzen und Wasserstoff Industrieunternehmen mit Energie versorgen soll. Teil des HC-H2-Plans ist, Wasserstoff so weit wie möglich mit der Infrastruktur verfügbar zu machen, die auch heute für Öl oder Treibstoffe genutzt wird. Die künftige Voraussetzung: Das muss klimaneutral klappen.
„Ich bin hier als Geburtshelfer“, sagt Peter Wasserscheid. Am Ende von Geburt und Wachstum sollen neue Arbeitsplätze entstehen in einem Revier, in dem Arbeitsplätze wegfallen, weil die Braunkohle als Energielieferant und Wirtschaftsfaktor wegfällt. Spätestens 2030 ist Schluss mit der Braunkohle. Das hat die neue Bundesregierung beschlossen.
Das HC-H2 gehört zum Forschungszentrum Jülich, entsteht aber außerhalb des Zauns auf der Merscher Höhe bei Jülich im sogenannten Brainergy Park. In der aktuellen Startphase besteht es aus zwei Personen, eine davon ist Wasserscheid. Der Direktor spricht von einer „kleinen Keimzelle, die schnell größer wird“. Bis Ende 2022 sollen rund 100 Menschen in dem Cluster arbeiten, 2025 sollen es 500 sein. Im April, so der Plan, stehen die ersten Büros in Containerbauweise auf der Merscher Höhe.
Die bis zu 500 Arbeitsplätze, die mit dem Fördergeld finanziert werden, sind ein Etappenziel. „HC-H2 wird eine Kooperationsplattform, auf der jeder mitmachen kann. Forschungseinrichtungen, Kommunen und vor allem Unternehmen“, erklärt Wasserscheid. Das Wachstum komme mit den Unternehmen, die im Rheinischen Revier Arbeitsplätze schaffen im Bereich Wasserstoff.
„Das Revier hat hier eine riesige Chance, wenn alle wichtigen Player nachhaltige und innovative Wasserstoff- und Energietechnologien als ihre Aufgabe sehen und als ihre Chance erkennen“, sagt er.
Im unmittelbaren Umfeld des HC-H2 sollen Jobs entstehen, weil das Cluster rund 20 sogenannte Demonstratoren im Rheinischen Revier aufbaut, an denen gezeigt werden soll, wie Wasserstoff-Wertschöpfungsketten geknüpft werden können. Dabei spielt stets die Speicherung und der Transport von Wasserstoff eine zentrale Rolle.
In Erkelenz beispielsweise sollen solche Anlagen entstehen, in der Nähe von Köln, in Übach-Palenberg, in Neuss oder Düren. „Für diese Demonstratoren brauchen wir Partner-Firmen und Menschen, die diese Anlagen aufbauen und betreiben“, sagt Wasserscheid.
Zum Geburtshelfer ist der 51-Jährige geworden, weil er schon lange vom Wasserstoff überzeugt ist. Ende 2018 hielt Wasserscheid eine Rede in Berlin. Mit zwei Kollegen gehörte er damals zu den Nominierten für den Deutschen Zukunftspreis, den der Bundespräsident jedes Jahr vergibt.
Wasserscheid stellte seine über Jahre entwickelte Idee eines flüssigen Wasserstoffspeichers namens LOHC (Liquid Organic Hydrogen Carrier – flüssiger organischer Wasserstoff-Träger) vor. „Das müssen Sie sich wie eine flüssige Pfandflasche vorstellen, die man immer wieder neu mit Wasserstoff füllen kann und die es erlaubt, Wasserstoff wie unsere heutigen Kraftstoffe zu lagern und zu transportieren.“
So erklärt der Professor für Chemische Reaktionstechnik seine Technologie gern: Ein Liter flüssiges LOHC nimmt 650 Liter gasförmigen Wasserstoff auf. 17 Liter LOHC binden 1 Kilogramm Wasserstoff und mit einem Kilogramm Wasserstoff kann zum Beispiel ein Brennstoffzellen-Auto rund 120 Kilometer weit emissionsfrei fahren.
Gewonnen haben die drei Forscher den Preis damals nicht, ein großer Erfolg war die Nominierung trotzdem. An die Reaktionen auf seine Rede erinnert sich Wasserscheid noch genau. „Wie? Wasserstoff? Da gibt es noch Forschung?“ Solche Fragen seien ihm damals in Berlin gestellt worden. „Und jetzt schauen Sie sich an, wo wir heute, gut drei Jahre später, stehen“, sagt Wasserscheid. „Es gibt einen regelrechten Wasserstoff-Hype in Deutschland und Europa.“
Geburtshelfer geworden ist der 51-Jährige, weil er das schon mehrfach gemacht hat. Wasserscheid ist der Gründungsdirektor des 2014 gestarteten Helmholtz-Instituts Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energien (HI-ERN), einer Außenstelle des Forschungszentrums, das heute rund 200 Forschende zählt. Dort wird Wasserscheid auch weiter tätig sein, genauso wie an der Uni Erlangen-Nürnberg.
Sechs bis acht Tage im Monat plant er, im Rheinischen Revier vor Ort zu sein. Zudem ist er Mitbegründer zweier Firmen, die wissenschaftliche Erkenntnisse in die Anwendung bringen. Jetzt soll er helfen, eine kleine Keimzelle im Rheinischen Revier groß zu machen.
Zum Geburtshelfer bestellt wurde Wasserscheid auch wegen seiner LOHC-Technologie. „LOHC wird einer von mehreren Wegen sein. Den einen Weg gibt es nicht. Den gibt es bei den fossilen Energieträgern ja auch nicht, wo wir Erdgas, Kohle und verschiedene Erdöl-Produkte nutzen. Den wird es auch in der modernen Wasserstoffwirtschaft der Zukunft nicht geben“, sagt Wasserscheid. Beispielsweise können auch Methanol oder Ammoniak eine Art Wasserstoff-Pfandflasche sein. Alle diese Optionen sollen im HC-H2 mit Hilfe der Demonstratoren weiterentwickelt und für den Weltmarkt optimiert werden.
Die Demonstratoren sollen zeigen, dass etwas, das Forscher entwickelt haben, auch in der Praxis im großen Maßstab funktioniert. „Eine Veröffentlichung in Science oder Nature alleine spart keine einzige Tonne CO2-Emissionen ein. Erst, wenn wir zeigen, dass das Erzeugen und Benutzen klimaneutraler Energieträger im großen Stil möglich ist, können wir auch Investoren überzeugen, die gebraucht werden, um die weltweite Energiewende voranzubringen“, sagt Wasserscheid. Science und Nature sind zwei bedeutende Wissenschaftszeitschriften, in denen herausragende Forschungsergebnisse veröffentlicht werden. Im Rheinische Revier soll mit neuen Technologien beides gelingen: die Publikation in wichtigen Fachzeitschriften und der Transfer neuer Energietechnologien in den Alltag.
Funktionieren die Demonstratoren, dann kann auch der nächste, größte Schritt klappen. Im Grunde genommen soll die Wasserstoffwirtschaft der Zukunft so ähnlich laufen wie unsere heutige auf fossilen Brennstoffen basierende Wirtschaft: In Deutschland selbst wird nur ein sehr kleiner Teil des heute benötigten Öls gefördert. Trotzdem gehört Deutschland zu den Weltmarktführern, was Technologien für die Förderung und Weiterverarbeitung von Öl angeht.
Das gleiche Prinzip soll auch in Zukunft funktionieren: Wasserstoff kann klimaneutral in Deutschland, noch günstiger aber an wind- und sonnenreichen Orten in Europa, Afrika, Südamerika oder Australien hergestellt werden. Die Technologie zur Produktion und zur Verfügbarkeit kommt aus Deutschland, und aus dem Rheinischen Revier.