Tagebau Hambach : Fossilienfunde beweisen Nähe zur Ur-Nordsee
Niederzier Als vor rund 16 Millionen Jahren im Rheinischen Revier die Braunkohle entstand, war der heutige Tagebau Hambach noch ein subtropischer Urwald am Rand der Ur-Nordsee. Das belegen unzählige Fossilienfunde aus den vergangenen vier Jahrzehnten.
„Im Prinzip ist ja das ganze Kohleflöz eine einzige, bis zu 80 Meter starke fossile Schicht“, betont Tagebauleiter Thomas Körber. Schließlich ist Braunkohle im Laufe vieler Millionen Jahre aus abgestorbenen Pflanzen entstanden, die, von immer neuen Erdschichten überdeckt, einem wachsenden Druck und hohen Temperaturen ausgesetzt waren. So ist es nicht verwunderlich, dass der Schaufelradbagger immer mal wieder auf noch relativ gut erhaltene Pflanzen- und Baumreste stößt. Regelmäßig finden sich auf dem Flöz und im darüber liegenden Abraum auch Sandlinsen und Tonschichten.
Und dann werden Hobbypaläontologen wie Ulrich Lieven, bei RWE Power in den Tagebauen eigentlich als Abfallberater unterwegs, Experten des geologischen Dienstes und verschiedener beteiligter Universitäten besonders hellhörig. Dann steigt die Chance, auch Tierfossilien zu finden, die zwar versteinert sind, aber anders als Funde zum Beispiel in Schieferbergwerken nicht zusammengedrückt wurden, sondern original erhalten geblieben sind, erklärt der 61-Jährige.
Bei Exkursionen in den Tagebau haben sie im Laufe der Jahre eine ganze Reihe spektakulärer Funde gemacht, im und auf dem aus dem mittleren Miozän stammenden Kohleflöz, aber auch in den jüngeren, darüberliegenden Schichten. „Das hört erst auf mit Beginn der Eiszeiten am Ende des Tertiärs vor rund zweieinhalb Millionen Jahren“, erklärt Lieven.
Dass vor 16 Millionen Jahren im Dürener Land Elefanten, Nashörner, Wale und Haie gelebt haben, dürften wohl die Wenigsten erwartet haben. Aber genau das belegen eine rund 15 Zentimeter lange Stoßzahnspitze und eine Kniescheibe, die im Tagebau Hambach gefunden wurden. „Damals gab es noch 13 Elefantenarten“, erklärt Ulrich Lieven. „Unsere Funde stammen von einem Gomphotherium, einem Vorfahren unserer heutigen Dickhäuter, die noch vier Stoßzähne, aber sehr kleine Ohren hatten.“
Kaum weniger spektakulär sind die gefundenen Überreste damaliger Nashörner, darunter Schädelknochen eines Brachypotheriums, eines hornlosen Nashorns. Dass darüber hinaus auch Wirbelkörper, Zähne und Panzerplatten von urzeitlichen Walen, Delfinen und Krokodilen gefunden wurden, überrascht die Experten nicht. Lieven verweist auf Flussauen, die sich damals immer mal wieder im Urwald ausgebreitet haben müssen. „Gut möglich, dass Kadaver dieser eigentlich in tieferen Meeren beheimateten Tiere mit der Flut in den Wald gespült wurden.“
Mehr als 70 Säugetier-Arten
Überreste von mehr als 70 Säugetieren wurden im Laufe der Jahre im Tagebau Hambach gefunden, darunter ganz seltene und in der Fachwelt sehr beachtete, wie Eckzähne eines Pliopithecus, einer frühen Gibbon-Art. „Von dieser Art gibt es in ganz Europa nur drei weitere Funde“, betont Ulrich Lieven nicht ohne Stolz.
Neben den gefundenen Tierfossilien lassen auch Überreste der Pflanzenwelt Rückschlüsse auf das damalige Klima zu, erklärt der 61-Jährige, der im Januar zwar offiziell in Rente geht, aber in Zukunft weiter nach Relikten der Vergangenheit suchen will, sehr zur Freude von Tagebauleiter Thomas Körber.
So wurden im Tagebau Hambach nicht nur versteinerte Vorläufer heutiger Eichen und Buchen gefunden, die mit den Eiszeiten dann verdrängt wurden, sondern auch sehr seltene Reste von Ginkgo und Buchenblätter mit Vivianitbelag, einem Mineral, das „die Blätter richtig leuchtend blau schimmern lässt“, erinnert sich Thomas Körber noch gerne an den Fund zurück. Eine Färbung, die mit der Trocknung der fossilen Blätter zwar verblasst, aber immer noch zu sehen ist. Besonders stolz ist man im Tagebau Hambach auf die Entdeckung eines Rhizoms, eines unterirdischen Wurzelorgans, das „so auf der Welt bislang noch nicht gefunden wurde“ (Lieven) und daher nach dem Fundort benannt wurde: Rhizocaulon hambachense.
Viele der gefundenen Fossilien finden sich heute in den Archiven der beteiligten Universitäten: von Bonn über Stockholm bis Athen, berichtet Lieven. Einen Teil aber können Besucher des Tagebau Hambach auch in Vitrinen in der Verwaltung sehen, andere müssen noch aufgearbeitet werden. Aufgebaut wurde die Hambacher Fossiliensammlung vom ehemaligen Betriebsgeologen Dr. Bertram Wutzler, heute kümmert sich Ulrich Lieven um den Erhalt der Funde, die irgendwann auch öffentlich zu sehen sein sollen, vielleicht im künftigen Berggasthof auf der Sophienhöhe. „Es ist uns ein ausdrückliches Bedürfnis, diese bedeutenden Funde als wichtigen Bestandteil der regionalen Geschichte dauerhaft für die Nachwelt zu erhalten“, betont Thomas Körber.
Hobbypaläontologen wie Ulrich Lieven interessieren dabei vor allem die Rückschlüsse , die man aufgrund der Funde auf das Klima vor 16 Millionen Jahren ziehen kann. „Damals war es in unseren Breiten deutlich wärmer und feuchter“, erklärt der 61-Jährige. Statt durchschnittlich neun Grad, war es elf bis zwölf Grad warm, statt 700 fielen mehr als 1500 Millimeter Niederschlag im Jahr, typisch für subtropische Breiten.