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Schwarzmarktgeschäfte: Liesels Schuhe für 1000 Reichsmark

Schwarzmarktgeschäfte : Liesels Schuhe für 1000 Reichsmark

Einzigartiges historisches Dokument: Ein Haushaltsbuch belegt die Schwarzmarktgeschäfte eines unbescholtenen Malers.

Eine Tafel Schokolade, Margarine, zwei Flaschen Kölnisch Wasser, aber auch so rührige Dinge wie „Liesels Schuhe“ oder „Blumen“ sind im Haushaltsbuch von Willi Rees fein-säuberlich unter Februar/März 1947 zu finden. Das Ungewöhnliche fällt schnell ins Auge: die Währung. Statt Reichsmark sind es Zigaretten. Die Schwarzmarktwährung der Nachkriegszeit also. Denn das Haushaltsbuch von Willi Rees, geboren 1922 in Köln-Ehrenfeld, ist kein normales Haushaltsbuch, sondern dokumentiert seine, wie man im Rheinland sagen würde, Maggelgeschäfte.

Das Buch liegt inzwischen im Kölner Stadtmuseum und ist von hohem (historischen) Wert. Dass jemand seine Schwarzmarktaktivitäten in dieser Form dokumentiert hätte, ist bislang nicht überliefert – schließlich war das ein recht leichtsinniges Unterfangen. Willi Rees hätte unter Umständen die Todesstrafe gedroht, wenigstens aber eine Gefängnisstrafe. Das sagt jedenfalls der Direktor des Stadtmuseums, Dr. Mario Kramp.

Buch wartet auf Besucher

Aufgeschlagen liegt das historische Zeugnis dort im Rahmen der Sonderausstellung „Köln 1945 – Alltag in Trümmern“ in einer Vitrine. Besucher können, sobald das Museum wieder öffnet, noch bis 18. April lesen, wann Willi Rees welche Ein- und Verkäufe getätigt hat. Die Einträge beginnen am 15. Januar 1947 mit 1100 Zigaretten und enden am 18. März 1948, kurz vor der Währungsreform und dem Ende des Schwarzmarkthandels, mit Speck. Sogar Fahrkosten und Haushaltsgeld, das Rees an seine Eltern zahlte, sind aufgeführt, daneben immer Zugänge, Abgänge und Bestand.

Diese Akribie hat Sohn Willi Rees junior einigermaßen überrascht. „Mein Vater war eigentlich ein typischer Kölner“, sagt er, „der eine gewisse Großzügigkeit an den Tag gelegt hat. So eine penible Aufstellung ist für ihn eher ungewöhnlich gewesen.“

Der Sohn sitzt im Büro der Dürener Rechtsanwältin Ruth Bohnenkamp, erzählt von seinem Vater, dessen Leben in Köln und später in Nideggen-Berg. Bereits 1973 hatte das Ehepaar Rees in der Eifel einen Zweitwohnsitz gebaut, in den es 1990 fest zog.

Streit mit Finanzamt

Dass der Sohn nun gerade in der Anwaltskanzlei durch seine Unterlagen blättert, hat einen inzwischen beigelegten Rechtsstreit mit dem Finanzamt Düren zur Ursache, der eine eigene Geschichte wert wäre. Denn als Rees jr. vom Kölner Stadtmuseum eine Sachspendenquittung für das Haushaltsbuch erhielt und die in der Quittung angegebene Summe in Höhe von 10.000 Euro von der Steuer absetzen wollte, weigerte sich die Behörde zunächst, den Wert des Buches anzuerkennen. Knackpunkt: die Einmaligkeit. Es konnte nichts Vergleichbares zur Wertermittlung herangezogen werden. Aus der Geschichte über ein einmaliges historisches Zeugnis entspann sich ein Präzedenzfall.

In die amerikanische Zone

Wie der in Nideggen lebende Sohn erzählt, hatte sein Vater innerhalb der Familie kaum Worte über die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg verloren, geschweige denn über seine Umtriebe als Schmuggler. „Soweit ich weiß, ist er von Köln aus immer in die amerikanische Zone nach Frankfurt gefahren, um dort amerikanische Zigaretten zu kaufen, die er dann auf dem Schwarzmarkt gegen Lebensmittel, aber auch Hemdenstoff oder Stiefelsohlen eingetauscht hat“, erzählt Willi Rees. Der Senior habe in den Jahren 1947/48 noch im Haus der Eltern an der Ennenstraße in Ehrenfeld gewohnt. „Aber wie der Eintrag ,Liesels Schuhe’ belegt, kannten sich meine Eltern im Februar 1947 wohl schon“, sagt der Sohn und lächelt.

Später sollte der Senior den elterlichen Malerbetrieb übernehmen und diesen bis Dezember 1989 führen. Mangels Nachfolge wurde er aufgegeben.

Dass der Sohn überhaupt in den Besitz des schriftlichen Belegs für die Schmugglerepisode im Leben des Vaters gelangte, rührt von seiner eigenen Haushaltsbuchführung, die er Mitte der 90er Jahre begann. „Guck mal. So was habe ich früher auch gemacht“, habe der Vater nur gesagt und sei dann mit dem Buch ums Eck gekommen.

Was ist wirklich kostspielig?

Der erste Gedanke des Sohnes: „Interessant, was damals für die einzelnen Waren gezahlt wurde.“ Vielleicht ist das auch Ausdruck für dessen beruflichen Hintergrund. Vor seiner Arbeit bei der GEZ hatte Rees jr. eine kaufmännische Ausbildung absolviert.

Und welche Erkenntnisse hat er aus seiner eigenen Buchführung gewinnen können? Rees überlegt kurz: Sein früheres Hobby, das Plattensammeln, sei nicht ansatzweise so kostspielig wie angenommen gewesen. Bekleidung sei dagegen ein viel größerer Posten. Rees lacht.

Da hätte ihm vielleicht schon ein Blick in die Tabellen des Vaters geholfen. Denn immerhin kostete da ein Mantelstoff 1250 und Liesels Schuhe 1000 Reichsmark. Ein Tauchsieder aber nur 150, eine Schleifmaschine 50 und eine Tafel Schokolade 80 Reichsmark. Wobei man eine Schleifmaschine oder Schokolade zugegebenermaßen kaum mit einer Schallplatte vergleichen kann.

Das Kölner Stadtmuseum hat ein Video zur aktuellen Ausstellung ins Netz gestellt, in dem Rees’ Buch Thema ist:

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