Roonak Aziz erhält Bundesverdienstkreuz : Ihr ganzes Leben kämpft sie schon für Frauen und gegen Gewalt
Düren/Berlin Roonak Aziz hat sich für die Rechte ihres Volkes, dann für sich und ihre Kinder eingesetzt, heute kämpft sie für andere Frauen.
Jetzt hat sie das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement in der Einwanderungsgesellschaft erhalten. Persönlich. Vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) in Berlin. Man könnte jetzt einfach sagen, für ihre Arbeit als Beraterin im Migrantinnen-Netzwerk gegen häusliche Gewalt „Goldrute e.V.“, und damit hätte wohl jeder eine gewisse Vorstellung davon, womit sich Roonak Aziz tagtäglich ehrenamtlich beschäftigt: Frauen und ihren Kindern in akuten Notlagen helfen, Frauenhäuser kontaktieren, bei Behördengängen begleiten, Mut machen. Das würde aber viel zu kurz greifen. Denn das Leben von Roonak Aziz ist ein einziger Kampf um Gerechtigkeit und gegen Gewalt.
Die Kurdin wuchs in Sulaimaniyya im Irak als Älteste von sechs Geschwistern auf. Der Vater starb früh, die Mutter arbeitete als Hebamme, also zog die älteste Tochter ihre Geschwister groß. Nach dem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung zur Mathematiklehrerin und arbeitete 17 Jahre lang als Beamtin. „Ehrenamtlich habe ich für die Rechte der Frauen und dafür gekämpft, dass die Kurden ein eigenes Land bekommen und nicht als Menschen zweiter Klasse behandelt werden“, erzählt sie. Ihr Bruder habe im Alter von 14 Jahren für vier Jahre ins Gefängnis gemusst.
Sie erlebte, wie unter Saddam Hussein 4000 kurdische Dörfer zerstört wurden. Als das Dorf ihres Onkels bombardiert wurde, war sie dort. Sie sah Familienmitglieder sterben, wie andere verstümmelt wurden. Sie wurde selbst verletzt, trägt Bombensplitter in ihrem Körper und wird noch heute an das Trauma erinnert, wenn Flugzeuge über ihren Kopf hinwegfliegen. Im Jahr 1991 war sie beim großen Aufstand in ihrem Land vorne mit dabei.
Am 1. Januar 1996 trat sie mit ihrer Familie die Flucht an. Sechs Monate Türkei, ein Jahr Griechenland, dann, im Mai 1997, erreichte sie mit zwei Kindern und hochschwanger Deutschland. Während ihrer Flucht habe sie ihre Kinder zur Geduld ermahnt: „Wenn wir erst einmal in Deutschland sind, werden wir ein schönes Leben haben, habe ich immer gesagt. Das war es aber erst mal leider nicht.“
An die Zeit in Lüdenscheid, ihrer ersten Station in Deutschland, hat sie schmerzhafte Erinnerungen. Als sie mit einem der Kinder mit starken Bauchschmerzen ein Krankenhaus aufsuchte und sich auf Englisch verständigen wollte, wies man sie ab. Beim Ausländeramt machte sie ähnliche Erfahrungen. Die ersten vier Monate war ihr drittes Kind nicht gemeldet, weil sie nicht wusste, wo. „Es war hart, nicht verstanden zu werden“, sagt sie. Integrations- und Deutschkurse wurden erst Jahre später Standard.
Auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe schaute sich Aziz verschiedene Städte an. Ihre Wahl fiel auf Düren. Wie ihre Heimatstadt sei Düren nicht so groß, ihr habe die Atmosphäre gefallen, die Nähe zur Eifel. Und: Die Menschen seien ganz anders gewesen. Sie fand eine Wohnung am Freiheitsplatz. Inzwischen lebt sie seit 24 Jahren dort. Obwohl die Wohnung in einem schlechten Zustand gewesen sei, habe sie trotzdem das Gefühl gehabt: „Es ist richtig.“
Und noch nie vorher habe sie in Deutschland so viel Hilfe erhalten. Die einen Nachbarn schenkten ihr eine Decke, die anderen Teller. „Das war das erste Zeichen, das mich sehr beruhigt hat.“
Die erste Zeit war dennoch qualvoll. Das nicht verarbeitete Kriegstrauma zwang sie zur Therapie und eine Verletzung der Hand zu vielen Operationen mit Komplikationen. Im Jahr 2006 stieß sie endlich auf ein Deutschkurs-Angebot des Arbeitsamts. „Das hat mich sehr gefreut, ich habe mich sofort angemeldet“, erzählt sie. Sie macht eine Pause und strahlt. Sie lernte die evangelische Gemeinde kennen. „Für viele Migranten ist sie eine Tür“, weiß sie aus eigener Erfahrung.
Im Jahr 2007 gründete sie den Irakisch-kurdischen Sport- und Kulturverein, dessen 1. Vorsitzende sie immer noch ist, und bietet jeden Freitag im Gemeindezentrum einen Sportkurs für Mütter und Kinder an. Musik und Tanz, Theater, Picknicks – das findet unter normalen Umständen statt. „Mir ist es wichtig, einen Weg zu zeigen, wie man sich schnell integrieren kann“, sagt Aziz. Sie sage den Müttern: „Ihr müsst kämpfen. Für eure Kinder. Damit sie eine gute Schulbildung bekommen und später Chancen haben.“
Der Verein „Goldrute e.V.“ geht auf ein Pilotprojekt der evangelischen Gemeinde zurück Den Verein gründete Aziz im Jahr 2012 mit anderen Beraterinnen. 13 aus verschiedenen Ländern sind es derzeit, sie sprechen 15 verschiedene Sprachen. Jeden Tag ist Aziz unterwegs, ist rund um die Uhr zu erreichen, wenn Frauen Hilfe brauchen. Kontakt mit Behörden und Krankenkassen, Klärung von Unterhaltsfragen, Wohnungssuche – der Verein hilft, wo er kann. „Viele Frauen sind mit der Zeit sehr stark geworden. Und das gibt mir auch viel Kraft und Energie, die ich dann wieder an andere Frauen weitergeben kann“, erzählt Aziz.
Bereits mehrfach ausgezeichnet
Für ihr Engagement ist sie beziehungsweise sind die Vereine bereits mehrfach ausgezeichnet worden. Dass ihr der Bundespräsident nun das Bundesverdienstkreuz überreicht hat, erfülle sie natürlich mit Stolz – was man ihrem Gesicht in der Liveübertragung auch deutlich neben einer Spur Nervosität ablesen konnte. Als Begründung für die Auszeichnung wurde unter anderem mit Blick auf die Sportkurse, die Aziz anbietet, verlesen: „Sie ermutigt und ermöglicht, dass Frauen und Mädchen ihre häusliche Isolation verlassen und sich vernetzen können.“
Viel mehr als diese Form der Anerkennung habe sie aber die Tatsache bewegt, dass Menschen sie dafür vorgeschlagen haben. „Dass sie mich gesehen haben“, sagt Aziz.