Spektakuläre An- und Einblicke : Dürener Stadttheater in einem neuen Licht
Düren Obwohl kaum mehr Unterlagen vom 1944 zerbombten Stadttheater existieren, haben zwei Dürener das Kunststück fertiggebracht, das prächtige Gebäude digital zu rekonstruieren. Sie können nun Innenräume und Details zeigen, von denen es keine Fotos gibt.
Es gibt eigentlich nur ein Wort, das den digitalen Rundgang durch den Musentempel der vor dem Zweiten Weltkrieg reichen Stadt zutreffend beschreibt: spektakulär. Davon kann sich bei Interesse selbst überzeugen, wer mag: bei einer Präsentation am kommenden Donnerstag, 21. Oktober, ab 19 Uhr im Stadtmuseum.
Die meisten kennen die Schwarz-Weiß-Aufnahmen aus der knappen Zeit, die dem Jugendstil-Theater von 1906 bis 1944 beschieden war, oder auch nachkolorierte Fotografien – vorwiegend von außen. Aus dem Innenbereich aber liegen nur sehr wenige Ablichtungen vor – und gerade der war es, der Zeitzeugen des Stadttheaters mitunter „den Atem raubte“. Das haben Axel Leroy (67) und Marco Keppa (41) nach zweijähriger kleinteiliger Recherche- und Rekonstruktionszeit nun geändert.
Sie lassen die vier Funktionseinheiten des Hauses wieder sichtbar werden: das Bühnenhaus, den Zuschauerraum, den Techniktrakt und den sogenannten „Menschentrakt“ (für Verwaltung, Schauspieler, Musiker und andere) sowie die mit feinstem Marmor gestalteten Foyers.
Leroy hat alle Quellen angezapft, die es gab, vergleichbare Häuser (wie in Aachen) untersucht oder sich in der Nachbarschaft orientiert, weil nur eine Handvoll Daten verlässlich zur Verfügung standen. Da beim Bombenangriff auch alle Bauzeichnungen zerstört worden sind, existieren heute nur noch ein Plan des Erdgeschosses und ein Bestuhlungsplan des Zuschauerraumes. Orientierung bot das Aachener Theater, das über einen nahezu identisch großen Zuschauerbereich verfügt, mit rund 700 Plätzen. So kam das Duo Leroy/Keppa Schritt für Schritt weiter.
„Nehmen Sie die Höhen. Wir haben uns zum Beispiel an den Sandsteintafeln des Leopold-Hoesch-Museums orientiert und diese gezählt“, erzählt Axel Leroy. Auch das Theater war mit diesen Tafeln verkleidet.
Per Zählung gelangten die Historiker zu einem plausiblen Höhenmaß. Es wurden auch Diskrepanzen offenkundig. Nach einer noch vorliegenden Handwerkerrechnung sollen für das Dürener Theater rote Dachziegel geliefert worden sein. In Berichten von Dürener Zeitung und Volkszeitung wird aber eindeutig ein Dach mit grünen Schindeln beschrieben. Oder Details wie 50 Treppenstufen, die zum dritten Rang hinauf führten. Alles viele kleine Puzzlestücke, die am Ende ein Ganzes ergeben.
Eine Bürgermeister-Idee
Den Wunsch und die Idee, in Düren ein Stadttheater zu errichten, hatte zunächst Oberbürgermeister Hubert Jakob Werners noch vor der Jahrhundertwende. Das ließ sich aber über rund drei Jahrzehnte nicht finanzieren und realisieren. Bürgermeister August Klotz war es, wie die Recherchen von Axel Leroy ergaben, der die Gunst der Stunde erkannte. Der Dürener Industrielle Eberhard Hoesch war enorm vermögend, hatte keine Erben und wollte sich wie schon zuvor auch am Lebensende als Wohltäter für die Stadt betätigen.
Die Theater-Idee flammte wieder auf. „Eberhard Hoesch wollte der Stadt 400.000 Mark und seine Villa übereignen, um auf dem Grundstück das Gebäude zu errichten“, sagt Axel Leroy. Klotz habe ihn dann aber davon überzeugt, dass der Standort am heutigen Hoeschplatz neben der Marienkirche und gegenüber dem Museum der bessere sei. Am Ende gab Hoesch 500.000 Mark sowie Villa und Grundstück. Und der Mäzen schoss mehrmals Geld nach. 800.000 Mark waren es am Ende insgesamt. Umgerechnet (in Goldeinheiten) wären das laut Leroy heute etwa elf Millionen Euro.
Diese üppige Mitgift ließ es an nichts mangeln. Der Kölner Architekt Carl Moritz widmete sich bis ins kleinste Detail auch dem Interieur, entwarf und zeichnete jede einzelne Lampe des Theaters, die dann in Handarbeit hergestellt wurde. Leroy: „Alles Unikate.“ Edle Hölzer, Bronzegitter, teure Stoffe – nur vom Feinsten.
Und das Dürener Haus für darstellende Kunst war auch technisch auf der Höhe seiner Zeit, vielleicht sogar ein bisschen voraus. Es verfügte über eine kombinierte Heizung und Außenentlüftung, war bereits „elektrifiziert“, was zur Entstehungszeit längst nicht für die ganze Stadt galt. So aber gab es allein im Zuschauerraum 800 Glühleuchten.
Auch ein (damals noch nicht überall üblicher) Orchestergraben war vorhanden, die Bühnentechnik opulent – bis hin zur „Maschine zur Erzeugung von Wettergeräuschen“. Das Stadttheater besaß selbst angefertigte Bühnenbilder für 34 Opern und Theaterstücke. Eine Brandmeldeanlage sorgte bei Temperaturen über 40 Grad Celsius für einen Anruf im Rathaus am Markt – gleich nebenan befand sich die Feuerwache an der Weierstraße. Ein schwerer eiserner Vorhang konnte Zuschauer- und Bühnenbereich teilen, wenn der Umgang mit echtem Feuer bei Aufführungen schiefgegangen wäre.
Besonders beeindruckt zeigte sich Axel Leroy, der selbst einmal Inhaber eines Baufachmarktes war, vom Tempo, in dem der Prachtbau entstanden ist. Zwischen Grundsteinlegung am 17. November 1905 und der Eröffnung am 17. Januar 1907 – gegeben wurde „Der Freischütz“ von Karl Maria von Weber – vergingen gerade einmal 14 Monate. Die besonders aufwendigen Innenarbeiten waren in acht Monaten erledigt. Das macht Fachleute sprachlos und ist nach Überzeugung Leroys ein Verdienst des Stadtbaumeisters Heinrich Dauer, der als „ausführender Architekt“ die Arbeiten leitete.
Axel Leroy und Marco Keppa, der 1,5 Millionen digitale Einzelflächen am Rechner zusammenfügte, haben am 21. Oktober eine Menge zu zeigen, was seit mehr als sieben Jahrzehnten nicht mehr sichtbar war. Und auch einiges an Anekdoten zu erzählen.
Das Stadttheater ging am 16. November 1944 beim Bombenangriff unter, ein Sprengkörper landete genau zwischen Bühne und Zuschauerraum und zerstörte die prächtige Innenausstattung nahezu komplett. Einige Jahre später wurden die steinernen Überreste als Baumaterial an anderer Stelle verwendet. Sie sind bis heute vorhanden und bilden weite Teile der Mauer um den Konrad-Adenauer-Park, der damals noch ein Friedhof war.