Förderschulen im Kreis in der Corona-Krise : „Digitales Lernen ist kaum möglich“
Kreis Düren Home-Schooling, Digitales Lernen, aber auch die Einhaltung der notwendigen Hygiene- und Abstandsregeln – all das stellt, Schüler, Eltern und Lehrer derzeit vor große Herausforderungen. Aber wie ist die Situation für Kinder mit Handicap, die an einer Förderschule unterrichtet werden? Lassen sich dort überhaupt alle Regeln einhalten?
Für Verena Schmitz aus Jülich (Name von der Redaktion geändert) klang es wie ein schlechter Scherz, als sie gehört hat, dass die Weihnachtsferien in Nordrhein-Westfalen mal eben zwei Tage früher anfangen sollen. Schmitz hat zwei Kinder, eine 15-jährige blinde Tochter, die die Louis-Braille-Schule in Düren besucht, und einen zwei Jahre jüngeren Sohn, der zum Gymnasium geht. „Home-Schooling“, sagt Schmitz, „war für uns extrem schwierig, weil wir nicht nur die Rolle des Lehrers übernehmen mussten, sondern auch die des Integrationshelfers. Hinzu kommt, dass digitales Lernen für unsere Tochter überhaupt kein Lernmedium ist. Das funktioniert nicht.“
Ähnlich sieht das auch Kerstin Grün-Klingebiel, Schulleiterin der LVR-Louis-Braille-Schule in Düren. Dort werden rund 190 Jungen und Mädchen unterrichtet, die aus dem gesamten Rheinland kommen. Ein Teil der Schüler lebt im Internat auf dem Schulgelände. „Prinzipiell haben alle Schulen ein ähnlich komplexes Aufgabenfeld, die lang anhaltende Krisensituation gut zu meistern. Trotzdem glaube ich schon, dass wir zum Teil besondere Herausforderungen haben.“
Grün-Klingebeil konkretisiert, was sie meint. „Es ist manchmal sehr schwer, aus den Vorgaben des Schulministeriums das herauszulesen, was für unsere Schule wirklich wichtig ist. Wir haben leider bisher die Erfahrung gemacht, dass der Förderschwerpunkt Sehen in den Mails aus Düsseldorf nie berücksichtigt wurde.“
Dabei werden an der Louis-Braille-Schule Schüler unterrichtet, die einen Hauptschulabschluss anstreben, Jungen und Mädchen mit dem Förderschwerpunkt Lernen, solche mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung – fast immer gepaart mit dem Förderschwerpunkt Sehen und anderen körperlichen Behinderungen. Grün-Klingebiel: „Das war ein echtes Puzzlespiel auszuhandeln, welche Maßnahmen für welche Schülergruppe zu realisieren sind.“
Vor dem Hintergrund, dass das Motto „Kein Kind zurücklassen“ eine der wichtigsten Maximen der Schule ist, ergänzt die Schulleiterin, komme man an der Louis-Braille-Schule bei jeder Form des Home-Schoolings an seine Grenzen. „Digitales Lernen ist kaum möglich, wenn man die komplexen Beeinträchtigungen unserer Schüler denkt.“ Wünschenswert wäre, ergänzt Grün-Klingebiel, ein unkomplizierter Einsatz von Helfern. „Das war am Ende des ersten Lockdowns möglich, weil Eltern ja auch plötzlich eine 24-Stundenpflege übernehmen müssen, wenn ihre Kinder zu Hause sind.“
Distanzunterricht ist auch derzeit an der Louis-Braille-Schule immer noch und immer wieder ein Thema. „Wir hatten drei Klassen im Home-Schooling, weil es Coronavirus-Verdachtsfälle gab. Und bei uns werden ja auch Kinder und Jugendliche unterrichtet, die zur absoluten Risikogruppe gehören, teilweise sogar mit Sauerstoff versorgt werden müssen.
Verständlicherweise halten Eltern, diese Schüler häufig lieber zu Hause. Trotzdem sollen diese Kinder ja auch etwas lernen.“ Das Problem: Nicht alle Schüler haben daheim ein zweites Arbeitsgerät, wie sie es in der Schule nutzen. „Und viele brauchen auch zu Hause Hilfe, um das nötige Equipment zu installieren. Und das ist manchmal schwierig.“
Das Einhalten von Abständen und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sei dagegen für den weitaus überwiegenden Teil ihrer Schüler kein Problem. „Unsere Lehrer und Pflegekräfte sind mittlerweile alle mit einer FFP2-Maske ausgestattet. Das klappt gut.“ Schwierigkeiten gab es dagegen beim Schulessen, weil die Louis-Braille-Schule des Landschaftsverbandes Rheinland nicht über eine wirkliche Mensa verfügt. „Wir bekommen derzeit von der LVR-Klinik einzeln verpackte Mittagessen-Portionen, die in den Klassen gegessen werden. So konnten wir auch in dem Bereich die Hygienestandards deutlich erhöhen.“
Bleibt der Busverkehr zur Schule. „Ich habe ein sehr ungutes Gefühl“, sagt Mutter Verena Schmitz, „dass meine Tochter zwei Mal am Tag in einem Bus sitzen muss, der sich nicht sehr von dem unterscheidet, mit dem sie vor der Pandemie unterwegs war. Da macht es meiner Sicht auch nur begrenzt Sinn, wenn in der Schule Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden.“
Kerstin Grün-Klingebiel nennt noch einen anderen Aspekt. „Der Schulträger hat alle bestehenden Fahrzeuge, unabhängig von der tatsächlichen Anzahl der zu befördernden Schüler, eingesetzt. Das ist aus schulischer Sicht nicht immer optimal, weil so Schüler zusammen sitzen, die in unterschiedlichen Klassen unterrichtet werden. Das kann unter Umständen die Infektionskette vergrößern.“
Auf der anderen Seite habe der Landschaftsverband dafür gesorgt, dass für Kinder, die aufgrund ihrer Behinderung keine Maske tragen können, eine Individuallösung gefunden wurde – beispielsweise in Form von Einzeltransporten mit Fahrzeugen, in die ein Spuckschutz eingebaut wurde.
Und Verena Schmitz? Die blickt mit Sorge auf das Treffen der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin am Mittwoch. „Ich hoffe sehr, dass die Schulen offen bleiben und die Ferien nicht deutlich verlängert werden. Das können wir als Familie wirklich kaum stemmen.“