1. Lokales
  2. Düren

Havarie eines Kanals: Das Millionengrab des Wasserverbandes

Havarie eines Kanals : Das Millionengrab des Wasserverbandes

Der Zusammenbruch des Kanals in der Renkerstraße war beispiellos teuer – und hätte verhindert werden können. Das relativ kleine Teilstück ist aber über Jahrzehnte nicht kontrolliert worden. Und so versickerten dort, wo sich anfangs ein vergleichsweise kleines Loch in der Fahrbahn zeigte, über knapp zwei Jahre 12,5 Millionen Euro.

Was sich im Nachhinein als einer der größten Nachkriegsschäden im Dürener Untergrund herauskristallisierte, wäre im Normalfall keine große Sache gewesen: 310 Meter Kanalneubau kosten bei schwierigen Bedingungen vielleicht 300.000 bis 400.000 Euro. Diese Schätzung stammt von dem Verantwortlichen eines Baudezernates im Kreis Düren. Dieser Betrag ist wirklich meilenweit entfernt von den 12,5 Millionen Euro, die nun zur Erneuerung des Kanals in der Renkerstraße vom Wasserverband Eifel-Rur (WVER) aufgewendet worden sind.

Obwohl die Bedingungen hier mehr als schwierig waren, spiegelt dieser um das fast 31-Fache höhere Gesamtbetrag gegenüber dem „Normalfall“ eine Kette von Versäumnissen und unterlassenen Inspektionen über Jahrzehnte wider. Man kann schon sagen, dass hier der empfindlichste Punkt der Dürener Stadtentwässerung in einer Art Blindflug seinem Schicksal überlassen wurde, bis er – zunächst unbemerkt – vollständig zerstört war.

Empfindlich war dieser Punkt, weil die Dürener Abwasserentsorgung ungewöhnlich ist: Es gibt von Untermaubach bis zur Kläranlage in Merken nur eine einzige Röhre und keine Umleitungsmöglichkeiten. Gleichzeitig steht der Kanal in seinem südlichen Teil unter hohem Druck, weil hier nicht nur Fäkalien und Abwässer aus privaten Haushalten fließen, sondern auch die Industrie ordentlich einleitet und besondere Inhaltsstoffe wie Kupfer- und Bleianteile transportiert werden. Das alles rauschte seit Ende der 60er Jahre – wie man heute weiß – durch ein dafür ungeeignetes Teilstück aus normalem Beton. Menge und Inhaltsstoffe haben die 310 Meter Kanal in der Renkerstraße regelrecht zerfressen. Und das blieb unbemerkt, weil die eigentlich gesetzlich zwingenden Inspektionen nicht möglich gewesen seien. Das sagten lange Zeit die Verantwortlichen des Wasserverbands.

Sie vertrauten darauf, dass der Kanal namens Hauptsammler 11 aus dem wesentlich belastbareren Asbestzement bestand. Das ist sowohl vor als auch nach der Renkerstraße der Fall. Aber das war ein folgenschwerer Irrtum.

 Der Bau der beiden Hausanschlusssammler – im Bild die Nordseite – ging dem Neubau des Hauptabwasserkanals voraus.
Der Bau der beiden Hausanschlusssammler – im Bild die Nordseite – ging dem Neubau des Hauptabwasserkanals voraus. Foto: ZVA/Jörg Abels

Vor gut drei Wochen, Ende November, zeigte sich der WVER den Anwohnern der Renker-, Gerhard-Fuß-Straße und Umgebung durchweg freundlich. Zum Abschluss der Arbeiten im Dürener Süden dankte Vorstand Joachim Reichert den dort Wohnenden dafür, dass sie „durch Lärm, Gerüche, Staub, Straßensperrungen und gelegentliche Rückstauereignisse aus dem Kanal erhebliche Beeinträchtigungen ihrer Lebensqualität“ hingenommen hätten. Ein Teilstück des wichtigen Kanal-Hauptsammlers 11 ist erneuert worden. Jetzt werde „was lange währt“ dann „endlich gut“. Dazu gab es einen mit Schokolade gefüllten Adventskalender. Ein Zeichen des Bedauerns enthält das Schreiben aber nicht, sagt Anwohner Alfred Jannes. Und: „Die Anwohner sind auf 180!“

Was sich in dem Schreiben so ein bisschen wie ein Happy End liest, ist mit dem Abschluss der Arbeiten höchstwahrscheinlich nicht beendet. Alfred Jannes ist fest entschlossen, den Wasserverband und andere aus seiner Sicht Verantwortliche für einen Kanal-Zusammenbruch, den man nach seinen Recherchen hätte vorhersehen und verhindern können, nicht einfach so davon kommen zu lassen. Der 72-Jährige ist zwar im Ruhestand, aber ein Profi in der kleinteiligen Recherche.

Als Oberamtsanwalt der Korruptionsabteilung in der Staatsanwaltschaft Köln war er über viele Jahre für einige Großverfahren mitverantwortlich – unter anderem den Skandal um die Müllverbrennungsanlage Köln 2002.

 Alfred Jannes, Anwohner der Renkerstraße, geht nach der Kanal-Havarie mit dem WVER hart ins Gericht.
Alfred Jannes, Anwohner der Renkerstraße, geht nach der Kanal-Havarie mit dem WVER hart ins Gericht. Foto: MHA/Volker Uerlings

Mit dieser Akribie hat Alfred Jannes über Wochen und Monate recherchiert, was Sache ist. Und dabei wurde er auch fündig. Es sei weder eine neue Erkenntnis noch eine Überraschung, dass sich das Teilstück des Kanals vor seiner Haustür über die Jahre praktisch pulverisiert hat. „An der Schadstelle war das gesamte Rohrstück verschwunden“, heißt es in einem Bericht der Bezirksregierung an das Landesumweltministerium. Die Ursache hierfür ist massive Beton-Korrosion, die aber nur in dieser eklatanten Weise entstehen kann, wenn aggressive Abwässer über einen langen Zeitraum auf hierfür nicht geeignete Materialien treffen. Und – siehe oben – genau das ist in dem havarierten Teilstück der Fall.

„Erstuntersuchung“ nach 50 Jahren

Der Wasserverband sah sich außer Stande, bestimmte Teile des Hauptsammlers regelmäßig zu untersuchen, weil der praktisch immer unter Volllast betrieben wird und es keine Umleitungsmöglichkeit gegeben habe. Damit erklärt der WVER auch, warum er seiner gesetzlichen Verpflichtung zur Selbstüberwachung nicht nachgekommen ist. Die Bezirksregierung Köln sagt hierzu übrigens: „Ein Unterlassen der vorgegebenen Inspektionen“ sei von ihr „nicht genehmigt worden“. Mehr noch: In insgesamt fünf Ordnungsverfügungen, die das „schärfste Schwert“ einer Aufsichtsbehörde sind, hat sie den Wasserverband zu Handlungen aufgefordert. In diesen Unterlagen mangelt es nicht an harscher Kritik. So auch in der Verfügung vom 31. Juli 2018, die übrigens wegen fehlender „Erstuntersuchung“ eines zu diesem Zeitpunkt schon fast 50 Jahre alten Kanalstücks ergangen ist.

Der Verband wiederum hat eine Zeitlang angenommen, dass das von ihm 1993 übernommene Abwassernetz auch in der Renkerstraße aus dem geeigneten Material (Asbestzement) besteht. Alfred Jannes sagt, dass der Verband anfangs nicht gut genug recherchiert habe. Ihm nämlich sei es ohne Schwierigkeiten gelungen, die Informationen in alten Protokollen einer Vorgängerinstitution – dem Abwasserverband Rur – aus den 60er und 70er Jahren zu finden. Er hat die Dokumente problemlos im Stadt- und Kreisarchiv Düren einsehen können. Darin ist klar zu lesen, dass das Teilstück Renkerstraße aus normalem Beton bestand.

Inspektion technisch machbar

Mit diesem Wissen wäre es laut Alfred Jannes noch wichtiger gewesen, dieses Teilstück regelmäßig zu untersuchen. Außerdem gab es auch von Seiten der Anwohner immer wieder Hinweise auf Gestank und Fäkalienaustritt. Diese Inspektionen wären sicher sehr aufwändig gewesen, aber möglich. Die technische Machbarkeit zeige die Abwasserumleitung durch Hebeanlagen nach der Havarie 2018, das sieht auch die Bezirksregierung Köln so, wie dem Schriftverkehr zu entnehmen ist.

Möglicherweise wollte sich der WVER dieses teure Verfahren sparen. Ein früherer Beschäftigter des Wasserverbandes nannte gegenüber der Redaktion eine weitere Möglichkeit, den Kanal zu untersuchen: Man hätte die Zeit am Jahresende nutzen können, weil dann ein großer Teil der Industrieeinleiter in Betriebsferien geht und die Wassermengen in dem Teilstück deutlich sinken. „Man hätte nur die Betriebe, die weiterproduziert haben, vom Gegenteil überzeugen müssen. Aber man hat sich wohl nicht getraut“, sagte der Mann, der der Redaktion namentlich bekannt ist.

Was macht diesen Fall jetzt so folgenreich? Die Havarie und ihre Beseitigung haben 12,5 Millionen Euro gekostet, allein fast fünf Millionen Euro davon entfallen auf den Einsatz der gemieteten Heberleitung, mit der das Abwasser umgeleitet worden ist. Diese Kosten werden der Stadt Düren in Rechnung gestellt und auf die Abwassergebührenzahler umgelegt, wenn auch nicht auf einen Schlag, sondern in Etappen.

Alfred Jannes und einige Anwohner der Renkerstraße sind der Meinung, dass hier weder der Versuch unternommen worden ist, möglicherweise eine Haftpflichtversicherung des Verbandes in Anspruch zu nehmen, noch über den Verband selbst diese Kosten zu minimieren. Der Anwohner: „Es wäre seit 1993 und der Übernahme des Netzes durch den WVER möglich gewesen, in einem Inlinerverfahren Kunststoffrohre in dem Teilstück zu verlegen. Und der ganze Schlamassel wäre nicht nötig gewesen!“

Das sagte übrigens der frühere Verbandsvorstand selbst – und zwar im Jahresbericht 2013, der unserer Zeitung vorliegt. Doch der Zeitpunkt für diese im Vergleich zu heute viel günstigere Lösung wurde verpasst – warum auch immer.

Der Verband habe über Jahre trotz vieler Hinweise „wenig freiwillig gemacht“, sondern immer nur reagiert. Das wirft Alfred Jannes dem WVER vor – und auch Politikern, die den Verband kontrollieren sollten. Der 72-Jährige ist nicht bereit, die Folgen hierfür in Form seines Gebührenbescheides zu übernehmen. Nicht nur Jannes hat daher Widerspruch gegen den Schmutzwasserbescheid der Dürener Stadtentwässerung eingelegt. Er ist auch fest entschlossen, den Vorgang juristisch prüfen zu lassen. Wenn es dazu kommt, hätte das kleine Loch in der Fahrbahn tatsächlich den größtmöglichen Schaden nach sich gezogen.