Pflegedienste in Corona-Zeiten : Damit alle Patienten zu Hause versorgt sind
Eschweiler/Aachen Die Pflegedienste in der Städteregion sind in der Corona-Pandemie besonders gefordert. Sie setzen auf Schutzmaßnahmen, Tests und die Hilfe von Angehörigen. Doch was ist, wenn Pflegekräfte oder Patienten erkranken?
Sie haben zahlreiche Kontakte trotz Lockdowns und versorgen hoch vulnerable Gruppen. Gleichzeitig müssen sie sicherstellen, dass sie nicht selbst am Coronavirus erkranken: die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ambulanten Pflegediensten. Jeden Morgen geht’s rein ins Dienstfahrzeug. Und wenn ein Patient infiziert ist, der weiter versorgt werden muss, dann ziehen sich die Frauen und Männer Schutzkleidung an und versorgen die Menschen. Die Patienten nicht alleinlassen – das ist auch in diesen Tagen das Anliegen der ambulanten Pflegedienste.
Im Alltag ist das aber eine Herausforderung, wissen Petra Massarczyk, Pflegedienstleitung der Caritas-Pflegestation Aachen-Nord/Nordwest/Ost, und Josif Cvetkovski, Referatsleiter für Pflege beim Caritasverband für die Regionen Aachen-Stadt und Aachen-Land.
Rund 1280 Patienten versorgen die Pflegestationen im Einzugsgebiet des Verbandes mindestens einmal pro Monat. Schon zu Beginn der Pandemie standen große Fragen im Raum: Was, wenn gleich mehrere Pflegekräfte erkranken? Werden infizierte Patienten weiter besucht? Und wie läuft es, wenn ein Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird?
Patienten in Kategorien eingeteilt
Für die Menschen soll weiter gesorgt werden, so viel ist klar. Doch nicht immer wird der Pflegedienst einspringen können, sollten zu viele Ausfälle beim Personal zu beklagen sein. Zunächst greife man dann auf die Ressourcen innerhalb der Caritas zurück: „Wir würden Pflegekräfte unabhängig von der ‚Heimatstation‘ im gesamten Einzugsgebiet einsetzen“, erläutert Josif Cvetkovski. Sollten dann noch nicht genügend Kräfte zur Verfügung stehen, könnte es sein, dass einzelne Patienten nicht mehr vom Pflegedienst besucht werden.
Um dies zu vermeiden, werden die Patienten von der Pflegedienstleitung wöchentlich neu in drei Kategorien eingeteilt, erläutert der Referatsleiter: rot, gelb und grün. In den Kategorien „grün“ und „gelb“ sind die Patienten, die einige Zeit ohne einen Pflegedienst auskommen, und solche, bei denen Angehörige einspringen können. In der Kategorie „rot“ finden sich diejenigen, die nicht durch ein soziales Netz aufgefangen werden, oder bei denen Arbeiten anfallen, die Angehörige nicht mehr leisten können, beispielsweise schwierige Verbandswechsel oder regelmäßige Medikamentengabe.
Aber: „Weit über die Hälfte unserer Patienten fällt in die Kategorie ,rot’“, sagt Cvetkovski. Sollten zu viele Pflegekräfte krank sein, um die Versorgung zu leisten, dann müsse noch einmal nachjustiert werden. „Dieses Szenario ist den Patienten schon zu Beginn der Pandemie in einem Infobrief mitgeteilt worden. Sollte es dazu kommen, werden die Patienten und deren Angehörige selbstverständlich so früh wie möglich informiert“, ergänzt er.
Vor einem ähnlichen Problem stehen auch Georg Pähler und Norbert Vongehr, Leiter und Inhaber des ambulanten Krankenpflegedienstes Cura in Eschweiler: „Die Stimmung ist bedenklich und angespannt“, sagt Pähler deutlich. Erst kürzlich gab es den ersten Mitarbeiter, der als Corona-Erstkontakt galt und daher in Quarantäne musste.
Das heißt: Eine Pflegekraft weniger, neue Dienstpläne und immer die Sorge, dass sich noch weitere Kolleginnen und Kollegen anstecken könnten. „Wir haben es zwar bisher sehr gut geschafft, das Virus aus unserem Unternehmen herauszuhalten. Aber der Aufwand, den wir dafür betreiben, ist gigantisch“, sagt der erfahrene Krankenpfleger, der vor rund 30 Jahren den Dienst in Eschweiler gründete.
Ein verschärfter Hygieneschutz, aber auch hoher psychischer Aufwand setzen den Pflegekräften zu. Die Sorge vor einer Infektion hängt über ihnen wie ein Damoklesschwert. Noch ist es nicht passiert, dass Patienten von seinem Team nicht mehr hätten versorgt werden können, aber wenn doch einmal eine größere Anzahl von Mitarbeitern erkranke, könne dieser Fall eintreten. „Sicherlich müssten wir dann überlegen, welcher Patient Vorrang hat und wo Angehörige pflegerische Aufgaben übernehmen könnten. Sonst muss ein Plan B her.“
Um das zu verhindern, sieht Pähler die Bevölkerung gefragt: „Die Menschen müssen verstehen, dass nicht nur die Krankenhäuser und Altenheime Großes leisten. Auch die ambulanten Dienste machen eine außergewöhnlich gute Arbeit in der Zeit der Pandemie“, sagt er.
Weniger Absagen als im Frühjahr
Pflegedienstleiterin Petra Massarczyk sieht sich und ihr Team trotz aller Widrigkeiten auf die Situation gut vorbereitet: „Man kann schon sagen, dass eine gewisse Anspannung herrscht“, sagt sie zwar, aber Panik gebe es nicht, wohl auch wegen der klaren Absprachen und Regeln. Die Sicherheit, die dadurch entstehe, wirke sich nicht nur auf die Pflegekräfte aus, sondern auch auf die Patienten.
Anders als im Frühjahr gebe es nur wenige Menschen, die aus Angst vor einer Ansteckungen auf die Unterstützung durch die Pflegerinnen und Pfleger verzichten: „Im Gegenteil, wir haben eine sehr hohe Nachfrage an Neuaufnahmen“, sagt Massarczyk. „Wir können gar nicht alle Patienten aufnehmen. Es gibt Patienten und Angehörige, die bei uns anrufen und sagen, dass sie keinen Pflegedienst in Aachen finden, der sie aufnehmen kann.“
Deutliche Kritik äußert Referatsleiter Cvetkovski am Vorgehen der Politik. Der Gesetzgeber fordere viel von den Pflegediensten – wie von vielen anderen medizinischen Einrichtungen –, lasse sie aber mit der Umsetzung allein. Das gelte auch für die Tests der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter: Schulungen, Material, Räumlichkeiten – all das mussten die Pflegedienste neben ihren regulären Aufgaben selbst organisieren. So sind etwa die Büros der Pflegestation gar nicht für medizinische Behandlungen ausgestattet.
Das heißt: „Wenn wir die Mitarbeiter testen, bauen wir ein Büro zu einem kleinen Testzentrum um. Und wenn alle getestet sind, wird es wieder zum Arbeitsplatz“, schildert Massarczyk. Erst seit Dezember werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter überhaupt regelmäßig getestet. Und erst seit dem 16. Dezember sieht die Coronaschutzverordnung verpflichtende Tests jeden dritten Tag vor, zusätzlich müssen die Mitarbeiter nun FFP2-Masken tragen.
„Bisher haben wir noch kein positives Ergebnis gehabt“, sagt Petra Massarczyk. Zusätzlich zu den Tests sind die Pflegekräfte auch angehalten, sich täglich vor Dienstbeginn anhand eines standardisierten Systemkontrollbogens genau zu beobachten. Sollten Symptome auftreten, kann die Pflegekraft zur jeweiligen Pflegestation kommen und einen symptombezogenen Schnelltest machen, bevor es in den Dienst geht – unabhängig von den wöchentlichen Tests. Sollte das Ergebnis positiv sein, ist die Betroffene aus dem Dienst raus und wird sofort ins Testzentrum geschickt, um einen PCR-Test zu machen. Die Anordnung einer Quarantäne erfolgt dann durch das Gesundheitsamt.
Die Patienten werden derweil nicht durch den Pflegedienst getestet. Das wäre nicht zu stemmen: „Allein bis das Testergebnis vorliegt, braucht es 15 Minuten. Mit den Vor- und Nacharbeiten wären es schon 20 Minuten. Dazu kommt die Anfahrt, die im Durchschnitt sechs Minuten dauert. Das heißt: rund eine halbe Stunde pro Test pro Patient“, erläutert Cvetkovski. Er hat auch berechnet, wie viele Vollzeitkräfte er dafür zusätzlich bräuchte: 17. Diese würden dann pro Woche jeweils maximal 75 Patienten testen. So viele zusätzliche Kräfte gebe es gar nicht. „Wir müssen daher eine Entscheidung treffen, was wichtiger ist. Die Versorgung der Patienten oder die Schnelltests?“
In einem solchen Fall entscheide man sich natürlich für die Versorgung der Patienten. Die Pflegekräfte sind weiterhin dazu angehalten, die Patienten zu beobachten. Sollte einer wegen spezifischer Symptome auffallen, heißt es für die Pflegekräfte: zurück zum Auto, Schutzkleidung an, Patient versorgen – und dann direkt einen Test veranlassen.
Augenmerk auf Palliativteam
Beim Pflegedienst Cura legen die Inhaber derzeit ein besonderes Augenmerk auf ihr Palliativteam. Dieses ist auch in den stark betroffenen Pflegeheimen im Einsatz, um dort Sterbende zu begleiten. „Wir kennen die Problematik also nicht nur im ambulanten Dienst, sondern auch in den Heimen. Die Zahlen können auch in Eschweiler weiter ansteigen, und die Sorge ist groß, dass die palliative Versorgungsstruktur nicht adäquat aufrechterhalten werden kann. Das Abschiednehmen würde dann zum Teil wegfallen, was eine Katastrophe für die Patienten selbst, aber auch für die Angehörigen wäre“, schildert Georg Pähler. „Das ist eine große seelische Belastung für alle.“
Einen Grund für die hohen Fallzahlen sieht er im verspäteten Handeln der Politik: „Der Lockdown kam eindeutig zu spät. Das hätte besser organisiert werden müssen. Außerdem muss die Politik mit offenem Visier kommunizieren“, sagt Pähler.
Für Josif Cvetkovski spielt noch ein weiterer Punkt eine wichtige Rolle: „Die Politiker suggerieren, dass alles funktionieren würde“, sagt er. „Die Menschen, die in der Pflege arbeiten, merken aber, dass es hakt.“ Als im Frühjahr Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprach, die Krankenhäuser, Pflegedienste und Seniorenheime mit Masken auszustatten, besorgte Cvetkovski lieber selbst welche.
„Hätten wir uns auf die Lieferung durch den Staat verlassen, hätten wir 14 Tage keine Masken gehabt, weil diese erst mit Verspätung bei uns eingetroffen sind“, sagt er. „Mich ärgert auch, dass aktuell über Silvester und Glühwein-Stände diskutiert wird, aber nicht über die Pflegekräfte und Ärzte, die an Weihnachten auch gerne einen Tag frei hätten. Sie müssen arbeiten – und kommen einfach vom Limit nicht mehr runter.“
Und auch mit der Wertschätzung sei das so eine Sache: Klatschen und Bonuszahlungen allein sind nicht das, was den Pflegeberuf attraktiv mache. „Wir brauchen bessere Arbeitsbedingungen, über die aktuelle Krise hinaus. Wenn sich die Pandemie eines Tages wieder beruhigt, dann sollten wir nicht wieder an demselben Punkt stehen wie vorher. Das ‚Schulterklopfen‘ muss weiter gedacht werden. Sonst habe ich Angst, dass die Menschen, die gerne in der Pflege arbeiten und ihren Job lieben, eines Tages sagen: ,Ich habe gar keinen Bock mehr.‘“
Georg Pähler appelliert derweil noch einmal an die Gesellschaft: „Ich mache mir Sorgen, dass die Krankheit und die Situation weiterhin nicht so ernst genommen werden, dass die Probleme nicht gesehen werden.“ Die größte Wertschätzung für ihn ist daher nicht der Applaus von den Balkonen: „Ich brauche Ordnung, Disziplin, Demut und ein vernünftiges soziales Verhalten der Bevölkerung“, sagt er. „Dann werden mir als Leiter eines ambulanten Dienstes schon viele Sorgen genommen.“