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Ungewollte Schwangerschaften: Zahl der Konfliktberatungen in Aachen deutlich gestiegen

Ungewollte Schwangerschaften : Zahl der Konfliktberatungen in Aachen deutlich gestiegen

Die Schwangerschaftsberatungsstelle „donum vitae“ in Aachen hat ihren Jahresbericht 2022 vorgelegt. Beraterinnen erläutern, warum immer mehr Familien in Not geraten.

Die Zeiten sind unsicher, das Geld reicht vorne und hinten nicht. Und ausgerechnet dann ein Baby? Nicht geplante Schwangerschaften haben im vergangenen Jahr deutlich mehr Frauen in der Städteregion Aachen in Konflikte gestürzt. Die Zahl der Schwangerschaftskonfliktberatungen bei „donum vitae“ lag 2022 um 24 Prozent höher als im Jahr zuvor. Die Fallzahlen stiegen von 295 auf 365.

Für das Beraterinnen-Team der staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangere in Not- und Konfliktsituationen ist dieser Anstieg ein deutlicher Hinweis, wie sehr das Jahr, das geprägt war durch Ukraine-Krieg und Flucht, durch Inflation und steigende Lebenshaltungskosten, viele Familien in Aachen und Umgebung mitgenommen hat. „Und die Hauptbelastung tragen die Frauen“, stellt Beraterin Heidi Dirks immer wieder fest. „Wir erleben unsere Klientinnen wirklich erschöpft. Viele Frauen haben keine Kraft mehr.“

Gemeinsam mit Ulrich Schwering, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Regionalverbands Aachen-Stadt und Aachen-Land, stellten Dirks und ihre Kollegin Martina Hartmann jetzt den Jahresbericht 2022 vor. Nicht nur die allgemeine Teuerung, auch lange Wartezeiten auf Termine beim Amt oder auf die Bewilligung von Anträgen bereiteten Familien große Probleme, stellen die Beraterinnen fest. „Viele kommen schon mit der digitalen Terminvergabe bei den Behörden nicht zurecht“, beobachtet Dirks. „Und dann dauert es bei Anträgen ewig, bis Geld fließt“. Hier wirke sich der allgemeine Fachkräftemangel ganz dramatisch aus. Allein die teils monatelange Bearbeitungszeit beim Elterngeld in der Städteregion stürze manche Familie in existenzielle Nöte.

Die Schwangerschaftskonfliktberatung mit 365 Fällen im vergangenen Jahr und die Sozialberatung (793 Fälle) waren auch 2022 nur zwei Felder, auf denen „donum vitae“ aktiv war. Gefragt war zum Beispiel auch Beratung zu Familienplanung und Verhütung, zum Thema vorgeburtliche Diagnostik oder bei Kinderwunsch sowie nach Schwangerschaftsabbruch, Fehl- oder Totgeburt.

In der Beratungsstelle sollen Frauen und Paare auch Raum für die Trauer um ein Kind finden. „Bei einem Spätabbruch müssen Eltern sich in der Regel von ihrem Wunschkind verabschieden, bei dem eine Krankheit oder Behinderung diagnostiziert wurde“, erklärt Heidi Dirks. „Sie trauern um ein Kind, auf das sie sich schon gefreut haben.“ Bei Fehlgeburten ende die Schwangerschaft plötzlich und ohne Vorbereitung. „Das kann wie ein Schock für die Eltern wirken.“ Und auch bei einem Abbruch bis zur zwölften Schwangerschaftswoche sei Trauer ein Thema.

Sehr gefragt sind weiterhin die sexualpädagogischen Gruppenangebote bei „donum vitae“. Allein 2022 nahmen 958 junge Menschen teil. Neue Termine für Gruppen oder Schulklassen gibt es erst wieder im nächsten Schuljahr. Und auch hier gilt wie für alle Angebote der Beratungsstelle ein sensibler Umgang mit der Frage der Geschlechterdiversität, wie Beraterin Martina Hartmann betont.

Natürlich wird die Diskussion um die Zukunft des Abtreibungsparagrafen 218 auch bei „donum vitae“ in Aachen intensiv verfolgt. Nach der Abschaffung des Paragrafen 219a Strafgesetzbuch, der es Frauenärzten verbot, darauf hinzuweisen, dass sie Abtreibungen vornehmen, stellt die Ampelkoalition in Berlin auch den Paragrafen 218 auf den Prüfstand. Eine Kommission soll Wege aufzeigen, wie es künftig weitergeht.

„Die Stigmatisierung von Frauen durch das Strafgesetzbuch muss abgeschafft werden“, ist der stellvertretende Vorsitzende Ulrich Schwering überzeugt. Den Wert der Beratung bei „donum vitae“ habe man allerdings über viele Jahre festgestellt. Die derzeit vorgeschriebene Pflichtberatung möchte man bei „donum vitae“ deshalb gerne beibehalten.

„Nur durch eine Pflichtberatung erreichen wir auch Frauen, die sonst nicht kommen würden“, ist auch Martina Hartmann überzeugt. Schließlich gehe es auch um wichtige Informationen. „Die meisten Frauen, die zu uns kommen, wissen nicht, wie ein Abbruch abläuft und wie die Kostenübernahme geregelt ist.“ Zum Beispiel, dass bei Geringverdienern das Land die Kosten für den Abbruch übernehme.

„Die Frauen müssen eine Entscheidung treffen“, sagt Heidi Dirks, „aber unser Job ist es, sie dabei zu unterstützen.“ Wenn die Beratungspflicht beibehalten werde, müsse das aber nicht über das Strafgesetzbuch geregelt werden, ist Ulrich Schwering überzeugt. Um die Meinung ihrer Klientinnen zu dem Thema Beratung zu erfahren, verteilt das Aachener Beraterinnen-Team mittlerweile Fragebögen an die Klientinnen. Eine Frage darauf: „Wären Sie auch ohne Beratungspflicht zu uns gekommen?“