Zurückgeblättert : Wenn sich im Stadtrat nur die Herren fetzen
Serie Aachen Blättern wir einmal zurück, heute vor 50 Jahren. Was stand in den Tageszeitungen am 23. Januar 1971? Eine kleine mediale Zeitreise, von Ratsherren, Hausfrauen und ganz besonderen Angeboten...
Wer die Tageszeitung von diesem Tag aufschlägt, liest einen markigen Satz: „Jetzt haben die Bürger das letzte Wort.“ War man vor einem halben Jahrhundert schon weiter als 2021? Bürgerbeteiligung ist ein großes Wort heutzutage, mehr Transparenz, mehr Dialog. Die Schlagzeile der Aachener Volkszeitung aus dem Jahr 1971 kann leider nicht halten, was sie verspricht. Bürgerbeteiligung war vor 50 Jahren noch ein sehr zartes, kleines Pflänzchen.
Immerhin: Man ging auch medial neue Wege. Die Aachener Nachrichten veröffentlichen einen Vordruck, den der politisch Interessierte ausschneiden, ausfüllen und per Postkarte an die Verwaltung schicken kann. Schöne analoge Zeit.
Das Kármán-Forum
Worum ging es? Die Bebauung des Areals, auf dem heute unter anderem das Kármán-Forum steht, war damals, wie schon einmal in dieser Serie berichtet, ein ganz großes Streitthema. Wie soll die neue Mitte aussehen? Nur als Wissenschafts-Campus? Oder als Mischgebiet mit Wohnen, Geschäften und Restaurants? Seit langem wird darüber disputiert.
Ende Januar 1971 endet die Möglichkeit auch für Otto-Normalbürger und seine Gattin, Anregungen und Bedenken vorzutragen. Der Hinweis auf beiderlei Geschlechts kommt an dieser Stelle nicht nur wegen der aktuellen Debatte um Geschlechtergerechtigkeit der Sprache. Vielleicht wäre er vor 50 Jahren auch schon ein guter Ratgeber gewesen.
Zeitgeist in vielerlei Hinsicht dokumentiert sich nämlich in dieser Formulierung der Aachener Volkszeitung: „Am 2. Februar müssen alle Anregungen der Bürger ... vorliegen. Dann werden sich die Ratsherren mit dem Fragenkomplex befassen.“ Herren! Damit sind auch die Ratsfrauen gemeint. Klar. So einfach war das. Und so gut, dass das Geschichte ist. Übrigens: 30 Sitze hatte die CDU damals im Stadtrat, 21 die SPD. Nur vier Christdemokratinnen hatten es bei der Kommunalwahl 1969 ins Rathaus geschafft, die SPD zählt zwei Genossinnen in ihrer Ratsfraktion.
Es wird also auch vor 50 Jahren fleißig an der Sanierung der Stadt gebastelt. Auch was das Straßennetz angeht. Autogerecht natürlich. Alles andere ist kein Thema. Einer der „gefährlichsten Verkehrsengpässe in der Innenstadt verschwindet“, lautet eine Bildunterschrift. Und man sieht den Karlsgraben. Was mag den Menschen damals eine solche Furcht eingeflößt haben? Man schaut auf das Foto und wundert sich. Denn jetzt soll die Straße schön breit werden, damit möglichst viel Verkehr mitten in die City passt. Zeitgeist eben.
Ein „Volksthermalbad“
Spaßig liest sich auch die Berichterstattung über die jüngste Ratssitzung. In der sich – natürlich – die Ratsherren fetzen. Eine Ratsfrau schafft es nicht in den Zeitungsbericht. Es ist nicht überliefert, ob sich nur die Herren in der Sitzung zu Wort gemeldet hatten, oder ob der Chronist gendermäßig zensierte ... Um welche Themen ging es damals? Das Fehlen eines „Volksthermalbades“ wird bedauert, dafür fordert man vehement den Bau einer Eisbahn an der Peterstraße. Ansonsten wird in dem Bericht viel von politischer „Traumtänzerei“ geschrieben. Und geneigte Leserinnen und Leser der damaligen Zeiten erfahren viel über persönliche Scharmützel der – natürlich – Ratsherren, inhaltlich ist es eher dürftig.
Im Stadtrat agieren also CDU und SPD, von anderen Parteien ist nicht die Rede. Die FDP hatte es 1969 nicht in den Rat geschafft. Die Grünen als Partei waren Anfang der 1970er Jahre noch nicht einmal eine Idee. Aber: Umweltschutz als politische Aufgabe machte von sich reden. Die Aachener Nachrichten berichten an jenem 23. Januar 1971 von der Gründung der „Interessengemeinschaft Umweltschutz“. Ein zartes Pflänzchen noch. Heißt es in dem Artikel doch: „Als echter Partner der Bürger will die Interessengemeinschaft nicht nur Anregungen zum Umweltschutz fördern, sondern zugleich auch übertriebene Initiativen dämpfen.“ Mit Volldampf voraus auf die Bremse getreten sozusagen. Aller Anfang ist halt schwer.
Wie immer lohnt sich natürlich ein Blick in den Anzeigenteil der Tageszeitungen. Leicht verwundert wird man da registrieren, womit sich der Energieversorger Stawag vor 50 Jahren auch befasste. In großer Aufmachung wirbt das Unternehmen für seine eintägigen – Schlankheitskurse! Unkostenbeitrag 3 Mark, Teilnahme nur bei rechtzeitiger Anmeldung. Übrigens: Die Stawag residierte damals noch mitten in der Stadt, am Markt. Nah am Bürger und an dessen Übergewicht sozusagen.
Auch das ist glücklicherweise Geschichte: Gleich zwei „Pelzhäuser mit eigener Nerzfarm“ werben für ihre Produkte. Die Kollegen aus der Lederabteilung bieten Handtaschen in „Kroko und Schlange“ an. Kennen Sie das noch? Winterschlussverkauf? Damals, als die Menschen ihre Nasen an den Glastüren plattdrückten, um die ersten Schnäppchenjäger am Wühltisch zu sein?
Der Kaufhof schaltet eine ganzseitige Anzeige zum WSV-Beginn am darauffolgenden Montag um 8 Uhr. Frottiertücher für zwei Mark, Damenkleider für 19 und Herrensocken für 1,50 Mark. Der Hinweis ist dann wohl dem Unternehmen wichtig: „Eigenes Kreditbüro. 500 Parkplätze.“ Das damalige Kaufhaus Horten, später Lust for Life (und jetzt gar nichts mehr) hat eine klare Zielgruppe: „An alle Hausfrauen! Achten Sie am Montag auf sensationelle Angebote.“
Schutzimpfung
Corona? 1971 noch nicht einmal eine Biersorte. Aber Impfen war wohl ein Thema. Der Oberkreisdirektor, eine Art Städteregionsrat der damaligen Zeit, schaltet eine Anzeige zur Impfaktion gegen Kinderlähmung. Kinderlähmungsleugner und -verharmloser soll es damals übrigens nur ganz vereinzelt gegeben haben. Impfbücher sind unbedingt mitzubringen, hieß es damals. Wer sich heute, das heißt demnächst, gegen Corona impfen lassen möchte, kann das auch tun, muss es aber nicht ...
Und wie ist das Freizeitangebot an diesem Samstag vor 50 Jahren? Das Stadttheater spielt Salome, Don Giovanni und das Märchen Prinzessin Huschewind, im Grenzlandtheater steht „Tut was ihr wollt“ auf dem Plan. Und die Kinos bieten die ganz breite Palette von Edgar Wallace („Das Geheimnis der weißen Nonne“) über „Der Clan der Sizilianer“ bis hin zu Schmuddelkram à la „Barbara, die Unkeusche“, „Mazurka im Bett“ oder – „wegen der vielen Nachfragen“ – Schulmädchenreport an. Dann schon lieber Sinnesfreuden für den Magen. Zum Beispiel im neu eröffneten Mandarin an der Hotmannspief – „mit über 100 chinesischen Spezialitäten“ oder im „Wald-Restaurant Neu Linzenshäuschen“ – „mit eigenem Parkplatz für 150 Personenkraftwagen“.