Neue EU-Verordnung : Weil die Farben verboten sind, sehen Tätowierer schwarz
Aachen Jetzt ist es amtlich: Die meisten etablierten Farben, mit denen Tätowierer arbeiten, sind verboten. Alternativen gibt es jedoch kaum. Wie gehen Aachener Tattoo-Studios damit um?
Die Sonne auf dem Unterarm ist eine doppelte Premiere. Für Niclas Metzger, der sich zum ersten Mal tätowieren lässt. Und für Céline Gaspers, die mit der Nadel erstmals die für sie neue Farbe unter die Hand sticht. Die 34-Jährige musste ihre Produktpalette anpassen. Gezwungenermaßen. Seit diesem Dienstag ist der Großteil der Farben, mit denen Tätowiererinnen und Tätowierer teilweise seit Jahrzehnten arbeiten, verboten. Das liegt an der sogenannten Reach-Verordnung der Europäischen Union. Sie verbietet viele Inhaltsstoffe in den Flüssigkeiten oder belegt sie mit Grenzwerten, da sie aus Sicht der EU potenziell gefährlich oder nicht ausreichend erforscht sind. Für viele bisher gebräuchliche Produkte bedeutet das faktisch das Aus.
Auch für die Farben, mit denen Céline Gaspers seit 2014 in ihrem Studio in der Viktoriastraße arbeitet. Sie musste sämtliche bewährten Farben entsorgen. Nur: Alternativen gibt es bislang kaum. Zwar wurde das Verbot schon 2020 beschlossen, mit der entsprechenden Übergangszeit bis Anfang 2022. Allerdings haben die Produzenten – die meisten Tattoo-Farben kommen aus den USA – nicht rechtzeitig auf die EU-Verordnung reagiert. Mit den entsprechenden Folgen für die ohnehin schon vom Lockdown gebeutelte Branche.
„Ich kann erstmal nur Termine für Tattoos in Schwarz anbieten“, bedauert Céline Gaspers. Für Tattoo-Neuling Niclas Metzger ist das zwar kein Problem. Die Sonne auf seinem linken Unterarm sollte ohnehin nicht farbig leuchten. Andere Kunden muss Gaspers allerdings bis auf weiteres vertrösten. Wann bunte Farben, die den EU-Richtlinien entsprechen, auf den Markt kommen, sei völlig unklar, sagt Gaspers. Eigentlich hätten sie schon längst da sein sollen. Bestellen konnte sie bislang jedoch nur schwarze Tinten. Selbst dabei sei sie zunächst auf der Warteliste gelandet. „Und wenn die Farben da sind, wollen diese natürlich alle Tätowierer gleichzeitig bestellen“, stellt sich die Tätowiererin auf Lieferengpässe ein.
Andreas Coenen, 51, steht diesen neuen Produkten skeptisch gegenüber. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist er als Tätowierer tätig. 1997 eröffnete er sein Studio „The Sinner and the Saint“ in der Sandkaulstraße. Seit 2016 organisiert der Wahaachener die „Kaiserstadt Tattoo Expo“, die in Nicht-Corona-Zeiten renommierte Tattoo-Künstler aus der ganzen Welt nach Aachen lockt. Für ihn sind Tattoos keine Modeerscheinung, sondern eine mehr als 1000 Jahre alte Kultur.
Viele Pigmente, die unter die Haut gestochen werden, kämen teilweise schon seit 60, 70 Jahren zum Einsatz, betont er. Die neuen Farben, die jetzt erst auf den Markt kommen, seien zwar legal, aber nicht erprobt. „Wir werden gezwungen, Farben zu verwenden, die noch nie fürs Tätowieren genutzt wurden“, kritisiert er die EU-Verordnung. Mehr noch: „Es gibt keine wissenschaftliche Begründung für die Gefahren, die aus Tätowierfarben entstehen sollen. Das sind alles Vermutungen“, sagt er. Das betonten mittlerweile auch mehrere Experten. Wie sich Tattoos langfristig auf die Gesundheit auswirken, ist bislang jedoch kaum wissenschaftlich untersucht worden.
Andreas Coenen rechnet damit, dass die erneute Flaute in der Branche einige Tattoo-Studios in finanzielle Schwierigkeiten bringen könnte. Ebenso schwer wiege eine mögliche Verlagerung auf den Schwarzmarkt. Dieser könnte in nächster Zeit ziemlich bunt ausfallen. Das könnte deutlich größere Probleme mit sich bringen als die „vermeintlich gefährlichen Farben“, meint Coenen. „Im Untergrund gibt es gar keine Regeln mehr.“ Auch nicht für Hygiene.