1. Lokales
  2. Aachen

Hochwasserschutz in Aachen: Wasserverband will weiterhin zurück zur Natur

Hochwasserschutz in Aachen : Wasserverband will weiterhin zurück zur Natur

Der Wasserverband Eifel-Rur weist Vorwürfe der Naturschutzverbände energisch zurück, die Renaturierung der Flüsse und Bäche zu vernachlässigen. Für den Hochwasserschutz reiche das allein jedoch nicht aus.

Einen Rückfall in die 1960er-Jahre will sich der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) dann doch nicht nachsagen lassen. Entsprechend energisch fällt jetzt die Replik der Verantwortlichen auf eine Stellungnahme des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) Aachen-Land aus.

BUND-Vertreter Udo Thorwesten, früherer Mitarbeiter des Umweltamts der Städteregion, hatte vor wenigen Tagen in unserer Zeitung die Sorge geäußert, dass der WVER beim Hochwasserschutz die falschen Schwerpunkte setze und vor allem die Gewässerrenaturierung vernachlässige. Eingriffe würden meist auf zu engem Raum geplant, weil der Grundstückserwerb zu aufwendig und zeitraubend sei, und „seelenlose Computerprogramme“, so seine Vorwürfe, würden den Wasserabfluss und die Ausformungen der Flusssohlen oder -ufer berechnen. So würden viele Fließgewässer wieder in „steinerne Rinnen“ verwandelt, statt ihnen mehr Freiraum zu geben.

Beim Ortstermin am Haarbach zwischen Eilendorf und Haaren führen WVER-Vorstand Joachim Reichert, Gewässerdezernent Gerd Demny und Gebietsleiter Thorsten Schulze-Büssing hingegen vor Augen, dass die Planungen in der Regel weitaus komplexer sind. Computer werden zwar auch genutzt – etwa für die Berechnungen der Hochwassergefahren –, für die Gewässerkonzepte aber werde geballtes Expertenwissen zusammengerufen.

„Ein Paradebeispiel“

Wasserbauer, Landschaftsplaner, Hydrologen und nicht zuletzt auch Biologen werden eng eingebunden, versichern sie. Manche stapfen sogar durch den Bach, um den Lebensraum genau zu studieren und selbst Kleinstlebewesen eine naturnahe Umgebung zu bieten.

Zu welchen Ergebnissen das führt, ist auf einem kleinen Abschnitt des Haarbachs am Nirmer Platz gut zu sehen. „Ein Paradebeispiel“, wie Reichert findet. Der einstmals von Betonmauern eingefasste Bach kann sich hier seit 2016 wieder ausbreiten und mäandrieren. Ökologisch und städtebaulich ist das ganz klar ein Gewinn. Und dem Hochwasserschutz dient das Ganze sowieso. Wo sich Wasser gefahrlos ausbreiten kann, werden Überschwemmungen an anderer Stelle verhindert. „Die Renaturierung ist immer die erste Maßnahme, die beim Hochwasserschutz geprüft wird“, versichert Demny.

So wurde dem Haarbach vor sieben Jahren auch im Bereich der Kläranlage Nirm die Freiheit zurückgegeben. Mit Millionenaufwand wurde das Gelände bearbeitet und verbreitert. Theoretisch könnte der Bach auch hier mäandrieren, hätten nicht die Biber eingegriffen und mit mehreren Dämmen eine regelrechte Seenlandschaft erschaffen. Die Natur hat sich in jeder Hinsicht machtvoll zurückgemeldet.

In einer dicht bebauten Stadt wie Aachen sind die Möglichkeiten zwangsläufig eingeschränkt – zumal hier viele Bäche verrohrt sind. Doch wo immer es möglich ist, strebe man „einen guten natürlichen Zustand“ an, versichern die WVER-Verantwortlichen. Knapp 2,5 Millionen Euro sind allein in diesem Jahr für Renaturierungsmaßnahmen entlang von Inde, Wurm und unterer Rur eingeplant. 13 Renaturierungsprojekte sollen innerhalb der Städteregion in den nächsten Jahren umgesetzt werden.

Zugleich betonen Reichert, Demny und Schulze-Büssing jedoch auch, dass die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021 einen ungeahnten Handlungsdruck erzeugt hatte. Innerhalb kürzester Zeit mussten enorme Schäden beseitigt werden und Vorkehrungen getroffen, über die bis dahin niemand nachgedacht hatte. Ein sogenannter Sonderunterhaltungsplan wurde aufgelegt, um schnell und pragmatisch handeln zu können.

Gut möglich, dass es so auch zu der umstrittenen Uferbegradigung der Inde im Klauserwäldchen gekommen ist, doch dazu wollen sich Reichert und seine Kollegen ausdrücklich nicht äußern. Wie berichtet, steht eine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen im Raum. Der Naturschutzbund Nabu wirft dem WVER an der Stelle schwerwiegende Schäden in der Auen-Landschaft und an den einstmals naturnahen Uferböschungen vor.

Noch ist nicht klar, ob und wann die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen aufnimmt. Solange soll es seitens des WVER keine Stellungnahmen gegenüber der Presse geben. Ganz allgemein erläutern Reichert und Demny jedoch, vor welchen Herausforderungen der Verband stand. Von den insgesamt 700 gemeldeten Schäden durch die Hochwasserkatastrophe betrafen allein 200 die Gewässer, die von nie gesehenen Sedimentverlagerungen betroffen waren.

An einem einzigen Tag habe es „das Geschiebe von 500 Jahren“ gegeben, sagt Reichert. „Da mussten wir eingreifen“, bekräftigt er, solche Mengen würden sich nicht mehr von allein regulieren. Tausende Tonnen Gesteinsmaterial wurden aus den Flüssen und Bächen der Region geholt. Zu groß war und ist die Angst der Menschen, dass es ansonsten schon beim nächsten Starkregen wieder zu Rückstaus und Überflutungen kommt.

So wurden Flussbetten in den zurückliegende Monaten vielfach eingeebnet, Hindernisse weggeräumt, Ufer befestigt und begradigt. „Es ist immer eine Interessenabwägung“, gesteht Reichert zu. Der Wasserverband bewege sich in einem Spannungsfeld: Auf der einen Seite die Ängste der Menschen vor dem nächsten Hochwasser, auf der anderen Seite der Schutz der Natur.

Die Renaturierung sei wichtig, allein aber noch kein ausreichender Hochwasserschutz, ist Demny überzeugt. Zur Vorbeugung gehörten etwa auch neue Rückhaltebecken, wie sie inzwischen an Vicht und Inde geplant werden. Starke Landschaftseingriffe auch im Zuge dessen.

Naturschutzgebiet Klauserwäldchen

Die Interessen der Naturschutzverbände sollen ausdrücklich einbezogen werden, versichert Reichert. Die Vorhaben des WVER würden stets mit den kommunalen Umweltbehörden und in aller Regel auch im Naturschutzbeirat abgestimmt.

Umso unverständlicher, warum es ausgerechnet im Naturschutzgebiet Klauserwäldchen eine auch gesetzlich vorgesehene Einbeziehung der Naturschutzverbände nicht gegeben haben soll. Über mögliche Versäumnisse und Verantwortlichkeiten will Reichert auch an dieser Stelle wegen der Anzeige nicht sprechen.

Er lässt keine Zweifel, dass ihm ein offenes Gespräch mit den Naturschutzverbänden über die Vorgehensweise an der Inde lieber gewesen wäre als die juristische Auseinandersetzung. Er versichert zugleich, dass die zukünftige Zusammenarbeit dadurch nicht belastet werden soll. „Wir werden weiter miteinander klarkommen.“