Testpflicht im Wechselunterricht : Vier Mal in der Nase drehen und tapfer das Kitzeln aushalten
Aachen Für viele Grundschüler bedeutet die Rückkehr in den Wechselunterricht vor allem eins: der erste Selbsttest ihres Lebens. Ein Besuch in der Katholischen Grundschule Feldstraße.
Um 8.22 Uhr wird’s knifflig. Und das, obwohl die Nase noch ganz entspannt bleiben kann. Konzentriert versucht das Mädchen, die Plastikhülle, in der der sterile Tupfer für den Selbsttest verpackt ist, zu öffnen. Es ist ein Ziehen und Zerren mit den kleinen Fingern. Erst als ihre Klassenlehrerin zur Hilfe kommt, lassen sich die Verpackungsränder voneinander lösen. Puh. Die erste Hürde ist geschafft. Und wenn man Sonderpädagogin Melanie Obiora glauben will, dann wird es auch die größte Schwierigkeit bei der verpflichtenden Selbsttestung sein, der sich an diesem Montagmorgen die Dritt- und Viertklässler in der Katholischen Grundschule Feldstraße unterziehen.
Seit Montag dürfen Kinder und Jugendliche wieder in die Schule. Nach einer Woche Distanzlernen steht jetzt wieder Wechselunterricht auf dem Stundenplan. Lediglich die Abschlussklassen und die Kinder in der Notbetreuung hatten schon in der zurückliegenden Woche ein Klassenzimmer von innen gesehen. Die Rückkehr in den Präsenzunterricht ist durchaus umstritten. Anfang April hatte Schulministerium Yvonne Gebauer (FDP) das Distanzlernen noch mit der „diffusen Infektionslage“ nach den Ostertagen begründet.
Jetzt steht fest: Die Coronavirus-Zahlen steigen kontinuierlich. Trotzdem sind am Montag in der Städteregion Hunderte Kinder und Jugendliche wieder in die Schule gegangen – noch. Die Krisenstäbe von Stadt und Städteregion Aachen meldeten für den Wochenbeginn, an dem die Zahlen üblicherweise geringer ausfallen als im Verlauf der Woche, eine Sieben-Tage-Inzidenz von 154. Am Freitag lag sie noch bei 144.
Aktuell sollen die Schulen ab einer Inzidenz von 200 in dem betroffenen Landkreis geschlossen bleiben. Am Montag ist das in mindestens 21 Kreisen und Städten in NRW der Fall. Wenn der Entwurf für die Bundesnotbremse, auf den sich am Montag die Fraktionen von Union und SPD geeinigt haben, so beschlossen wird, gilt ist Distanzunterricht ab einem Inzidenzwert von 165 verpflichtend.
Grundsätzlich ist Nina Schiffer froh, dass ihre Schule im Aachener Norden öffnen kann. „Gerade hier am Standort ist das wichtig“, sagt die Schulleiterin. Trotzdem spricht sie angesichts der steigenden Fallzahlen von einem „Wechsel der Gefühlslage.“ Zumal die Regeln für den Schulbetrieb seit Beginn der Pandemie nur eine kurze Gültigkeit haben. „Von Schulen wird unheimlich viel Flexibilität verlangt“, sagt sie.
Zu dieser Flexibilität gehört auch, sich in neue Themengebiete einzuarbeiten. So ist Melanie Obiora seit einer Woche nicht mehr „nur“ als Sonderpädagogin tätig, sondern zudem noch Anleiterin von medizinischen Selbsttests. Um den Grundschulkindern den komplexen Ablauf zu erklären, hat sie eine kleine Präsentation vorbereitet, mit der sie jeden Einzelschritt – für die Kinder werden es am Ende der Testung ein gutes Dutzend gewesen sein – erklärt.
Die kindgerecht gestalteten Folien und Tipps für Erklärungen hat sie sich im Internet zusammengesucht. Vom Schulministerium gab es nur die reguläre Gebrauchsanleitung des Selbsttest-Herstellers. Ebenfalls nicht in der Lieferung enthalten waren die bunten Legosteine, die als Arbeitsstation herhalten. In jeden umgedrehten Legostein steckt Obiora ein Röhrchen und befüllt dieses mit genau zehn Tropfen Pufferlösung. Später werden die Kinder eingeständig die Testtupfer mit ihrem Nasenabstrich in die Lösung geben.
Bevor es so weit ist, versucht die Sonderpädogagin den Kindern, für die dies der erste Selbsttest ist, mögliche Ängste zu nehmen. „Ihr braucht gar keine Angst haben. Das ist echt nicht schlimm. Das kitzelt nur ein bisschen“, sagt sie zu der gemischten Klasse „Rot“, in der normalerweise alle vier Jahrgangsstufen gemeinsam unterrichtet werden.
Wegen des Wechselunterrichts sind am heutigen Montag nur die Dritt- und Vierklässler an der Feldstraße. Die Erst- und Zweitklässler sind morgen an der Reihe. Ein Mädchen, das schon letzte Woche in der Notgruppe ihren ersten Selbsttest gemacht hat, warnt ihre Mitschüler vor: „Letztes Mal habe ich so hart geweint.“ – „Aber nicht, weil das wehtut, sondern weil das kitzelt“, stellt ein paar Tische weiter ein Junge klar.
Tatsächlich hört man wenige Minuten später vor allem Gekicher, als die zehn Jungen und Mädchen das Teststäbchen in die Nase einführen („vier Mal im Kreis“). „Ich muss niesen“, lacht ein Mädchen in der letzten Reihe. Ein Junge war mit seinen Eltern am Vortag im Testzentrum und guckt seinen Mitschülern interessiert zu. Wer einen höchstens 48 Stunden alten Negativtest einer anerkannten Teststelle vorlegt, muss nicht an den Selbsttests in der Schule teilnehmen. Sonderpädagogin Obiora wird auch das später genau festhalten. Zu jedem Selbsttest gehört eine genaue Dokumentation: Wie viele Tests wurden ausgegeben? Welche Schüler fehlen? Bei wem schlägt der Selbsttest positiv oder negativ aus? Ist ein Test ungültig und muss wiederholt werden?
Um 8.45 Uhr steht fest: In der halben Klasse „Rot“ sind an diesem Montag alle Selbsttests negativ. Sollte doch ein Test mit zwei Streifen positiv ausfallen, würde das betroffene Kind in einen separaten Raum geführt werden, bis die Eltern es abholen. Die Pädagogen bemühen sich, die Kinder behutsam auf diesen Fall vorzubereiten. „Ein Strich heißt, dass du nur einen Test machen musst. Zwei Striche heißen, dass du zwei machen musst. Einen in der Schulen und einen im Testzentrum oder beim Arzt. Es könnte sein, dass du dann positiv bist. Das muss es aber nicht“, erläutert Obiora mit ruhiger Stimme.
Für heute haben die Schüler es geschafft. Der Unterricht kann mit rund einer Stunde Verzögerung beginnen. Am Mittwoch steht der nächste Test an.