Männer aus Baesweiler schuldig : Nach Gewaltdrama im Aachener Elisengarten sind nun die Urteile gefallen
Aachen/Baesweiler Das Opfer war nach mehreren Messerstichen, die drei junge Männer aus Baesweiler ihm beibrachten, nur knapp mit dem Leben davongekommen. In Aachen ist nun der Prozess zu Ende gegangen.
Es waren lange Verhandlungstage vor der 1. Großen Jugendkammer am Aachener Landgericht. Dort mussten sich drei junge Männer wegen einer blutigen Tat verantworten, begangen spät nachts im Sommer 2022 im Aachener Elisengarten. Damals waren die grünen Grasterrassen hinter der Rotunde, eigentlich ein innerstädtisches Kleinod, mal wieder Schauplatz von Gewalt von und zwischen Jugendlichen geworden.
Nach den Plädoyers fielen am späten Dienstagnachmittag die Urteile gegen die wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagten Zwillingsbrüder Yunus und Isa L. (20) aus Baesweiler, die zusammen mit ihrem Cousin Elyesa Ü. (16) gegen 2 Uhr in der Nacht des 17. auf den 18. Juni 2022 Jagd auf einen ebenfalls erst 20-jährigen Nachtschwärmer gemacht hatten und ihm unmittelbar vor den Stufen am Restaurant Elisenbrunnen einen beinahe tödlichen Stich in Lunge und Leber beibrachten. Er überlebte dank einer Notoperation.
Opfer selbst kein Klosterschüler
Das Motiv war Rache, stellte der Vorsitzende Richter Roland Klösgen in der Urteilsbegründung fest. Die Kammer verurteilte die drei Angeklagten nach Jugendstrafrecht wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Der Verursacher des Messerstichs, Yunus L. erhielt eine Jugendstrafe von drei Jahren, sein Bruder Isa L. kam mit zwei Jahren davon, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der zur Tatzeit erst 15-jährige Cousin erhielt eine Strafe von einem Jahr und acht Monaten, die ebenfalls zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Bewährungsauflage für die beiden letzteren: 100 beziehungsweise im Fall von Isa L. sogar 200 Sozialstunden, die sie nach dem Urteil der Kammer abzuleisten haben. Ein Anti-Gewalt-Training ist eine weitere und zusätzliche richterliche Anordnung.
Dabei war das Opfer, der 20-jährige Richard F. aus Aachen, beileibe kein Klosterschüler. Er hatte auf seinem nächtlichen Weg in Richtung Innenstadt neben einer schwarzen Sturmhaube, einem Dietrich auch eine sogenannte Softair–Pistole im Gepäck, die er wenig später ins Spiel brachte. Und damit begann der erste Akt des nächtlichen Jugenddramas.
Die Nachtschwärmer aus Baesweiler wollten nach ihrem Besuch in Aachens Bordellmeile, der Antoniusstraße, eigentlich gut gelaunt zurück in Richtung Heimat nach Baesweiler fahren. Es war Sommer, sie hatten die Seitenfenster heruntergekurbelt, es war bis dahin eine schöne Nacht. Bis der angetrunkene Richard F. seine Pistole aus der Tasche zog. Die Waffe sah mit Schalldämpfer absolut echt aus, verschoss aber „nur“ Stahlkugeln per Luftdruck.
F. zielte auf das vorbeifahrende Auto – und traf es auch, wie das Gericht später feststellte, Fahrer Yunus L. pfiff eine Kugel sogar am Hals vorbei. Geschockt hielten sie den Wagen an, man beriet sich und der Jüngste gestand hinterher im Prozess, gerade er habe darauf gedrungen, für den Vorfall Rache zu üben.
So stand es auch in der Urteilsbegründung: Den Beschuss durch F. hätten die drei nicht auf sich sitzen lassen wollen, stellte Klösgen am Dienstag fest. Der erfahrene Richter ist Vorsitzender der Aachener Schwurgerichtskammer, in der Kapitalverbrechen wie Mord und Totschlag verhandelt werden. Im vorliegenden Fall urteilt sie als Jugendkammer.
Erst Kopfstoß, dann Messerstiche
Die Tat, die dem Schuss folgte, sei jedenfalls gemeinsam und mit voller Zustimmung aller drei Angeklagten vollzogen worden. Nach der kurzen Beratung im Wagen fuhren sie dem Schützen hinterher. Zum erneuten Zusammentreffen kam es auf der unteren Treppe des Restaurants, wo F. sich hingesetzt und die Pistole anscheinend unmittelbar neben sich gelegt hatte. Die drei Baesweiler hatten den Mietwagen inzwischen auf der Ursulinerstraße vor dem Eiscafé geparkt, der Jüngste hatte einen Schlagstock dabei, Fahrer Yunus L. hielt die Tatwaffe bereit.
F. sah die drei Gestalten auf sich zu stürmen, beschrieb in seiner Polizeivernehmung, er sei eingekreist worden. Wieder griff er zur Waffe und zielte auf die Gruppe. Isa L. war zuerst bei ihm, rammte ihn mit seinem Kopf. Doch der Angegriffene wehrte sich vehement, schlug dem Angreifer nach einem weiteren Schuss die Waffe auf den Schädel. Um seinem Bruder zu helfen, so die Täterversion, habe Yunus dann sein Messer gezogen und zugestochen – nach Erkenntnis des Gerichts einmal mit der Spitze in die Frontseite des Körpers, dann mit einem „wuchtigen“ Stich in die Seite. Das Messer drang zehn Zentimeter tief in den Körper ein, verletzte die Lunge und die Leber.
Der Verletzte schleppte sich in Richtung Theater, warf noch seine Waffe weg und brach dann auf der Höhe des Motel One zusammen. Die drei Täter liefen zu ihrem Wagen, riefen noch „das wollten wir nicht“ und düsten davon. Erst Tage später kam die Polizei auf ihre Spur. Gerade der Ausspruch „das wollten wir nicht“, rekapitulierte Klösgen im Urteil, zeige den gemeinsamen und eben trotz gegenteiliger Bekundungen zuvor gefassten Tatplan des Trios, das die angebliche Schmach eben nicht auf sich sitzen lassen wolle.
Kammer sieht schwerwiegende Tat
Die Verteidiger der drei jungen Männer hatten sich zum Teil darauf berufen, dass keiner vom jeweils anderen gewusst haben wolle, Messer oder Totschläger bei sich zu haben, außerdem habe man nach dem neuerlichen Gebrauch der Schusswaffe quasi aus angenommener Notwehr gehandelt. Die Anwälte beantragten durchgängig Freisprüche oder zumindest Bewährungsstrafen. Weisungen und Erziehungsauflagen im Sinne des Jugendstrafrechts würden völlig reichen. Auch die Vertreter der Jugendgerichtshilfe wandten sich gegen Haftstrafen, die Angeklagten hätten ein geordnetes Elternhaus und es gebe bei ihnen keine „schädlichen Neigungen“ – eine rechtliche Formulierung, die das Jugendstrafrecht beispielsweise für junge Intensivtäter bereithält.
Doch die Kammer mit dem Vorsitzenden Klösgen sah hier eine schwerwiegende Tat: „Ganz egal, was vorher vorgefallen ist, warum man hier selber abstrafen wollte: Hier ist beinahe ein Mensch gestorben. Das ist bei allen Erwägungen, wie es dazu gekommen ist, am Ende beinahe untergegangen.“ Kösgen stellte klar, dass nur der Jüngste mit seinem schonungslosen Eingeständnis, er habe wesentlich mit zum gemeinsamen Tatentschluss beigetragen, am Ende im Verfahren „echte Reue“ gezeigt habe – das habe sich für ihn deutlich strafmildernd niedergeschlagen.