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Ulla Schmidt macht Druck auf Politik In Berlin, Düsseldorf und Aachen

Streit um Behindertenfahrdienst : Wie eine absurde Geschichte ein großes Happyend findet

Aus heiterem Himmel streicht die Städteregion einer hochverschuldeten Behinderten den kostenlosen Fahrdienst. Unsere Zeitung greift den absurden Fall auf, Ulla Schmidt schaltet sich ein, und nach einem halben Jahr lenkt die Verwaltung ein.

Als sie vor ein paar Tagen diesen Telefonanruf erhielt, konnte Marga Meier (Name von der Redaktion geändert) ihr Glück kaum fassen. Man habe ihren Fall noch einmal geprüft, erklärte eine Mitarbeiterin der Städteregionsverwaltung der schwerbehinderten Aachenerin, und dabei festgestellt, dass man sie doch als Härtefall einstufen könne. Und dies bedeute, dass sie den kostenlosen Behindertenfahrdienst wieder nutzen dürfe. Eine Nachricht, die der Seniorin, die wegen einer MS-Erkrankung seit Jahrzehnten auf einen Rollstuhl angewiesen ist, die Freudentränen in die Augen trieb. Doch bevor es jetzt zu diesem Happyend kam, schwebte Marga Meier ein halbes Jahr zwischen Hoffen und Bangen.

Denn im August 2020 hatte kein Anruf, sondern ein Brief der Behörde die Frau tief ins Tal der Tränen gestürzt. Für sie völlig überraschend wurde ihr da mitgeteilt, dass ihr die kostenlose Nutzung des Behindertenfahrdienstes, der ihr seit vielen Jahren zumindest ein Minimum an Teilhabe am sozialen Leben ermöglichte, gestrichen werde. Der Grund: Das Haus, in dem die Behinderte seit über 20 Jahren lebt, sei zu wertvoll. Wegen dieses „Vermögens“ habe sie keinen Anspruch auf Unterstützung.

Immer stärker verschuldet

Dass dieses Haus, das Marga Meier seit dem Tod ihres Mannes vor einigen Jahren mit einer ständigen Pflegekraft bewohnt, mit hohen Hypotheken belastet ist, spielte in der Rechnung der Verwaltung keine Rolle. Dass die Frau sich mit den Hypotheken immer weiter verschuldet, um möglichst lange ein weitgehend selbstständiges Leben in den eigenen vier Wänden führen zu können, zählte auch nicht. Dass sie die kostenlosen Fahrten überwiegend einsetzt, um ehrenamtlich Spielenachmittage in einem Seniorenheim anzubieten, fiel ebenfalls nicht ins Gewicht.

Und dass sie sich diese Mobilität, die immerhin einige hundert Euro pro Monat kostet, mit ihrer bescheidenen Rente nicht mehr würde leisten können, war aus Sicht der Städteregion auch kein Problem. Man bot der Frau den Fahrdienst auf Darlehensbasis an. Die hochverschuldete Frau sollte sich noch mehr verschulden, um ihre soziale Teilhabe zu sichern. Man sei da den Buchstaben des Gesetzes verpflichtet und könne leider nichts machen. Auf eine besondere Härte zu erkennen, sei nicht möglich, hieß es seitens der Behörde, die auch einen Widerspruch von Marga Meier gegen den Bescheid abschlägig beschied.

Als unsere Zeitung im vorigen Oktober diese absurd anmutende Geschichte veröffentlichte, gehörte auch Ulla Schmidt zu den vielen Leserinnen und Lesern, die darüber nur mit dem Kopf schütteln konnten. Zumal die Aachener SPD-Bundestagsabgeordnete, die lange als Bundesgesundheitsministerin wirkte, aktiv an der Ausgestaltung des Bundesteilhabegesetzes beteiligt war. Und der Geist dieses Gesetzes sei ein anderer als das, was nun in diesem Fall in der Praxis zum Ausdruck komme, erklärte die Sozialdemokratin gegenüber unserer Zeitung.

Man müsse im Sinne der Betroffenen eine vernünftige Lösung finden, forderte sie. Sich alleine auf Paragraphen zurückzuziehen, greife zu kurz, kritisierte Schmidt: „Wir können immer solche Grenzfälle haben, deshalb gibt es ja Härtefallregelungen.“ Irritiert war die Sozialpolitikerin vor allem darüber, dass das Sozialamt der Städteregion nur grob den Wert des Hauses geschätzt hatte, aber nicht die Wohnfläche in Betracht gezogen hatte.

Schließlich liege die Frau da nur hauchdünn über der Grenze des Wohnraums, der geschützt sei. Und wegen zwei Quadratmetern, so Schmidt, könne man ihr schlecht Leistungen versagen, die sie vorher Jahrzehnte erhalten habe. Es müsse ja auch niemand, der Grundsicherung beziehe, seine Wohnung verlasssen, bloß weil diese zwei Quadratmeter zu groß ist.

Petition im NRW-Landtag

Der Verlust der eigenen vier Wände war im Übrigen in den vergangenen Monaten die größte Sorge von Marga Meier. Und für Schmidt eine durchaus begründete. Denn das spezielle Lebensmodell der Behinderten, ihre Selbstständigkeit durch Hypotheken zu finanzieren, hätte durch einen weiteren Kredit für den Fahrdienst zusammenbrechen können – falls nämlich das Kreditinstitut das Haus dann wegen zu hoher Schulden verkaufen würde. Und dann müsste Marga Meier ins Heim.

Ulla Schmidt kritisierte nicht nur, sie handelte auch. Über den Aachener SPD-Landtagsabgeordneten Karl Schultheis veranlasste sie, dass die Behinderte eine Petition in den NRW-Landtag einbrachte. Parallel ließ sie den Fall von ihren Mitarbeitern juristisch prüfen. Und dies hatte nun Erfolg, bevor der Petitionsausschuss in Düsseldorf den Fall der Aachener MS-Kranken eingehend beraten konnte.

Ausnahmen sind möglich

Denn die juristische Bewertung aus dem Berliner Bundestagsbüro der Aachener Abgeordneten überzeugte die Entscheider im Aachener Städteregionshaus. „Wir hatten der Betroffenen ohnehin zugesagt, dass wir den Fall juristisch weiter untersuchen wollen“, erklärt Dr. Michael Ziemons, Dezernent für Gesundheit und Soziales in der Städteregion, auf Anfrage. „Und da sie sich auch noch ehrenamtlich engagiert, lag es uns besonders am Herzen zu gucken, was man da möglich machen kann.“

„Beschleunigt“ habe diese Prüfung das „juristische Gutachten“, das Ulla Schmidt eingeholt habe. „Dem haben wir uns anschließen können, das war für uns eine wunderbare Grundlage“, sagt Ziemons. Und bei diesem „Gutachten“ ging es letztlich um die Bewertung von Grenzfällen, wie Ulla Schmidt betont. Nämlich um die besagten zwei Quadratmeter Wohnfläche zu viel. In solchen Fällen sage der Gesetzgeber, dass unter der besonderen Berücksichtigung der Lebenssituation eines Einzelnen Ausnahmen möglich seien. Schmidt: „Man kann einem nicht die ganze Lebensplanung kaputt machen, weil ein Haus zwei Quadratmeter zu groß ist.“

Schmidt lobt außerdem die „Offenheit“, mit der die Städteregion für eine Lösung im Sinne der Betroffenen empfänglich war. „Es hat mich sehr gefreut, dass da eine Behörde nicht bloß agiert, wie sie will, sondern dass alle bemüht waren, das Problem zu lösen“, sagt sie. „Hier muss man die Verwaltung auch einmal loben“, betont auch Karl Schultheis, der im Übrigen die Petition der Marga Meier im Landtag gerne weiter verfolgen würde. Vielleicht gebe es ja doch noch weitere Fälle wie den der Aachener MS-Kranken, für die man dann im Landtag einmal grundsätzlich Klarheit schaffen könnte. Womit es dann am Ende einer absurden Geschichte mit großem Happyend nicht nur die Freudentränen der Marga Meier, sondern womöglich noch viel mehr Gewinner geben könnte.