„Der Tod war nicht unabwendbar“ : Hartes Urteil über zwei unbelehrbare Täter
Aachen Das Landgericht Aachen hat am späten Donnerstagabend im Prozess zum tödlichen Radunfall bei Würselen die Angeklagten zu langen Haftstrafen verurteilt. „Sie nahmen seinen Tod billigend in Kauf, sie wollten nur vertuschen“, ist die Überzeugung von Oberstaatsanwalt Burchard Witte.
Vor der ersten Aachener Schwurgerichtskammer werden am späten Donnerstagabend zwei Männer zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie sich nach ihrem Unfall nicht um das Opfer kümmerten. Auf eine aufsehenerregende Tat folgt ein hartes Urteil.
Am Ende ihres Plädoyers spricht Silke Kirchvogel von „hoher krimineller Energie, von absoluter Gefühlskälte“ und von einem „völlig fehlenden Unrechtsbewusstsein“. Die Anwältin aus Eschweiler vertritt die Opferfamilie, sie hat in den letzten Prozess-Wochen mitgelitten. „Das ist alles schwer mit anzusehen, dass die beiden Angeklagten nicht ansatzweise erschreckt sind, über das, was sie angerichtet haben.“ Die Angeklagten sind Harald S., 35 Jahre aus Würselen, und Sascha F., 42 Jahre aus Eschweiler. Am späten Donnerstagabend, kurz vor 22 Uhr, verurteilt die 1. Schwurgerichtskammer sie zu Haftstrafen von acht und sieben Jahren wegen versuchten Mordes durch Unterlassen beziehungsweise Beihilfe.
Die ehemaligen Freunde Harald S. und Sascha F. waren in der Nacht zum 21. September auf einem Feldweg zwischen Eschweiler (St. Jöris) und Würselen (Linden-Neusen) gegen 0.29 Uhr in einen dramatischen Unfall verwickelt, bei dem ein 19-Jähriger sehr schnell starb. Harald S. verursachte die Kollision, Sascha F. fuhr in einem anderen Wagen hinter ihm. Der Feldweg ist der vertraute Heimweg von Harald S.. Er fuhr trotz Schlaglochpiste mindestens 75 Stundenkilometer und damit „fast doppelt so schnell wie zugelassen“, so Richter Roland Klösgen. Den vorfahrtsberechtigten Radfahrer sah Harald S. nicht, obwohl er ihn im freien Feld schon lange hätte registrieren können. Die beiden Männer in ihren alten Kisten waren angetrunken, sie besaßen keine Fahrerlaubnis. Das ist ihr Motiv für die Flucht nach dem Unfall. Die Kammer hegt sogar den Verdacht, dass die Männer in dieser Nacht ein Autorennen fuhren.
Sie ließen den 19-Jährigen hilflos zurück, Hilfe alarmierten sie nicht. Vielmehr begannen sie zielstrebig, die Spuren zu beseitigen. Deswegen schleppten sie das demolierte Unfall-Fahrzeug vom Tatort weg, versteckten den Citroen C 5 in der Garage von Harald S. Ein paar Stunden später schon besorgten sie im Münsterland ein baugleiches Ersatzfahrzeug, das sie mit den alten Kennzeichen auf dem Hof abstellten. „Ihnen ging es nur im die Verschleierung und um konspiratives Verhalten“, sagte Oberstaatsanwalt Burchard Witte. Er forderte für Harald S. eine Haftstrafe von zehn Jahren, für den Komplizen von sieben Jahren.
Relevant für den Vorwurf des Mordes durch Unterlassen, so sagen es die Juristen, ist das „Vorstellungsbild“ des Täters. Mit welchem Eindruck haben die Angeklagten den Tatort fluchtartig verlassen? Gingen sie davon aus, dass der 19-Jährige bereits gestorben war? So hat es Harald S. jedenfalls im Verfahren ausgesagt und damit seine früheren Angaben deutlich korrigiert. Nun will er den am Boden liegenden Mann vorsichtig berührt und keine Atmung festgestellt haben. „Er fühlte nicht mal den Puls, drehte ihn nicht um, überprüfte nicht die Vitalfunktionen“, hielt Oberstaatsanwalt Witte fest. „Sie gingen davon aus, dass er noch am Leben war. Sie nahmen seinen Tod billigend in Kauf, sie wollten nur vertuschen“, ist seine Überzeugung, der sich die Kammer anschloss.
Strafmildern für Harald S. machte Witte nur einen Aspekt aus. Er brachte die Beamten nach seiner Festnahme mit detaillierten Hinweisen auf die Spur des Komplizen, der im Verfahren geschwiegen hatte. Strafverschärfend sind dagegen die vielen Vorstrafen der beiden Männer. Harald S. ist verurteilt worden wegen Betrugs, Raubes, aber auch wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis und Fahren mit nicht versicherten Autos. Sascha F. ist wegen Körperverletzung und Diebstahl bestraft worden, aber auch mehrfach wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis und auch wegen Unfallflucht und Trunkenheit im Verkehr. Zum Zeitpunkt des Unfalls war sein Führerschein gesperrt, Harald S. hat noch nie eine Fahrlizenz besessen. Für beide Angeklagten wurde eine Führerscheinsperre von fünf Jahren verhängt, Witte hatte sogar eine lebenslange Sperre beantragt.
„Der Tod des jungen Mannes war nicht tragisch und unabwendbar“, sagte Rechtsanwältin Kirchvogel am Abend. „Es gab sehr viele Möglichkeiten, seinen Tod zu verhindern.“