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Pro und Kontra: Sollten Kitas vom Streik im Öffentlichen Dienst ausgenommen werden?

Pro und Kontra : Sollten Kitas vom Streik im Öffentlichen Dienst ausgenommen werden?

Kita-Eltern haben die Gewerkschaften aufgefordert, die Mitarbeitenden der Kindertagesstätten in Zukunft nicht weiter zum Streik aufzurufen. Das Thema polarisiert – auch in unserer Redaktion.

Pro von Holger Richter:

Eins vorweg: Natürlich ist ein Streik ein legitimes Mittel zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen. Und die sind im öffentlichen Dienst, zu dem die Kitas nunmal größtenteils gehören, mindestens ein Stück weit berechtigt. Doch in den Kitas hat diese Form des Arbeitskampfes nichts zu suchen.

Wenn Busse nicht fahren, muss man sich eben ein anderes Verkehrsmittel suchen, um zur Arbeit, zum Einkaufen oder zur Oma zu gelangen. Werden Mülltonnen nicht abgeholt, wird’s dreckig vor der eigenen Haustür und es stinkt auch irgendwann. Alles ärgerlich, alles lästig. Aber alles ohne bleibende Schäden. Das ist bei Kindern anders. Um es ganz platt auszudrücken: Kinder sind keine Mülltonnen.

Und trotzdem werden sie hierzulande mitunter so behandelt. Während der Pandemie durften Fußball-Profis zwar Fußballspielen, Kinder aber nicht in die Kita. Die Folgen sind durch mehrere Studien hinlänglich bekannt und werden zurecht vom Jugendamtselternbeirat als Argument für ihre Forderung angeführt. Doch während Corona inzwischen (weitgehend) beherrschbar erscheint, leiden die Kitas weiter – vor allem unter Personalmangel. Um diesen zu beseitigen, wurden die Kitas vor weniger als einem Jahr übrigens schonmal bestreikt. Und das damals schon nicht zum ersten Mal. Letztlich waren alle Streiks erfolglos, wie ein Blick auf die aktuellen Stellenpläne der Kitas beweist. Sattdessen gibt es verwirrte, zum Teil sogar traumatisierte Kinder und über Gebühr belastete Familien.

Mit anderen Worten: Streiks haben sich nicht als geeignet erwiesen, die Probleme der Kitas zu lösen. Im Gegenteil: Sie schaffen sogar zusätzliche, weitaus schwerwiegendere Probleme. Ist es das wert?

Kontra von Christian Rein:

Was der Jugendamtselternbeirat in seinem Offenen Brief ausführlich darstellt, zeigt vor allem eins: Die Situation an den Kitas ist prekär – und das schon seit langem. Wie in so vielen gesellschaftlichen Bereichen, hat die Corona-Pandemie Missstände auch in diesem Feld wie unter einem Brennglas nur noch deutlicher zutage treten lassen. Personalmangel, schlechte Bezahlung, erhöhter Krankenstand, psychischer und physischer Druck auf Seiten von Erziehern wie auch Familien: All das sind Themen, die schon bei den langen Streiks im Jahr 2015 nicht neu waren, von denen ich als Vater persönlich betroffen war.

Dass diese Themen überhaupt ins Bewusstsein rücken, dass sich an diesen Zuständen etwas ändert, dafür kämpfen die Gewerkschaften. Die Elternvertreter erkennen das in ihrem Brief ja auch an – müssen dann aber auch den Streik als Mittel akzeptieren, denn die Gewerkschaften haben im Arbeitskampf schlicht kein anderes. Freundliche Bitten oder dringliche Briefe werden jedenfalls nicht viel bewirken. Gerade das, wofür die Gewerkschaften kämpfen, macht den Erzieherinnen-Beruf letztlich attraktiver und ist damit eine Grundlage, um mehr Nachwuchs dafür zu begeistern.

Für Familien ist es immer anstrengend, oft nervig, mitunter auch erschöpfend, wenn fest eingeplante Kinderbetreuung wegfällt. Die Adressaten des Offenen Briefes müssten allerdings die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände als Verhandlungsführer, die Kommunen und die Landesregierung sein. Sie müssten die prekäre Situation in den Kitas noch ernster nehmen – und zwar über die Tarifauseinandersetzung hinaus – und grundsätzlich gegen die Missstände vorgehen. Eine großangelegte Kita-Offensive, mindestens auf Landesebene, ist längst überfällig. Gerne dann auch unter Beteiligung der Gewerkschaften.