Rote Zunge, Fieber, Ausschlag : Scharlach-Welle in der Region
Aachen Auch in der Städteregion Aachen grassiert derzeit Scharlach. Das müsste nicht sonderlich besorgniserregend sein, gäbe es nicht ein großes Problem.
Irgendwann im Dezember vergangenen Jahres ging sie los, die erste Welle. Mit den typischen Symptomen: Fieber, Schüttelfrost, Halsschmerzen mit Schluckbeschwerden, geschwollene Lymphknoten, manchmal Bauchschmerzen und Erbrechen. Die Zunge weiß und nach ein paar Tagen zur sprichwörtlichen Himbeerzunge gerötet. Kommt Hautausschlag am ganzen Körper hinzu, wissen erfahrene Eltern: Mein Kind hat Scharlach.
Die Welle flachte Ende des Jahres ab, nahm aber bundesweit in den vergangenen Wochen wieder Fahrt auf. Unter normalen Umständen wäre das kein größeres Problem, denn die Krankheit ist mit den einschlägigen Medikamenten gut behandelbar. Doch die Antibiotika sind derzeit Mangelware. Und auch die Tests, mit denen sich die Krankheit nachweisen lässt, sind rar. Gestresste Ärztinnen, genervte Apotheker und besorgte Eltern in der Städteregion Aachen wissen ein Lied davon zu singen.
Es ist schwierig, die Welle in konkrete Zahlen zu fassen, da bei Scharlach keine Meldepflicht besteht. In Paragraph 34 des Infektionsschutzgesetzes ist jedoch festgelegt, dass „Leiterinnen und Leiter von Gemeinschaftseinrichtungen das zuständige Gesundheitsamt unverzüglich zu benachrichtigen haben, wenn in ihrer Einrichtung betreute oder betreuende Personen an Scharlach erkrankt oder dessen verdächtig sind“.
Entsprechende Zahlen des Gesundheitsamtes der Städteregion Aachen geben einen Eindruck: Stand Ende vergangener Woche waren dort seit Anfang des Jahres 327 bestätigte Fälle in Schulen und Kitas notiert. In den Jahren vor der Corona-Pandemie waren es signifikant weniger (2015: 106 Fälle, 2016: 131, 2017: 100, 2018: 98 und 2019: 140). Während der Pandemie gingen die Infektionszahlen bei Scharlach nach Zahlen der Barmer bundesweit um 90 Prozent zurück. Die Vermutung liegt nahe, dass die aktuell hohen Zahlen auch auf einen Nachholeffekt zurückzuführen sind. Davor warnt die Barmer in ihrem aktuellen Arztreport: Alles, was während Corona durch die ausgebliebenen Kontakte unterdrückt worden sei, komme jetzt mit voller Wucht nach oben.
Für die Kinderärztin Sandra Weitmann aus Eschweiler, Obfrau für den Bezirk Aachen im Landesverband Nordrhein des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), ist das plausibel. Mit den Folgen hat sie täglich zu tun. 70 Prozent der täglich 100 bis 120 Patientinnen und Patienten in ihrer Praxis litten an einer bakteriellen Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken und den entsprechenden, oben beschriebenen Symptomen, sagt sie. Betroffen seien alle Altersklassen. „Seit November vergangenen Jahres sind wir im Dauerstress“, sagt Weitmann, denn auch Influenza, Magen-/Darm-Erkrankungen und Covid-Infektionen halten das Praxis-Team seit längerer Zeit in Atem.
Scharlach ist hoch ansteckend. Die Inkubationszeit (also die Zeit zwischen Ansteckung und dem Auftauchen erster Symptome) ist mit zwei bis vier Tagen extrem kurz. Anschließend bleiben Infizierte bis zu drei Wochen lang ansteckend. Bekommen sie jedoch die bewährten Antibiotika, können sie schon 24 Stunden später als nicht mehr ansteckend gelten.
Doch genau diese Medikamente sind derzeit schwer zu bekommen. „Wir investieren gerade sehr viel Zeit damit, bei den Apotheken abzuklären, ob und wenn ja welche Antibiotika überhaupt vorhanden sind, bevor wir entsprechende Rezepte ausstellen. Und wir machen dabei die Erfahrung, dass der Bestand gerade immer kleiner wird. Das macht unsere Arbeit nicht einfacher“, sagt Weitmann. Wiebke Moormann, Sprecherin der Aachener Apotheker im Apothekerverband Nordrhein, kann dem nur beipflichten. „Wir können nicht planen, denn wir wissen nicht, wann welche Antibiotika in welchem Umfang ausgeliefert werden. Von dem Engpass sind sowohl Säfte für Kleinkinder als auch Tabletten für Ältere betroffen.“
Die Gründe für die Engpässe sind kompliziert. Neben der weltweit hohen Nachfrage nach Antibiotika sind vor allem die gestörten Lieferketten aus Fernost (vor allem Indien und China) zu nennen, wo die Wirkstoffe wegen der niedrigen Produktionskosten fast ausschließlich hergestellt werden. Die Corona-Lockdowns in China und die Corona-Exportsperren in Indien wirken nach. Den kranken Kindern und ihren besorgten Eltern helfen diese Erklärungen nicht weiter. Aber vielleicht tut das ja die Einschätzung des BVKJ. Der rechnet im April mit einer Entspannung der Lage.