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Direkt von der AKV-Sitzung: Ritterin Annalena lässt Humor aufblitzen, doch ihre Hauptbotschaft ist ernst

Direkt von der AKV-Sitzung : Ritterin Annalena lässt Humor aufblitzen, doch ihre Hauptbotschaft ist ernst

0.06 Uhr am Sonntagmorgen: Die AKV-Sitzung zur Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst 2023 im Aachener Eurogress ist zu Ende. Im Mittelpunkt: die Ritterin, ihre Laudatorin, ein Parteichef und großartige Öcher Töne.

Annalena Baerbock ist nicht die sprühende Witzboldin, wer hätte das auch erwartet! Sie ist im Narrenkäfig gut aufgelegt, charmant, selbstironisch. Und am Ende ist sie doch eine Ritterin mit Ernst.

„Natürlich habe ich lange überlegt, ob es richtig ist, dass ich hier beim Karneval bin, dass wir feiern und lachen“, sagt die Außenministerin. „Russlands brutaler Angriffskrieg in der Ukraine tobt seit einem Jahr. Das bewegt uns alle. Jeden Tag. Ich glaube, es ist unsere Menschlichkeit, die uns stark macht, in unserer Antwort auf diesen zynischen Krieg.“

Und Baerbock erinnert an ihren letzten Aachen-Besuch zum Karlspreis 2022 für die drei belarussischen Oppositionellen. „Wie Ihr, liebe Aachenerinnen und Aachener, diese mutigen Frauen auf dem Katschhof gefeiert habt, mit einem Meer aus Europafahnen! Dieses große Mitgefühl – mit den Frauen, Männern und Kindern in Belarus und in der Ukraine – das bewegt mich zutiefst.“

Baerbock, soeben ausgezeichnet als 73. Ordensritterin des AKV, hat den Saal, der nach einem sehr bunten und zumeist auch kurzweiligen Programm bestens aufgelegt ist, komplett im Griff. Von Anfang an. Begrüßt mit einem stürmischen Applaus, verabschiedet mit großer Begeisterung.

Wenn Baerbock mehrfach von den Qualitäten feministischer Außenpolitik spricht, so sprechen viele Rednerinnen und Redner von der neuen weiblichen Power des altehrwürdigen Aachener Karnevalsvereins (AKV).

Bester Beleg hierfür ist auch die Laudatio von Iris Berben, Star-Schauspielerin und Vorjahresritterin. Markante Sätze ihrer Lobrede auf die Außenministerin gehen so: „Sie ist die perfekte Verkörperung einer modernen Politikerin: intelligent, empathisch, aufrecht und mutig, humorvoll und attraktiv, ohne Gedöns darum zu machen." Oder: „Für die politische Landschaft in Deutschland ist Annalena Baerbock jedenfalls eine absolute Bereicherung. Sie ist Inspiration und Motivation für junge Menschen, auch in die Politik zu gehen. Weil sie sehen, dass man etwas bewirken kann.“

Applaus gibt es für Berben und ihre Worte, ganz besonders hier: „Annalena Baerbock sendet mehr positive Signale aus Deutschland in die Welt, als elf Halbstarke in T-Shirts, die sich den Mund zuhalten." Fazit der Schauspielerin und somit Bestätigung in Richtung AKV zur Ritterin-Wahl: „Als Frau, als Mensch, als Deutsche und als Bewohnerin des Ökosystems Erde bin ich stolz auf Annalena Baerbock. Ich fühle mich durch sie in jeder Weise bestens vertreten. Und ich wünsche mir, dass ihre Art abfärbt auf die Menschen und uns alle inspiriert, die Welt ein bisschen besser zu machen."

Die AKV-Sitzung findet in diesem Jahr einen etwas ernsteren Ton zum Ausklang, insgesamt gewinnt der Abend, der ausgesprochen schwungvoll und bunt ist, dadurch an Tiefe.

Es ist ein schöner Karnevalsabend, eine schöne Vorlage für eine knackige TV-Sendung am Montag in der ARD. Eine Bitte, dieser Auftritt darf nicht geschnitten werden: Der Aachener Märchenprinz Phil I. hat Annalena Baerbock zu größter Begeisterung hingerissen. Der junge Narrenherrscher, begleitet von seinem erwachsenen Pendant Guido I., umrahmt von Prinzengarde, den Hofstaaten und den zauberhaften Akika-Kids, wendet sich direkt an die Bundesaußenministerin und designierte Ordensritterin und ermutigt sie, sich weiter für Freiheit und Gerechtigkeit in der Welt einzusetzen: „Denn wir Öcher Kinder und alle Kinder auf der Welt wollen in Frieden leben!“ Es gibt viel Applaus an diesem Abend im Eurogress – hier folgt der wärmste!

 Riesenapplaus, stehende Ovationen für die Premiere von Lars Klingbeil im Karneval: Am Ende spielt der SPD-Chef Ukulele, animiert von Moderatorin Sandra Maischberger.
Riesenapplaus, stehende Ovationen für die Premiere von Lars Klingbeil im Karneval: Am Ende spielt der SPD-Chef Ukulele, animiert von Moderatorin Sandra Maischberger. Foto: MHA/Albrecht Peltzer

Es läuft durchaus lebhaft bei der Ordensverleihung, TV-Moderatorin Sandra Maischberger und AKV-Präsident Wolfgang Hyrenbach haben als Gastgeber der AKV-Ordensverleihung den Rahmen gesetzt, mittendrin haben die Vier Amigos mit ihrem musikalischen Blick auf den Öcher Karneval (plus Zugabe) das Eurogress um ein paar Grad weiter angeheizt.

Auch Lars Klingbeil, der sehr freundlich auftretende, wortgewaltige Polit-Profi (“ich bin Norddeutscher und SPD-Chef, da hast Du mit Spaß nicht viel am Hut“), hat jetzt seine Feuerprobe in der Bütt hinter sich. Und wie! Selbstironisch, witzig, tiefstapelnd und durchaus clever erorbert er den Saal: „Ich bin im Karneval Ihr ganz persönliches Integrationsprojekt!“

 Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen (links) und Annalena Baerbock im Eurogress.
Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen (links) und Annalena Baerbock im Eurogress. Foto: MHA/Albrecht Peltzer

Fünfmal habe er Olaf Scholz darum gebeten, ihm einen Witz für seine Premiere in der Bütt mitzugeben. „Viermal hat er gescholzt, also nichts gesagt. Dann habe ich ihm Druck gemacht, und wissen Sie, was er gesagt hat: Ich kann mich nicht erinnern!“ Er erobert das Eurogress, am Ende spielt er sogar auf der Ukulele, die Moderatorin Sandra Maischberger ihm reicht, kleine Melodien, die zu Polit-Kolleginnen und -Kollegen passen. Köstlich.

Und wie ist es mit NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf der AKV-Bühne? Auch bei ihm, der in rot-grüner Funkenuniform und schwarzer Clownsnase auftritt, läuft es gut, viel Sympathie schlägt ihm entgegen. Auch er bringt einige nachdenkliche Töne ins Programm, gerade im Nachgang zu den Einsätzen in Lützerath: „Wenn heute Abend die meisten Polizistinnen und Polizisten bei der Übertragung vor dem Fernseher einschlafen, liegt das nicht nur an meiner Rede. Die haben noch jede Menge Schlaf nachzuholen. Deshalb – ausnahmsweise heute Abend mal ganz ernst: Danke für Euren Einsatz!"

Reul wechselt ins Politische und machte Komplimente: „Aachen ist eine Grenzstadt und Berlin ist eine grenzwertige Stadt.“ Und parteipolitisch: „Kennen Sie den Unterschied zwischen der Berliner Ampel und einer Verkehrsampel? Wenn die Berliner Ampel auf Grün steht, geht gar nichts mehr!“

Comedian Guido Cantz stellt gleich als erster Gast des Bühnenabends die größte Neuerung bei einer AKV-Sitzung heraus: „Es ist so herrlich weiblich hier, eine Ritterin, eine Laudatorin, eine Moderatorin, eine Oberbürgermeisterin – das gab es noch nie! Seit 200 Jahren beherrschen die Männer den Karneval, es ist wunderbar heute Abend hier in Aachen!“ Viel Applaus, auch für seinen Parforceritt durch die deutsche Politik.

Sang ein hohes Lied auf die Nachfolgerin: Vorjahresritterin Iris Berben hielt die Laudatio auf Außenministerin Annalena Baerbock, neue Ritterin des Aachener Karnevalsvereins.
Sang ein hohes Lied auf die Nachfolgerin: Vorjahresritterin Iris Berben hielt die Laudatio auf Außenministerin Annalena Baerbock, neue Ritterin des Aachener Karnevalsvereins. Foto: MHA/Andreas Steindl

Comedy-Kollege Ingo Appelt hat es dann zur Mitte des Programms deutlich schwerer, beim Publikum zu landen. Helikopter-Eltern, festgeklebte junge Demonstranten, letzte Generation – viele Stereotype in einer Reihung, zuletzt eine schrecklich verunglückte Ballermann-Brüllerei. Das war nicht sein Aachener Abend.

Ganz im Gegensatz zu Wilfried Schmickler, der in seiner vertrauten Kaiser-Karl-Figur zornig sein darf und einen Appell in den Saal ruft: „Vergesst und verliert die jungen Leute nicht!“ Die Sorgen der jungen Generation müssten ernst genommen werden, betont Schmickler.

Erste Politikerin in der Bütt ist Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP-Sicherheitspolitikerin und mit pointierten Auftritten in Berlin präsent. Jetzt als hochtoupierte Königin auf der Aachener Bühne: „Ich komme heut’ als Königin, weil ich derzeit böse bin, böse auf der Zwergen Schar, die toxisch‘ Männlichkeit gebar.“

Die Männer, bei ihr Zwerge, sind ihr Ziel in einer mit Applaus aufgenommenen Rede, CDU-Chef Friedrich Merz, auch Ritter, auch im Saal, nimmt sie sich ausgesprochen derb vor, ihre Haltung war selbstbewusst: „Mich interessiert es einen Driss, wer unter mir Minister iss. Als Mensch, als Frau, als Silberrücken, konnt‘ ich schon Düsseldorf entzücken. Von Kopf bis Fuß ganz formidabel, ohne Zweifel ministrabel. In jeder Talkshow ein Gewinn, weil ich die Allergeilste bin."

Putin nimmt sie aufs Korn, auch weitere Machtmänner, pardon -zwerge. Fazit: Die Welt wäre friedlicher, wären die Throne zwergefrei. Manch einem Gast im Eurogress ist Strack-Zimmermann zu heftig.

Die Ordenssitzung, die am Montagabend um 22.10 Uhr in der ARD in einer Aufzeichnung zu sehen sein wird, hat in diesem Jahr durchaus Wucht.

Weitere Berichte über den AKV-Abend folgen.