Ärger um die Müllabfuhr : Nicht alle zeigen Verständnis fürs Rückwärtsfahrverbot
Aachen „Es geht nur noch vorwärts!“ heißt es auf einem neuen Flyer, den der Aachener Stadtbetrieb in diesen Tagen verstärkt unters Volk bringt. Doch was so schön nach Optimismus und Aufbruch klingt, ist für manch einen Empfänger ein echter Rückschritt. Das Rückwärtsfahrverbot für Müllwagen macht vor allem älteren und gehbehinderten Menschen schwer zu schaffen.
Wie denn seine 93-jährige gehbehinderte Mutter künftig die Tonnen noch zum nächsten Sammelplatz bringen soll, fragt sich nicht nur Heinrich Pohlmann. Bis vor kurzem konnte seine Mutter die Tonnen noch auf einen Garagenhof an der Charles-de-Coster-Straße schieben, nun soll sie sie bis zur Straße Am Neuenhof rollen. Der Weg ist damit knapp 100 Meter länger geworden. Dazu ist sie nicht mehr in der Lage, sagt Pohlmann, der dies schon Anfang September in einem Schreiben dem Stadtbetrieb mitgeteilt hat. Auf eine Antwort hat er bis jetzt vergeblich gewartet.
Wie ihm geht es auch einigen anderen Anwohnern der kleinen Stichstraße im Bereich Kronenberg. „Gerade die Älteren haben Probleme“, sagt Winfried Brüll, der selber schon 76 Jahre alt ist und von den Nachbarn zum Wortführer in Sachen Müllabfuhr auserkoren wurde. Man habe ja Verständnis dafür, dass die schweren Müllfahrzeuge nicht mehr rückwärts durch allzu enge Straßen gelotst werden sollen, sagen sie. An einigen Stellen werde aber die Sicherheitsvorkehrung allzu eng ausgelegt, glauben sie.
„Bei uns gibt es einen Wendehammer, der groß genug ist“, sagt Brüll. „Da muss man den älteren Menschen nicht zumuten, die Tonnen zum Neuenhof zu schieben.“ Erst neulich habe eine 85-Jährige neun Tonnen für ihre Nachbarn mit abtransportiert. Anschließend sei sie fix und fertig gewesen. Richtig gefährlich könnte es für Ältere vor allem bei Eis und Schnee werden, meint Brüll.
Baut der Stadtbetrieb also den Service ab und riskiert die Gesundheit älterer Menschen? Das ist ein Vorwurf, den die Stadt natürlich weit von sich weist. Grund für das Rückwärtsfahrverbot ist eine schon seit Herbst 2016 deutschlandweit geltende Branchenregel, die in diesen Tagen nach und nach in Aachen umgesetzt wird. 363 Straßen mit knapp 500 Rückwärtsfahrten hat der Stadtbetrieb im Stadtgebiet ermittelt. Möglichst schnell soll nun überall die Zahl der Rückwärtsfahrten auf null gebracht werden. Schwere Unfälle mit Toten und Verletzten, die es in der Vergangenheit immer wieder gegeben hat, sollen damit verhindert werden.
In seinem Flyer betont der Stadtbetrieb, den bisherigen Service „selbstverständlich“ so weit wie möglich aufrecht erhalten zu wollen. Daher prüfe man immer noch, welche Straßen tatsächlich gar nicht mehr angefahren werden können und wo es vielleicht noch andere Lösungen gibt, sagt Timo Pappert von der städtischen Pressestelle. Denkbar seien etwa zeitweilige Halteverbote an den Abfuhrtagen, damit die Müllfahrzeuge durchkommen. „Wenn wir Platz haben, fahren wir auch rein“, versichert er. Alles andere aber sei künftig schlicht verboten.
Wieviele Haushalte in Aachen von dem Rückwärtsfahrverbot betroffen sind, hat die Stadt noch gar nicht erfassen können. Mit einem Vorlauf von jeweils rund vier Wochen sollen die Anwohner solch enger Stichstraßen über das neue Rückwärtsfahrverbot informiert werden. Sie erhalten dann den Flyer und auch einen Hinweis auf den neuen Sammelplatz für die Tonnen. Es gebe bisher zwar viele Rückfragen, aber kaum Beschwerden, sagt Timo Pappert. „Die meisten Leute zeigen Verständnis.“
Klar sei aber auch: Ältere oder gehbehinderte Menschen werden sich selber helfen müssen. Entweder müssen sie Nachbarn um Hilfe bitten, möglicherweise aber auch Hausmeister oder andere Servicedienstleister beauftragen. Das sei vermutlich immer noch preiswerter als der Vollservice, für den die Menschen in der Innenstadt zur Kasse gebeten werden, meint Pappert. Anders als in den Außenbezirken werden dort die Tonnen von den Mitarbeitern des Stadtbetriebs an den Straßenrand bugsiert.
Darauf können die Betroffenen in der Charles-de-Coster-Straße nicht hoffen. Winfried Brüll ärgert sich derweil weiter darüber, dass der Stadtbetrieb „hier einseitig die Bedingungen geändert“ und bislang noch nicht mal auf die Beschwerden und den Hinweis auf den Wendehammer reagiert habe. „Vielleicht könnte die Stadt ja auch kleinere Müllfahrzeuge anschaffen“, meint er. Tatsächlich sei das eine Überlegung, sagt Pappert. „Aber das dauert natürlich, bis die bestellt und angeschafft werden können.“