„Das Liebig“ in Aachen : Neue Eventlocation im alten Starfish
Aachen Wo früher Kälber verkauft wurden und dann Tanzwütige in der Disko „Starfish“ Nächte durchfeierten, brechen neue Zeiten an. Millionen Euro wurden im Namen des umtriebigen Chemikers Liebig investiert.
Schon der Namensgeber war ein Pionier: Der revolutionäre Fleischextrakt des Chemikers Justus von Liebig galt bereits vor 170 Jahren als Wundermittel gegen Cholera und späterer Vorläufer für Speisewürzen von Maggi und Knorr.
Was womöglich wegweisend wirkt: An der Liebigstraße im Aachener Norden, die zum weitläufigen Gelände des Alten Schlachthofs führt, hat jetzt in einer historischen Kälbermarkthalle, die dann zeitweise als Lager vergammelte und die zuletzt 20 Jahre lang bis Anfang 2020 als Großraumdiskothek „Starfish“ Feiervolk verarbeitete, die womöglich charismatischste Eventlocation der Region geöffnet. Ein brillanter Balanceakt zwischen Nostalgie und Neuzeit.
Mehrere Millionen Euro haben die Eigentümer Thomas Prefi und Michael Tobias in die 1800 Quadratmeter große Immobilie gesteckt. Über anderthalb Jahre bauten die Geschäftsführerinnen Susanne Nagel, Katrin Tobias und Nicole Nagel mit Architekten, Ingenieuren, Denkmalschützern, Digitalisierungsexperten und ganzen Handwerker-Kolonnen um. Fertig ist „Das Liebig – Raum für Phantasie und Verstand“.
Was unterscheidet „Das Liebig“ – konzipiert für Tagungen, Messen, Ausstellungen, Hochzeiten, Partys, Konzerte und mehr – von etablierten Event-Standorten wie Eurogress, Tivoli oder Kurpark-Terrassen? „Wir verbinden industriellen Charme in dieser einzigartigen Location mit modernster Veranstaltungstechnik und Kapazitäten für zwei bis 2000 Personen“, sagt Susanne Nagel. Wer die Disko noch in Erinnerung hat, findet sich räumlich schnell zurecht – traut aber trotzdem seinen Augen kaum.
Die Verwandlung verblüfft. In die Backstein-Außenhaut wurden große Fensteröffnungen geschlagen, die veraltete Klimaanlage ist komplett erneuert. „Das war eine riesige Kraftanstrengung, baulich und finanziell“, räumt Katrin Tobias ein. „Aber es ist eben ein Unterschied, ob eine gewaltige Klimaanlage unter der donnernden Diskothekenlautstärke röhrt. Oder ob man eine leistungsfähige, leise Anlage, die natürlich alle Viren herausfiltert, für den kompletten Veranstaltungsbereich benötigt. Der Umbau war monströs.“ Genauso wie die modernen Brandschutzanforderungen.
Umso faszinierender, dass das ursprüngliche Industriedesign – im Besonderen der rund 900 Quadratmeter großen Haupthalle mit ihren gemauerten Dachbögen und Eisensäulen – konserviert bleibt. Insgesamt sechs Veranstaltungsräume namens „Silber“, „Kohlenstoff“, „Sauerstoff“, „Wasserstoff“, „Gold“ und „Kupfer“ stehen in unterschiedlichen Größen bereit. In Mauern und unter dem Boden ließen die Macher zig Kilometer Glasfaser- und Stromleitungen verlegen.
In der Haupthalle „Kohlenstoff“ hängt über einer variabel ausbaubaren Bühne ein vier mal acht Meter großer LED-Bildschirm an der Kopfseite. Dank clever versteckter Kabelschächte lassen sich überall Lautsprecher und Lichttechnik platzieren. „Variabilität stand bei uns ganz oben auf der Agenda“, betont Nicole Nagel. Auch der Raum „Gold“, die ehemalige Schlagerdisko, verfügt über monströse Bildschirmtechnik. „Wir haben eigentlich alles installiert, was die nächste Generation der Veranstaltungstechnik erwartet“, so Nagel.
Die alten Theken sind gerissen, das Fußbodenniveau hat man angepasst, „Gold“ verfügt nach wie vor über ein zig Quadratmeter großes „Cabrio-Dach“ für Open-Air-Veranstaltungen neben dem benachbarten offenen Innenhof. Gastronomietechnik kann auf eigens konzipierten Rollwagen verschoben werden. Stein, Stahl und Holz dominieren die Optik. Im kleineren Obergeschoss wird ein nobler Konferenzbereich mit Glas-Stahl-Kabinen per Aufzug angesteuert. Oben kleine Meetings, unten große Partys – alles möglich. „Brooklyn-Style“ oder „Shabby Chic“ nennen das Design-Profis.
Dazwischen mal ein aufgepeppter Schrank aus Großmutters Wohnzimmer, eine riesige zur Blumenvase umgebaute Original-Diskokugel oder das alte „Starfish“-Logo an der Wand. Vieles erinnert an frühere Nutzer des historischen Gebäudes. Alles wirkt wertig, authentisch und nicht überladen. „Unsere Kunden mit ihrer jeweiligen Veranstaltung stehen im Mittelpunkt, ihnen geben wir Raum zur kreativen Entfaltung“, sagt Susanne Nagel. Das gilt für analoge Veranstaltungen (alle Teilnehmer live vor Ort) genauso wie für hybride oder rein digitale Konzepte.
Davon profitierten beim Internet-Streaming bereits die ersten Kongresskunden: etwa „#neuland“, eine Banknotenbörse, der 15. Tag der deutschen Luft- und Raumfahrtregionen, der European Summit“ im Karlspreis-Rahmenprogramm und etliche Formate der RWTH Aachen. „Wir sind stolz, dass wir jetzt durchstarten können. Dass wir zeigen können, was hier möglich ist. Ich bin überzeugt, dass sich das Liebig bestens in die vorhandene Veranstaltungsstätten-Struktur einfügt“, erläutert Katrin Tobias.
Vor der Tür, auf dem insgesamt rund 25.000 Quadratmeter großen Areal, soll sich ebenfalls noch viel verändern. Die Eventlocation „Charles“ bleibt dort zusätzlich und autark bestehen. Etwas höher gelegen Richtung Metzger- und Jülicher Straße läuft die grundlegende Veränderung schon über ein Jahrzehnt.
Auf dem dortigen, fast 40.000 Quadratmeter großen und 2002 aufgegebenen zentralen Schlachthofareal, direkt an den früheren Schlachtstraßen, steht zwischen weitläufigen Ingenieurbüros der Umlaut AG, Rennautoschmieden und Musikstudios die weitgehend untechnisierte „Halle 60“ auf 600 Quadratmetern für Party und Events. Hier ist die Konversion zu neuen Nutzungen im historischen Gebäudebestand vollendet.
Vor dem „Liebig“ indes werden bereits weitere verfallene Hallen ertüchtigt; auch ein Neubau ist geplant. Aber das ist vor den Toren der früheren Diskothek noch Zukunftsmusik. Die drei Geschäftsführerinnen geben nun den Takt des Veranstaltungsgeschäftes vor, ganz nah am Puls der Zeit. Und sie sind irgendwie immer noch dem Chemiker Justus von Liebig verbunden. Kleine schmucke Bilder seiner Fleischextrakt-Kollektionen hängen an der ein oder anderen Wand. Was wiederum Wandlungsfähigkeit unterstreicht. Liebig hat nämlich auch einen Vorläufer des späteren Backpulvers, mit dem Dr. Oetker Geschichte schrieb, erfunden. Und einen Posphatdünger für die Landwirtschaft. Und das von ihm als „Chlorkohlenstoff“ bezeichnete Chloroform. Und Babynahrung.
„Das Liebig“ hat, keine Frage, den Veranstaltungsbereich gestern, heute und morgen im Blick. „Vielleicht erfinden wir hier ja die Eventlocation der Zukunft“, sagt Nagel. Der Slogan ist griffig: „Das Liebig, das lieb’ ich“, lächelt sie. Mit Justus stimme hier die Chemie.