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Krabbelgruppe gefordert: Mehr Babys ins Rathaus! Sonst vergreist der Stadtrat...

Krabbelgruppe gefordert : Mehr Babys ins Rathaus! Sonst vergreist der Stadtrat...

Die Linken sind durchschnittlich fast 70 Jahre alt, der „Nachwuchs“ der Piraten kommt auf ein Durchschnittsalter von knapp 45 Jahren im Aachener Stadtrat. Junge SPD-Politiker kritisieren, dass nur jeder Vierte der 77 Ratsmitglieder (inklusive OB) unter 45 Jahre alt ist, und dass der Frauenanteil verschwindend niedrig ausfällt.

Sie fordern – interfraktionell – ein Umdenken und andere Rahmenbedingungen. Zum Beispiel mit einer Krabbelgruppe und Kinderbetreuung neben der Stadtratssitzung.

Zwischen Tagesordnungspunkt 17 und 18 mal eben die Windel wechseln – warum nicht? Tränen trocknen, Fläschchen füllen? Wenn die Krabbelgruppe junger Eltern, die ihr Mandat im Stadtrat wahrnehmen, direkt nebenan wäre, würde das Nachwuchsprobleme lösen. Fürs Kind – und für Mama und Papa.

Aber der Vorstoß von vier jungen SPD-Politikern, drei Frauen und ein Mann, zwischen 31 und 41 Jahre alt und erst seit 2014/15 im Stadtrat, geht viel weiter. Sie schlagen Alarm, sie wollen alle Fraktionen einbinden. Und sie möchten, dass neben dem eigenen auch der politische Nachwuchs nicht auf der Strecke bleibt.

„Wir haben alle mit uns gehadert, ob wir 2020 noch einmal kandidieren. Man ist zerrissen. Es muss sich dringend einiges ändern“, sagt SPD-Ratsfrau Ye-One Rhie. Die Uhr tickt. Für junge Familien; für Menschen, die am Anfang ihrer beruflichen Karriere stehen und trotzdem zusätzlich acht Stunden und mehr pro Woche in politische Arbeit investieren. Wobei es nicht nur um zeitraubende Ausschusssitzungen gehe. Es gebe Möglichkeiten, diese Zeitnot zu lindern, sagen die Sozialdemokraten.

Die SPD selbst ist nach eigenen Angaben mit einem Durchschnittsalter von 52,8 Jahren im Stadtrat vertreten. Die CDU kommt auf 57,9 Jahre, Die FDP auf 62 Jahre und die Linke auf 69,4 Jahre. Jünger sind die Grünen mit einem Durchschnittsalter von 52,7 und die Piraten mit 44,7 Jahren. Der Gesamtdurchschnitt der 77 Ratsmitglieder inklusive Oberbürgermeister Marcel Philipp (49) liegt bei 55,4 Jahren.

„19 Ratsmitglieder, das sind gerade einmal 24,7 Prozent, sind jünger als 45 Jahre – während diese Altersgruppe fast die Hälfte der Aachener Bevölkerung stellt“, rechnet Ratsfrau Fabia Kehren vor. Nur elf Prozent aller Kommunalpolitikerinnen und -politiker seien in NRW unter 40 Jahre alt – und davon seien kaum 20 Prozent weiblich.

„Wir möchten die Verwaltung deshalb beauftragen, zeitnah ein Konzept und Maßnahmen zu erarbeiten, die die Vereinbarkeit von Familie, Beruf und kommunalpolitischem Ehrenamt in Aachen stärken“, sagt Nathalie Koentges. Schon jetzt werde das politische Ehrenamt nicht mehr von Menschen ausgeübt, die ein Spiegel der Stadtgesellschaft sind. Man müsse die bestehenden Strukturen aufbrechen, betont das SPD-Quartett.

Ratsherr Patrick Deloie nennt erste Verbesserungsvorschläge neben der Kinderbetreuung bei Sitzungen vor Ort: „Man ist ständig gehetzt, ist zwischen Arbeit und Familie unterwegs. Wir leben doch im Zeitalter der Digitalisierung! Wieso können beispielsweise Fraktionssitzungen nicht auch als Videokonferenzen angeboten werden? Das wäre technisch überhaupt kein Problem, wenn in der Verwaltung die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen würden“, sagt der Vater zweier Töchter. Allein der Wegfall von An-und Abfahrt zu vielen Sitzungen würde wichtige Freiräume eröffnen.

Auch die einzelnen Sitzungsverläufe rücken Deloie, Kehren, Koentges und Rhie in den Fokus: Ausschussvorsitzende sollten strategischer und effizienter planen. Zu überlegen wäre ein Zeitlimit bei Vorträgen, auch die Anzahl der Redner und die Redezeit pro Fraktion könnte begrenzt werden, so dass stundenlange Debatten bis in den späten Abend möglichst verhindert werden. Das sei schließlich in der parlamentarischen Arbeit auf Landes- und Bundesebene auch üblich – wobei die Politiker dort eben nicht ehrenamtlich tätig seien. „Es gibt viele Ansatzpunkte, die wir gemeinsam mit den anderen Fraktionen in Angriff nehmen wollen“, sagt Rhie.

Ganz wichtig ist allen Vieren: Man wolle keinesfalls Alt gegen Jung ausspielen. Es gebe sicher keine Lösung, die zeitlich gleichzeitig für Rentner wie für junge Mütter optimal passe. „Aber wir müssen bessere Kompromisse finden. Das geht!“, ist Kehren überzeugt. So könne man auch mehr junge Menschen für ein politisches Ehrenamt interessieren. Und sogar die Jüngsten ins Rathaus holen.

Vielleicht würde solch ein Krabbelgruppenbild neben dem Ratssaal auch das ein oder andere Familienthema – Kita, Schule, Spielplätze – stärker ins Bewusstsein der alternden Mehrheit holen. Oder ist der Nachwuchs da etwa schief gewickelt?