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Streuengelchen gesucht: Kutsche im Rosviertel steht wieder bereit

Streuengelchen gesucht : Kutsche im Rosviertel steht wieder bereit

Der Verein „van de Rues“ kürt anlässlich der traditionellen Kirmes im Rosviertel wieder ein Streuengelchen. Noch werden kleine Bewerberinnen gesucht. Dann kann das Bonbons streuende Püppchen wie früher über die Rosstraße „fliegen“.

Die blonden Löckchen sind etwas verdrückt, aber die Garderobe ist perfekt, seidige Stoffe, Glitzersteinchen, alles maßgeschneidert in Puppengröße: Das Aachener Streuengelchen – „et Streuengelche van de Rues“ (manche sagen auch „op de Rues“ oder „op en Rues“) – kommt nach coronabedingter Pause wieder an die frische Luft. Renate Watteler hat schon kleine Lockenwickel besorgt.

Sie gehört zusammen mit Ehemann Hans-Willi zum Vorstand um Detlef Houben, Präsident des inzwischen seit gut 310 Jahren aktiven Vereins „Streuengelche van de Rues“. Er hat Erfahrung mit der Tradition, denn Carmen und Lorena, seine inzwischen längst erwachsenen Töchter, saßen beide in der Streuengelchen-Kutsche, die am Samstag des Pfarrfestes rund um das Roskapellchen durch die Pfarre St. Jakob fährt. Der Verein fühlt sich der Gemeinde sehr verbunden.

Aktuell werden dringend noch Engelchen-Kandidatinnen gesucht, denn schon am Wochenende vom 6. bis 9. Mai ist es wieder so weit: Mit der Wahl eines kleinen Mädchens, das mit seiner Familie im Rosviertel oder in unmittelbarer Nähe leben sollte, beginnt eine Kirmes mit Unterhaltungsprogramm, Musik, Karussell, Frühschoppen und als legendärem Höhepunkt: dem wiederholten „Flug“ des kleinen Puppen-Engels mit seiner Messingschale voller Bonbons über den Platz vor dem Roskapellchen.

„Wir spannen Seile von einem Haus zum anderen, und während man zieht, muss man den Engel drehen“, berichtet Houben, der dabei während der Kirmes vom gewählten Engelchen unterstützt wird. Die Aktion verlangt Geschick, damit die Süßigkeiten auf die Kinder regnen.

Wer kann „Engelchen“ werden? „Das Kind sollte vier bis sechs Jahre alt sein, ein festliches Kleid tragen und braucht an den Kirmestagen Begleitung“, betont Renate Watteler, die eigenhändig bunte Pralinenschachteln vorbereitet: Bei der Wahl erhält jedes Kind eine Schachtel – aber nur in einer steckt ein glitzerndes Swarovski-Engelchen. Damit ist die Wahl entschieden, das Streuengelchen 2022 steht fest.

„Die Menschen im Rosviertel waren früher sehr arm, da war das ein wichtiges Ereignis“, blickt Renate Watteler zurück auf eine Zeit, in der die Rosstraße noch nicht saniert war und rundum in den Fabriken hart gearbeitet wurde. „Wir wünschen uns, dass Kinder von heute wieder den Spaß an der Aktion entdecken.“

Sie selbst wäre damals gern Engelchen geworden. Das ging aber nicht, weil sie in der Königsstraße lebte. Einen Logenplatz hatte sie trotzdem: bei der Oma, die in der Nähe des Roskapellchen wohnte. Noch gut kann sich auch der Liedermacher und Öcher Blues-Musiker Dieter Kaspari, Jahrgang 1947, an das Streuengelchen erinnern. „Für uns Jakobiner-Kinder war es das Ereignis schlechthin im Jahr, das war unsere Kirmes, auf der es Klümpchen regnete“, erinnert er sich an Kindertage. „Es kamen gefühlt Tausende Menschen op en Rues, nach dem Krieg standen sie von oberhalb der Kapelle inmitten der Trümmer bis zur unteren Rosstraße.“

Im Lied für seine Mutter „Esue wor dat met ming Mamm“ hat er das harte Dasein „an et Rueskapellche“ skizziert, wo es gar nicht so selten eine „Klöpperei“ gab. Selbst das Karnevals-Trio „3 Atömchen“ widmete dem „Engel vajjen Rues“ ein gefühlvolles Lied.

Erinnerungen will der Verein verstärkt pflegen – etwa an den Brunnen mit Bildstock, an dem bereits im 15. Jahrhundert viele Gläubige beteten. Einer von ihnen war der Knecht Johann, der seinen schmalen Lohn sparte und dafür Süßes für die Kinder besorgte. Bestens erinnert man sich auch an Lipette Jungbecker, die bis zum 95. Lebensjahr für den Verein im Herzen der Stadt Aachen aktiv war, der sich 1705 gründete. „Der Gedanke, wie gut es Kindern tut, wenn sie sich freuen, hat sich erhalten, das ist heute noch so“, sagt Renate Watteler. Zur Vereinsarbeit gehören diverse soziale Unternehmungen.

Im Moment laufen die Vorbereitungen zum Fest. „Jetzt muss ich dem Engelchen dringend die Locken aufdrehen“, inspiziert Renate Watteler die kostbare Puppe, für die es nicht nur diverse Kleider gibt, sondern zu jedem Kleid ein passendes Cape als Regenschutz. Denn in etwa vier Metern Höhe kann es ungemütlich und feucht werden. „Wir würden uns noch über Spenden freuen“, meint Renate Watteler. „Bonbons, Kutsche und Gebühren, das summiert sich. Vielleicht findet sich sogar ein Festmodengeschäft, das Eltern mit dem Kleid hilft.“

Nun hofft der Verein auf möglichst viele Anmeldungen und neue Mitglieder. Die Wahl findet am Freitag, 18 Uhr, im Saal des Jakobushauses (neben St. Jakob) statt. Zur öffentlichen Proklamation kommt es am Samstag (Kirmes-Start um 15 Uhr). Der Festzug mit Honoratioren-Kutsche hält um 17 Uhr am Eingang zum Sozialwerk Aachener Christen, Rosstraße 9, zur Proklamation, bei der das Vorgänger-Engelchen seiner Nachfolgerin die Krone überreicht. Am Sonntag beginnt um 11.45 Uhr der Gottesdienst an der Kapelle, danach findet ein Öcher-Platt-Frühschoppen statt. Sonntags und montags, jeweils 15 Uhr, wird das mechanische Engelchen Bonbons streuen. Nach Ziehung der Gewinner bei der Tombola (Montag, 16.30 Uhr) wird das Streuengelchen 2022 um 18.30 Uhr verabschiedet. Als Erinnerung überreicht ihm der Präsident einen goldenen Engel-Anhänger mit Name und Datum.

Mehr Infos gibt es im Netz unter: https://streuengelche.de. Anmeldung bei Detlef Houben, Telefon 0241/24910 oder per E-Mail unter info@streuengelche.de. Auch am Wahltag selbst ist eine Anmeldung noch möglich.