Aachen : Interaktives Theaterstück „Fake Paradise“: Gemeine Lügen und echte Folgen
Aachen „Wenn Sie Deutsche sein wollen, dann nehmen Sie doch erst einmal das Kopftuch ab.“ Und als Ergänzung: „Ich möchte ja mal wissen, was Sie im Unterricht Ihren Schülern erzählen.“ Bei solchen Sätzen schnappte das junge Publikum hörbar nach Luft, und auch das Schimpfwort „Türkenpisser“ wurde mit einem deutlichen Buhen kritisiert.
Beim interaktiven Theaterstück „Fake Paradise“ nahmen die Schauspieler kein Blatt vor den Mund. Als Jenny, Melissa und Markus führten sie die Zuschauer in verschiedene Szenarien des Internets und der wahren Welt. Und dabei wurde ganz schnell klar: Rassistische Hassreden kommen bei den Schülern in der Offenen Tür D-Hof gar nicht gut an.
Auf der Bühne begrüßen vier Coaches die Besucher im „Fake Paradise“ und machen sie fit für eine Welt, in der sich Wahrheit und Behauptung ungefiltert mischen und „Likes“ mehr zählen als der persönliche Kontakt. Was ist also schon dabei, wenn Luk sich mit einem gefakten Profil an Lisa heranmacht und dann endlich auch den Satz bekommt, der ihn jubeln lässt? „Du kannst ja mal bei mir lecken“, chattet Lisa und meint eigentlich ihr Eis, ein virtuelles Eis zudem. Luk postet den Satz, stellt ein entsprechendes Foto von Lisa dazu, und schon ist Lisas Ruf ruiniert. Was die einen so achtlos ins Netz stellen, hat große Konsequenzen für die Opfer. Und im Stück „Fake Paradise“ bringt Lisa sich um.
Die Reaktionen des Publikums im Driescher Hof bleiben zum Teil verhalten. Gekommen sind Schüler der siebten bis zehnten Klasse der Hauptschule Drimborn, der Gutenberg-Schule in Stolberg, der Schule am Rödgerbach und der Gesamtschule Brand. Als sie gefragt werden, ob sie schon einmal ein Video von jemanden ins Netz gestellt haben, ohne ihn zu fragen, oder ob sie schon mal jemanden „gedisst“ haben, bleiben sie zurückhaltend. Aber die rassistischen Provokationen und die Fakes kommen gar nicht gut an bei ihnen.
„Angela Merkel ist ein Mann“
„Fake Paradise“ bringt populistische Gesinnung und Vorurteile zur Sprache, ohne dabei zimperlich zu sein. „Wir sind das Volk, der Islam gehört nicht zu Deutschland, wir wollen nicht, dass ständig neue Kopftuchträgerinnen produziert werden“: Solche Sätze nehmen die Schüler nicht kommentarlos hin, sondern zeigen im Gegenteil sehr deutlich, dass sie nicht einverstanden sind.
Wer im „Fake Paradise“ auf die höchste Stufe kommen will, der muss vor allem skrupellos sein. Jenny ist es nicht. Sie bringt es nicht fertig, die andere Jennifer so zu „dissen“, dass sie schließlich weint. Und skrupellos muss man auch sein, um „Fake News“ im Netz zu verbreiten. In „Fake Paradise“ kursieren jede Menge davon: „Angela Merkel ist ein Mann“, „Kondome machen Aids in Afrika noch schlimmer“ oder „Syrer bekommen 1000 Euro Kindergeld“.
Das Publikum glaubt kein Wort davon. Bleibt am Ende die Frage, wer nun eigentlich das Volk ist. „Wir alle sind das Volk. Alle die, die in Deutschland leben, sind das Volk“, sagt Gerburg Maria Müller zum Schluss. Sie hat dieses Stück gemeinsam mit Alessandra Ehrlich erarbeitet, „weil uns all diese Dinge so furchtbar aufregen“.
In den kommenden Tagen werden sie und ihre Kollegen damit auch in den Offenen Türen in Stolberg und Alsdorf gastieren. Das Theaterstück ist eine Produktion des Vereins „New Limes und WIR“, und wird von der Städteregion Aachen, der Stadt Aachen und dem Bistum Aachen unterstützt.