1. Lokales
  2. Aachen

Erfolgsstory mit Farbklecks: Innenminister Reul nimmt sich Aachen zum Vorbild

Erfolgsstory mit Farbklecks : Innenminister Reul nimmt sich Aachen zum Vorbild

Nachdem die gemeinsame Anlaufstelle von Ordnungsamt und Polizei in Aachen mit einem Farbbeutel beschmiert wurde, ist NRW-Innenminister Herbert Reul zu Gast. Seine Haltung ist eindeutig. Werden Öffnungszeiten verlängert?

Schwamm drüber. Über die paar roten Farbkleckse auf dem Bürgersteig steigt Innenminister Herbert Reul locker hinweg. Das spiegelnde Glasportal, das in der Nacht zum Freitag beschmiert wurde, glänzt schon wieder. Alles geschrubbt. Der CDU-Politiker verschafft sich am Vormittag vor Ort – das war lange geplant – einen Eindruck von der Arbeit der erst drei Monate alten „Gemeinsamen Anlaufstelle“ von Polizei und Ordnungsamt an der Ecke Peterstraße/Blondelstraße. Direkt zwischen syrischem Imbiss und Shisha-Shop auf der einen, einer Löwenbräu-Spielhalle und Leerstand auf der anderen Seite.

Schräg gegenüber liegt der Bushof. „Nach einer aktuellen Studie fühlen sich in Deutschland 73 Prozent der Mädchen und Frauen an zentralen ÖPNV-Knotenpunkten nicht sicher“, sagt er. Auch deshalb sei der Standort der Anlaufstelle in Aachen perfekt gewählt.

Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, Polizeipräsident Dirk Weinspach, Stadtdirektorin Annekathrin Grehling und der Leitende Polizeidirektor Wilfried Sauer führen den Innenminister durch die Räume. Zuerst durch die gläserne Sicherheitsschleuse, dann Zwischenstopp vorne an der Rezeptionstheke. Im Multifunktionssaal neben Teeküche und Waffenkammer stehen Gastgeber(innen) und Gast Rede und Antwort.

Über ein Dutzend Journalisten und Fotografen sind vor Ort, das Fernsehen filmt. Dazwischen sorgen uniformierte und zivile Beamte für Schutz. Vor der Tür wachen Personenschützer in Polizeiautos. Der Trubel ist enorm.

Aachens „Gemeinsame Anlaufstelle“ genießt Ausnahmestatus, Vorbildcharakter. „Gute Ideen sind immer einen Besuch wert. Vor allem, wenn sie unsere Städte sicherer machen“, lobt Reul. Anzeigenannahme, Kummerkasten, Fundbüro, Zufluchtsort – rund 1200 Menschen suchten und fanden hier in den ersten drei Monaten Hilfe.

Geöffnet ist montags bis samstags von 7 bis 21 Uhr. „Es ist das Versprechen an die Bürgerinnen und Bürger, diese Stadt sicherer zu machen“, betont OB Keupen. „Wir nehmen das sehr ernst“, sagt sie. Und legt Wert auf den zusätzlichen Servicecharakter dieses Schulterschlusses von Polizei und Ordnungsamt. „Hier gibt es auch gelbe Säcke“, erklärt sie. Mindestens so wichtig sei aber, dass der Kriminalitätsschwerpunkt Bushof hier besondere Aufmerksamkeit genießt. Eine „Koordinierungsstelle“ stellt die Oberbürgermeisterin auch für den Hotspot Kaiserplatz in Aussicht.

Apropos: Stadtdirektorin Annekathrin Grehling kann sich sehr gut vorstellen, dass die Öffnungszeiten der Anlaufstelle in Zukunft weiter in den Abend und die Nacht ausgedehnt werden. Ein Datum gibt es dafür noch nicht. Das städtische Sicherheitsteam wurde ohnehin in den vergangenen 25 Jahren erheblich aufgestockt: von sechs auf 40 Ordnungskräfte. Ähnlich viele Polizistinnen und Polizisten sind hier gebündelt. Polizeipräsident Weinspach verweist darauf, dass es zuweilen noch mehr sind: etwa wenn – wie am vergangenen Donnerstag – mit rund 100 Kräften eine Razzia auf dem Kaiserplatz vorbereitet, koordiniert und dann umgesetzt wird.

 Bei Dunkelheit mit Farbbeutel beworfen: Vor dem Besuch des Innenministers wurde die Fassade der „Gemeinsamen Anlaufstelle“ von roter Farbe befreit.
Bei Dunkelheit mit Farbbeutel beworfen: Vor dem Besuch des Innenministers wurde die Fassade der „Gemeinsamen Anlaufstelle“ von roter Farbe befreit. Foto: Ralf Roeger

„Der Schulterschluss von Stadt, Ordnungsamt und Polizei hat in Aachen eine viele Jahre lange Tradition“, bekräftigt Weinspach. Der Polizeipräsident, die Oberbürgermeisterin und der Innenminister unterzeichnen deshalb noch vor Ort – symbolisch – eine Urkunde zur Bekräftigung dieser Ordnungspartnerschaft. Auf verlängerte und in die Nacht ausgedehnte Öffnungszeiten will sich Weinspach hier aber noch nicht festlegen lassen. „Zu bestimmten Zeiten ist es effektiver, wenn wir nachts schon – verdeckt oder in Uniform – auf der Straße sind, und nicht hier in der Anlaufstelle warten“, sagt der Polizeichef.

Polizeidirektor Sauer verweist auf die höhere Präsenz, die das Sicherheitsgefühl der Aachenerinnen und Aachener stärke. „Die Kolleginnen und Kollegen gehen zu Fuß, hecheln nicht nur den 110-Einsätzen in ihren Polizeiautos hinterher“, erklärt er. Die vermehrte Sichtbarkeit schaffe Vertrauen. Was aufgrund des Wandels der Innenstädte immer wichtiger werde. „Früher kamen die Leute zum Konsum, zum Einkaufen. Jetzt sollte sich die Gesellschaft ihre Innenstadt zum Wohnen und Arbeiten zurückholen“, sagt er. Und warnt: „Sonst machen das andere.“

Wobei auch am Bushof viele besonders rechtschaffene Menschen unterwegs sind. Regelmäßig landen Schlüssel, Handtaschen und mit Barem gefüllte Geldbörsen in der Anlaufstelle. Besonders am Nachmittag und frühen Abend, weil das hauseigene Fundbüro im zweiten Stockwerk um 15 Uhr schließt. Die Anlaufstelle ist dann noch offen.

Auch wenn es nicht so aussieht, weil alle Erdgeschoss-Scheiben an der Hausecke von außen verspiegelt sind. „Immer wieder können wir von innen Schminkaktionen oder die Überprüfung des Zahn-Status erleben, weil Passanten die Spiegel nutzen“, schildert Sauer. Viele ahnen offenbar nicht, dass drinnen Polizisten und Ordnungskräfte arbeiten.

Man kann herausschauen, aber nicht hinein. Das hat schon Kritik ausgelöst, weil die dunkle Verspiegelung wenig einladend wirkt. Begründet wird das von der Polizei mit Datenschutzregeln. Niemand dürfe von außen auf sensible Daten der Computerbildschirme blicken können, sagt Sauer. Man könnte die Bildschirmeinsicht natürlich auch anders verhindern – aber das ist bei Reuls Besuch kein Thema.

Bei der Polizei führte hier in den ersten drei Monaten Arndt Vossen Regie. Er wird am Freitag in Anwesenheit des NRW-Innenministers in den bald anstehenden Ruhestand verabschiedet; Sascha Opielka übernimmt die Leitung; der Polizist ist promovierter Soziologe.

Reul gratuliert beim mehrstündigen Aachen-Besuch: dem neuen Chef, der Stadt Aachen, dem Ordnungsamt und der Polizei. Auch wenn die Aussichten, den oder die jüngsten Farbbeutelwerfer(in) zu identifizieren, eher gering sind. Die Überwachungskameras der Polizei waren zum Tatzeitpunkt ausgeschaltet. Getroffen wurde übrigens auch ein Geschäftsschaufenster der Nachbarschaft. Die Aufklärungsquote bei Sachbeschädigung liegt in Aachen laut Kriminalitätsstatistik bei 25 Prozent. Also: Schwamm drüber.