50 Jahre zurückgeblättert : Im Krankenhaus ging es 1971 um die Wurst
Serie Aachen Was schrieb vor 50 Jahren Schlagzeilen? Im Rahmen unserer Serie „Zurückgeblättert“ haben wir einen Blick in die Tageszeitung vom 14. Januar 1971 geworfen. Und da ging es unter anderem um kulinarische Komplikationen in den Klinischen Anstalten an der Goethestraße.
Nur eine Wurst oder eine Sorte Käse. Mehr nicht. Das soll den Heilungsprozess fördern? Nimmt man den Bericht in der Tageszeitung zum Maßstab, so lag nicht nur bei der kulinarischen Pflege stationärer Patienten in Aachen vor 50 Jahren einiges im Argen. Blättern wir einmal zurück bis zu diesem 14. Januar 1971...
Als „Aachens Sorgenkind“ werden die Klinischen Anstalten an der Goethetraße – Vorgänger des jetzigen Uniklinikums – im Aufmacher auf der 1. Lokalseite bezeichnet. Klagen und Vorwürfe gebe es „zuhauf“. Vor allem, wenn es im wahren Sinne um die Wurst ging. „Wenig schmackhaftes Essen“ wird dort dem Großkrankenhaus – mit damals 1100 Patienten – ins Rezeptbuch geschrieben. Weder Frühstück noch Abendbrot seien abwechslungsreich genug. Und eigentlich hätte auch die Polizei eingeschaltet werden müssen. Weil – unglaublich, aber so damals berichtet – Essen auf dem Weg von der Küche auf die Station einfach verschwand. Vor allem Diätkost bleibe bisweilen „unauffindbar“, berichtet die damalige Aachener Volkszeitung.
Wie immer, so ging es auch vor 50 Jahren schon ums liebe Geld. Die Klinischen Anstalten waren da wohl eher am unteren Ende der Nahrungskette angesiedelt. Nur 4,27 Mark betrug der vom Land NRW festgesetzte Verpflegungssatz für die Klinik. Das Aachener Luisenhospital gab damals in der dritten Klasse bereits 6,20 Mark pro Patient aus. Noch schlimmer: In diesen etwas mehr als vier Mark war der nachmittägliche Klinikums-Kaffee noch nicht enthalten, den musste man offensichtlich anderweitig brühen. Schwere Zeiten eben.
Liest man den Bericht weiter, so erschließt sich mehr und mehr, warum diese Klinischen Anstalten selbst ziemlich kränkelten und die Planung eines Neubaus auf Melaten dringend notwendig war. Veraltete Küchen, vorsintflutliche Technik, Pannen bei der Auslieferung, chronischer Personalmangel, immer wieder Verwechslungen bei den unterschiedlichen Diätmenüs und, und, und. Der Berichterstatter schöpft aus dem Füllhorn negativer Adjektive, um die Situation zu beschreiben. Kein Wunder, dass der damalige Ärztliche Direktor Dr. Gehlen abschließend mit dem Satz zitiert wird: „Hoffentlich überstehen wir die nächsten fünf Jahre bis zum Neubau des Zentralklinikums.“
Was weder Dr. Gehlen noch die Berichterstatter 1971 wissen konnten: Es dauerte dann doch noch bis 1984, bis die ersten Abteilungen von der Goethestraße nach Melaten umzogen. Dass der Neubau statt der veranschlagten 571 Millionen schließlich mehr als zwei Milliarden Mark kostete, verwundert aus heutiger Sicht und aus Erfahrung mit vielen anderen Großprojekten sicherlich nicht mehr...
Ob das Essen heutzutage im Klinikum Käse ist, darüber mag man individuell empfinden. Beschwerden wie vor 50 Jahren gibt es jedenfalls nicht. Im Gegenteil. Man legt größten Wert auf Qualität und Ausgewogenheit. Auf rund 3500 Quadratmetern bereitet das Küchenteam pro Tag drei Gerichte (morgens und abends Brot mit Aufschnitt/Aufstrich, mittags eine warme Mahlzeit) für die Patientinnen und Patienten zu, die vorab zwischen Rohkost, Feinkost und vielem mehr wählen können, teilte die Klinikums-Pressestelle am Mittwoch mit.
Je nach Grund des Krankenhausaufenthalts könne gegebenenfalls eine spezielle Diät verordnet sein (etwa nur leichte und bekömmliche Speisen, Schonkost, salzarme Kost oder ähnliches). Hier unterstütze das Ernährungsteam mit zertifizierten Ernährungsberaterinnen. Um die Essen schnell und heiß ausliefern zu können, portioniere das Küchenteam auf zwei Laufbändern und achte dabei auf individuelle Einzelwünsche.
Am Ende der Kette kontrolliert laut Pressestelle eine Ernährungsberaterin, ob jedes Tablett richtig befüllt wurde. Pünktlich um 12 Uhr mittags kämen im Normalfall rund 1400 Essen auf Station an. Von entwendeter Diätkost wie vor 50 Jahren ist im Uniklinikum jedenfalls nicht die Rede. „Hintergründe zum Rätsel um die damals verschwundene Diätkost haben wir leider nicht ausfindig machen können“, schreibt die Pressestelle mit einem Augenzwinkern ...
Unter falschem Namen
Was schrieb noch an diesem 14. Januar 1971 Schlagzeilen? Der TH-Rektor steht auf der 1. Lokalseite der Tageszeitung. Mit einer Drohung. Weil sich Teile der Studentenschaft weigern, einen Teil des Studentenbeitrags bei der Rückmeldung zu entrichten. Es geht um 7,50 Mark pro Studierendem für den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA). Der ist manchem Studiker zu links orientiert und man will ihn nicht unterstützen. Politisches Gezänk eben.
Aus heutiger Sicht wird die Androhnung der Exmatrikulation durch den Chef der TH aber aus anderem Grund interessant. Der damals hoch angesehene Germanist Hans Schwerte war von 1970 bis 1973 Rektor der RWTH Aachen. Unter falschem Namen, mit falscher Biografie. Anfang der 1990er Jahre verdichteten sich Gerüchte, Hans Schwerte sei ein Fake. 1994 wird aufgedeckt, dass es sich bei ihm in Wirklichkeit um den 1909 in Königsberg geborenen Hans-Ernst Schneider handelt, der im „Dritten Reich“ Hauptsturmführer bei der SS war und als Abteilungsleiter im persönlichen Stab des Reichsführers SS Heinrich Himmler unter anderem im „Amt Ahnenerbe“ arbeitete.
Nach dem Krieg nahm er eine andere Identität an und machte völlig unbehelligt wissenschaftlich Karriere, die ihm unter anderem das Bundesverdienstkreuz einbrachte – das er 1995 zurückgeben musste. Die Staatsanwaltshaft Dachau hatte im selben Jahr ein Verfahren wegen Beihilfe zum Mord gegen ihn eingeleitet, weil er als NS-Funktionär an der Organisation illegaler medizinischer Experimente im KZ Dachau beteiligt gewesen sein soll. Es wurde später eingestellt.