Saalkarneval : Freiwillige Absagen können teuer werden
Aachen Wer seine Karnevalssitzung freiwillig zu früh absagt, riskiert erhebliche Einbußen. Kommandanten und Präsidenten kritisieren nicht nur NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Den Karnevalsvereinen ist das Lachen vergangen. Der Frust ist groß, die finanziellen Sorgen wachsen. Hinter närrischen Kulissen ringen Elferräte, Kommandanturen und Vorstände seit der „Empfehlung“ von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sowie der Spitzenfunktionäre der Karnevalsverbände, den Saalkarneval abzusagen, um den richtigen Kurs. Viele sind stinksauer auf Wüst. Vor allem kleinere Vereine, die oft ohnehin kaum Karten für ihre Sitzungen verkauft haben, kündigen bereits – „freiwillig“ – den Ausfall ihrer Veranstaltungen an. Da drohen teure Fallstricke.
Vereine müssen bis zum 23. Dezember entsprechende Anträge sowie Regressansprüche beim Land einreichen und dann auf einen Ausgleich ihrer finanziellen Schäden hoffen. Denn die Verträge mit Künstlern, Bands und den Verpächtern der Veranstaltungssäle bleiben gültig. Gagen, Mieten und mehr müssen bezahlt werden. Nach Angaben von Frank Prömpeler, Präsident des Festausschusses Aachener Karneval (AAK), haben die Närrische Flammengilde, KG Bröselspetze, Horbacher Freunde, Schwarz-Blaue Funken und die KG de Bahkäuvjere bereits den Ausfall ihrer Sitzungen, Bälle und Partys in Aussicht gestellt. Prömpeler hatte bereits den Ball der Mariechen in den April verschoben. Auch die Märchenprinz-Gala mit Kinderprinz Phil I. steht vor dem Aus. Sie könnte – wegen der vielen Kinder und anders als Abendveranstaltungen mit erwachsenen Narren – auch kaum unter realistischen 2G plus-Regelungen durchgeführt werden.
Kein Saalkarneval
Der AAK, so Prömpeler, will bis Aschermittwoch ohnehin den Saalkarneval komplett begraben. Der Kinderprinz sollte eigentlich vor rund 1000 Kindern und Eltern am 16. Januar im Eurogress sein Karnevalsprogramm feiern. Einen Tag später, am 17. Januar, geht an selber Stelle das Kindermusical „Bibi & Tina“ über die Bühne. Es ist nach Angaben des Eurogress nicht abgesagt.
„Wir warten ab, rechnen für Januar und Februar mit weiteren Veranstaltungsabsagen“, sagt Eurogress-Sprecherin Goentje Gust am Donnerstag auf Anfrage. Allein 13 große Karnevalsveranstaltungen stehen im größten Saal der Stadt auf dem Programm: von der großen Prinzengala mit Guido I. am 8. Januar bis zur AKV-Ordensverleihung Wider den tierischen Ernst an Iris Berben am 12. Februar. Die Unkosten eines Karnevalsabends variieren von der Eckkneipe bis zum Eurogress stark und sind natürlich programmabhängig: von wenigen Tausend bis zu 300.000 Euro pro Veranstaltungstag.
Weitere Entscheidungen fallen kommende Woche. Vor allem die größeren Vereine warten noch ab. Für den 21. Dezember wird die neue NRW-Coronaschutzverordnung erwartet. Darin könnten dann weitere Einschränkungen, auch für den Sitzungskarneval, rechtssicher formuliert sein. „Das hätte womöglich zur Folge, dass wir von Verträgen zurücktreten könnten, weil das Land NRW tatsächlich eine Sitzungsdurchführung für uns unmöglich macht“, sagt Georg Cosler, Kommandant der Oecher Penn.
„Derzeit reine Lotterie“
Mit dem Kommandanten der Prinzengarde, Dirk Trampen, und dem Vizepräsidenten des Aachener Karnevalsvereins (AKV), Wolfgang Hyrenbach, befürchtet er nämlich ebenfalls, dass die Kompensationszahlungen die entstandenen Unkosten nicht auffangen werden. „Das ist derzeit reine Lotterie, es gibt Kostendeckel von wenigen Tausend Euro; zudem heißt es, die Karnevalsvereine müssten in dem Antrag erst mal nachweisen, dass sie ,bedürftig‘ sind“, kritisiert Trampen. „Was soll das heißen? Muss mein Vereinskonto leer sein, damit ich etwaige Hilfen bekommen kann – die nach den Erfahrungen mit den Corona-Überbrückungshilfen und den zögerlichen Fluthilfen sicher ein riesiger und langwieriger bürokratischer Akt würden?“, fragt der Prinzengarden-Kommandant. Bei rund 1500 Karnevalsvereinen in Nordrhein-Westfalen würden sich die Ausfallsummen schnell auf rund 50 Millionen Euro addieren, haben Trampen, Hyrenbach und Cosler überschlagen.
Das Antragsformular verlangt zudem nach einer Bestätigung des örtlichen Ordnungsamtes, dass besagte Veranstaltungen – mit Vergnügungssteuer und Hygienekonzept – überhaupt angemeldet sind. „Es ist extrem kompliziert, unübersichtlich. Und der Zeitdruck ist hoch. Zwischen der neuen Coronaschutzverordnung und der Anmeldfrist einer freiwilligen Absage liegt womöglich nur ein einziger Tag“, beklagt Hyrenbach, nämlich der 22. Dezember. „Ich kann nicht begreifen, warum nur das Etikett Karneval – anders als Konzerte, Theater, Kino, Musicals etc. – nun solch einem moralischen Absagedruck ausgesetzt wird. Das ist uns Ehrenamtlern gegenüber alles andere als fair“, sagt er.
Veranstaltungen im Eurogress
Hyrenbach, Cosler und Trampen stellen klar: Es gibt kein Karnevalsverbot, nur eine „Empfehlung“ von NRW-Landesregierung und Festausschüssen. Jeder der 50 Aachener Vereine ist derzeit noch frei in seiner Entscheidung, ob er den Saalkarneval absagt. Für das Eurogress gilt im großen Saal aktuell folgende Regel: Ab einer Zuschauerkapazität von 1000 Menschen dürfen bis zur Vollauslastung (ca. 1400 Plätze) weitere 30 Prozent der Stühle belegt werden. Das entspreche unter 2G-plus-Bedingungen nach Eurogress-Angaben exakt 1120 Sitzplätzen, heißt es.
Während der AKV für die Ordensverleihung schlimmstenfalls eine Show ohne Publikum als reine Fernsehaufzeichnung auf die Bühne bringen könnte, könnten andere Veranstaltungen – auch auf freiwilliger Basis – mit deutlich weniger Publikum stattfinden. „Wir tun längst alles, was geht, um Karneval mindestens so sicher wie andere Veranstaltungsformate zu machen. Aber man muss uns auch lassen“, sagt Hyrenbach. „Wieso müssen nun gerade wir Karnevalisten ausbaden, was Politik versäumt hat?“, fragt Trampen.
Tendenziell wollen auch die Öcher Duemjroefe auf ihre große Sitzung am 18. Februar eher verzichten, wie Geschäftsführer Peter Brust am Donnerstagabend andeutet. Er ist Steuerberater. Vor einer „offiziellen freiwilligen Absage“ müsste aber zwingend das entsprechende Regress-Anmeldeformular des Landes NRW registriert sein, rät er eindringlich allen Veranstaltern. Ansonsten geht man bei vorzeitiger Absage leer aus – mit noch mehr Frust und finanziellen Sorgen.