Aachen : Essen ohne tierische Produkte: Vegan leben in Aachen
Aachen Von außen sieht es gemütlich und freundlich aus, aber schon ein Blick auf die Speisekarte genügt, um festzustellen, dass es sich bei dem „Common Sense” um ein etwas anderes Restaurant handelt. Das zertifizierte Bio-Lokal in der Aachener Innenstadt bietet neben vielen nachhaltigen Alternativen auch frittierte Heuschrecken an.
Keine schlechte Idee, denn Insekten sind ein hervorragender Proteinlieferant und zudem kein knappes Naturgut, darüber sind sich Klimaforscher einig. Fakt ist: Deutsche verdrücken im Durchschnitt etwa 60,7 Kilogramm Fleisch pro Jahr. So steht es im Fleischatlas, aber „Fleisch kann die Welt nicht ernähren“, so Hanna Maes, die Inhaberin des „Common Sense“ in Aachen.
Diese Meinung vertreten viele Menschen, selbst „Fleischesser“. Die greifen laut einer repräsentativen Umfrage des Landwirtschaftsministeriums nämlich immer mehr auf Lebensmittel aus besonders tiergerechter Haltung mit Bio-Siegeln zurück. Das bewusste Verzehren gewinnt in unserer heutigen Gesellschaft konstant an Bedeutung.
Lifestyle und Trend
Allerdings wäre eine Schwächung unseres Fleischhungers nicht nur gut für die Tiere, sondern auch für Natur und Umwelt. Die wird nämlich massiv durch die Produktion von Tierprodukten belastet. 16 Kilo Getreide und bis zu 16.000 Liter Wasser werden für die Herstellung von einem Kilogramm Fleisch benötigt.
Der aufkeimende Hype um die richtige Ernährung gleicht einer Modeerscheinung. Dies ist vor allem bei jungen Menschen zu beobachten. Alternative Ernährung als Trend! Noch nie wurde unser Sinn für gesunde Ernährung so geschärft wie in der heutigen Zeit. Auf der Foto- und Lifestyle-Plattform „Instagram“ ist #healthy (zu deutsch gesund) mit über 50,8 Millionen Einträgen ein Sammelbecken für individuelle Anregungen aus aller Welt.
Denn bewusste Ernährung ist in. Und alle machen mit. Auch Unternehmen haben diesen Trend entdeckt und nutzen die virale Verbreitung. Sie verteilen Gratisprodukte an User mit den meisten Followern, die das Produkt dann für sie vermarkten. Ein erfolgreiches Social-Media-Konzept. Denn neben Selfies werden Fotos von den neuesten Fashiontrends, Lifestyle-Produkten und vor allem auch Lebensmitteltrends gepostet und vorgestellt.
Produkte wie Chia, Goji und Açai sind deswegen heute in deutschen Supermärkten keine Rarität mehr. Es gab sie schon immer, jedoch sind die wertvollen Samen und Beeren, die diesen Namen tragen, nur in Vergessenheit geraten. Bis jetzt, heute werden sie als sogenannte „Superfoods” verkauft und revolutionieren bereits den ein oder anderen Haushalt.
Wer nicht auf tierische oder pflanzliche Nahrungsmittel verzichten will, wird als „Omnivor“ (umgangssprachlich „Allesfresser“) bezeichnet. Hierbei handelt es sich um den Großteil der Menschheit und meist um die „unbewussten Esser“. Viele machen sich nämlich einfach keine Gedanken über Inhaltsstoffe oder sie haben einfach keine Zeit oder Lust, sich mit ihrer Ernährung auseinanderzusetzen. Dadurch erhöhen sie erwiesenermaßen ihr Risiko für viele Krankheiten.
Die Vegetarier streichen alle Produkte, die vom toten Tier stammen. Dazu gehören auch Süßigkeiten, die mit Gelatine versetzt werden. Die vegetarische Ernährungsform ist weltweit bekannt, akzeptiert und muss sich auch nicht mehr durchsetzen. In so gut wie jedem Restaurant, Café oder auch auf Langstreckenflügen werden vegetarische Menus angeboten.
Vom Vegetarier zum Veganer
Sogenannte Pescetarier (Latein: „piscis“, deutsch: „Fisch“) erlauben sich hingegen noch zusätzlich Fisch und Meeresfrüchte. Pescetarier begründen ihre Entscheidung meist mit gesundheitlichen Aspekten, da in Fisch wertvolle Inhaltsstoffe enthalten sind. Außerdem sind einige wenige der Meinung, dass Fische weniger fühlen als andere Tiere und evolutionstechnisch deutlich weiter vom Menschen entfernt seien als zum Beispiel Kühe oder Hühner. Die Pescetarier sind dementsprechend eine Untergruppe der Vegetarier.
Veganer entscheiden sich dazu, noch einen Schritt weiter zu gehen und verzichten zusätzlich auf alle Lebensmittel, die vom lebenden Tier stammen wie Eier, Milch und Honig. „Was kannst du dann überhaupt noch essen?“ Tatsächlich, ist vielen Menschen der vegane Ernährungsstil unbekannt. Laut einer Studie der Universitäten Göttingen und Hohenheim aus dem Jahre 2013 sind nur 0,5 Prozent der in Deutschland Lebenden vegan.
„Ich werde oft als intolerant, missionarisch oder vorwurfsvoll wahrgenommen, sobald das Wort ,vegan‘ fällt. Dabei hat das mit vegan sein wirklich nichts zu tun!“, berichtet ein Teilnehmer einer anonymen Online-Umfrage in der veganen Community. Ein anderer bestätigt: „Ich muss mir immer dumme Sprüche anhören.“
Veganer stimmen zu, dass das Ausgehen einer Umstellung bedurfte. Denn sie müssen nicht nur bei den Speisen auf die Zutaten achten. Es gibt beispielsweise Weine, die nicht den Kriterien entsprechen. Die meisten Menschen, die sich für eine solche Lebensweise entscheiden, stört es daher nicht, manche Sachen doppelt checken zu müssen. Die Aachener Studentin und Veganerin Kim Kretschmar drückt es so aus: „Ich finde, Tiere töten ist viel extremer als Äpfel essen.“
Manche Menschen entscheiden sich aus gesundheitlichen Gründen für die fleischlose Kost. Andere können den Gedanken nicht ertragen, die Massentierhaltung mit ihrem destruktiven Verhalten zu unterstützen. Für eine vegane Ernährungsweise stehen somit oftmals „Tierschutz“ und „Umweltschutz“ im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Eine Ausbeutung der Welt kommt für sie nicht in Frage. Ein Großteil vermeidet in Zuge dessen im Alltag auch Produkte mit animalischer Herkunft, wie beispielsweise alles, was aus echtem Ledermaterial besteht.
Aber was tun, wenn man sich bewusst gesund ernähren möchte, aber nicht auf sein heiß geliebtes Grillfleisch verzichten möchte? Für all diejenigen könnte die sogenannte „Paleo-Ernährung“ das Richtige sein. Sie hat in letzter Zeit rasch an Beliebtheit gewonnen. Der Begriff kommt von „Paläolithikums“ — eine Epoche der Alt-Steinzeit. Die Grundtheorie ist, dass sich das menschliche Erbgut seit der Steinzeit nicht verändert habe. Folglich sei der menschliche Organismus perfekt an die steinzeitliche Ernährung angepasst.
Wie bei unseren Vorfahren
Verspeist wird also alles, was auch unsere Vorfahren vor 2,5 Millionen Jahren im Rahmen ihrer Möglichkeiten essen konnten. Verzichtet wird auf alle Getreide- und Milchprodukte, da Ackerbau und Viehzucht erst vor knapp 10 000 Jahren eingeführt wurden. Vor allem industriell verarbeitete Lebensmittel werden bei den „Paleoanern“ aus dem Vorratsschrank verbannt. Gegessen wird viel Obst und Gemüse.
Bei Fleisch wird darauf geachtet, dass die Tiere artgerecht gehalten wurden und von regionaler Herkunft sind. Verarbeitetes Fleisch, beispielsweise als Salami, wird grundsätzlich abgelehnt, da Konservierungsstoffe und Antioxidantien die Echtheit der Lebensmittel verfälschen. Gesüßt wird natürlich, das heißt zum Beispiel mit Ahorn-Sirup statt raffinierten Zucker.
Statt zurück bewegen wir uns diesmal auf der Landkarte nach vorn. In anderen Kulturkreisen, vor allem asiatischen, ist der Verzehr von Insekten, Larven und Würmern Gang und Gebe. In Deutschland jedoch herrschen deutliche Hemmungen, sich auf diese Weise satt zu essen. Aber: „Heuschrecken benötigen wesentlich weniger Ressourcen als Rinder und bieten umso mehr Proteine. Die frittierte Rarität mit Dip hat es auch in unsere Stadt geschafft. Zurzeit werden die Tierchen aber hauptsächlich als Mutprobe bestellt“, führt Hanna Maes in einem Interview mit Studierenden der FH Aachen aus.
Das Geschäft boomt. Diese Entwicklung bemerken auch Gastronome. Langsam werden die einst spärlich besetzten vegetarischen Optionen in den Menükarten gegen eine Auswahl an Angeboten für diverse Ernährungsformen ersetzt. Und auch Bezeichnungen wie „Vegetarischer Metzger“ werden neu im Wortschatz der Gesellschaft etabliert.
Ob pescetarisch, vegetarisch, vegan oder paleo, all diese und weitere Ernährungsformen sind heutzutage kaum weg zu denken. Unterschiedlichste lokale Organisations- und Facebook-Gruppen engagieren sich mit bestimmten öffentlichen Aktionen gezielt für ein rundum bewussteres Essverhalten.
Allgemein scheint der Trend des gesunden Essens auch in Aachen langsam Wurzeln zu schlagen. Laut eigener Umfrage gaben die meisten Passanten der Studentenstadt immerhin drei von fünf Sternen für ihr kulinarisches Angebot.
Die Ernährungs-Gruppe, die hierzulande besonders aktiv auftritt, sind die Veganer. Die Gemeinschaft bietet auf ihrer Internetseite www.aachen-vegan.de einen Restaurant-Guide mit übersichtlicher Veranschaulichung auf einer digitalen Karte. Dort findet man weitere Informationen über Aktionen und Ansprechpartner. Auch auf Facebook kann man sich über die Gruppe „Vegan in Aachen“ der Gemeinschaft mit mittlerweile über 600 Mitgliedern anschließen und sich an Diskussionen beteiligen, Kontakte knüpfen oder Fragen stellen. Hier werden auch oft sogenannte „Bake-Sales“ oder „Fressmobs“ organisiert, um verschiedene neue oder bestehende Restaurants auszutesten.
Vollwertige Zutaten
Das erste vegane Lokal in Aachen war das „Pfannenzauber” im Herzen der Stadt. Hier wird der vegane Stammtisch veranstaltet und serviert werden Speisen aller Art. Auch Gerichte wie Burger, Eis oder Döner — alles 100 Prozent ohne Tierprodukte. Diese überraschen vom Geschmack den ein oder anderen Omnivor durchaus positiv. Dabei wird darauf geachtet, dass vollwertige Zutaten verwendet werden. In diesem Fall muss man weder bei Ausgewogenheit noch im geschmacklichen Aspekt Abstriche machen.
Doch es muss nicht immer das Restaurant sein. Besonders bei Studenten ist das Geld bekanntlich knapp bemessen. Daher ist der Supermarkt nebenan die günstigere Variante. Zum Glück hat sich auch das Sortiment der Discounter dem rapiden Wandel angepasst. Mittlerweile ist alles im „Laden um die Ecke“ erhältlich, was der „Otto Normal“-Verbraucher für eine moderne alternative Ernährung braucht.
Lebensmittelgeschäfte setzen gezielt auf Produkte, die dem heutigen Gesundheits-Hype verfallen sind. Laktose- und glutenfreie Nahrung kaufen lange nicht mehr nur Menschen mit einer entsprechenden Unverträglichkeit. Konsumiert werden diese auch zunehmend von Leuten, die damit eine Verbesserung ihres Lebensstandards oder eine Reduzierung ihres Gewichts erreichen wollen.
Die Gründe für eine konstante Veränderung seiner Ernährung reichen vom Tierschutz über Umweltschutz bis hin zur eigenen Gesundheit und Fitness. Der Verzicht von bestimmten Nahrungsmitteln ist eine persönliche Entscheidung. Vor jeder Entscheidung sollte man sich gut informieren. Auf keinen Fall darf man diese langfristigen Ernährungsumstellungen mit einer „Crash-Diät“ verwechseln.
Am allerwichtigsten ist schließlich zu guter Letzt, dass es gut schmeckt und einem das Essen „wohl bekommt“.