Geschichte wird lebendig : Eine ganz besondere Stadt- und Familienhistorie
Aachen Ein bisschen sah man Dirk Schmauser seinen Stolz an, als er das neue Buch des Aachener Stadtarchivs mit dem Titel „Briefe im Krieg“ in der Hand hielt und im Aachener Rathaus erstmals der Öffentlichkeit präsentierte. Schließlich ist es für ihn nicht irgendein Buch, sondern seine ganz persönliche Familiengeschichte, die er in den vergangenen zwei Jahren akribisch dokumentiert hat.
Für die Stadt Aachen ist es aber noch viel mehr als das. Das sagte jedenfalls Oberbürgermeister Marcel Philipp bei der offiziellen Buchvorstellung anlässlich des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges und der NS-Herrschaft in Aachen. „Diese Briefe sind ein Baustein Aachener Erinnerungskultur und ihre kritische Dokumentation ein wichtiger Schritt, die Geschehnisse des Krieges für die Nachwelt zu erhalten“, sagte er. Und dieser Ansicht müssen wohl auch die Herausgeber Thomas Müller und René Rohrkamp gewesen sein, als sie vor etwa zwei Jahren von Schmauser die Briefe und den zugehörigen Fotobestand entgegennahmen. Kurzerhand entschlossen sie sich, mit dem Material den dritten Band der Reihe „Aus den Quellen des Stadtarchivs Aachen“ zu füllen.
Nun ist daraus ein fast 200 Seiten umfassendes Werk geworden, das die Erlebnisse Theo R. Schmausers – dem Vater Dirk Schmausers und damals als Technischer Direktor der Reifenfabrik Englebert in Rothe Erde ein geachteter Mann in Aachen – anhand seiner persönlichen Briefe wieder lebendig werden lässt. In ihnen schreibt er, wie er die zunehmenden Luftangriffe auf Aachen, die seit Jahren anhaltende NS-Propaganda und die immer näher rückende Front erlebt. Manche Briefe schildern Situationen aus seinem beruflichen Alltag und Diskussionen mit seinem Bruder Herbert über das erwartete Kriegsende.
Andere Briefe spiegeln seine privaten Empfindungen wider, etwa wie er die Trennung von seiner Frau Elisabeth Schmauser und den gemeinsamen Kindern erlebt.
Doch ohne die historischen Zusammenhänge und die Hintergründe der Familie Schmauser zu kennen, wären die Briefe in der heutigen Zeit wohl kaum zu verstehen. Dirk Schmauser, der 1943 geboren wurde, hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, die Briefe seines Vaters einzubetten und zu kommentieren. In seinen Kommentaren setzt er sich kritisch mit der Frage auseinander, welche Rolle seine Eltern und damit stellvertretend die Elterngeneration der Nachkriegskinder im Zweiten Weltkrieg und im NS-System eingenommen haben.
Sein Anspruch sei es, mit der Dokumentation etwas zu bewahren, was mit dem allmählichen Sterben der Zeitzeugen verloren gehen könnte. „Ob das Folgende nun Zeitgeschichte werden wird oder Literatur“, schreibt er im Prolog des Buches, „wird abzuwarten bleiben. Mit Sicherheit aber wird es das Dokument einer Spezies Mensch, die im Begriff ist auszusterben, nämlich derjenigen, die in diesem Krieg schon da waren.“