Wochenmärkte in Aachen : Ein Prosecco zwischen Obst und Eiern?
Serie Aachen Die zwölf Aachener Wochenmärkte leben von ganz unterschiedlichen Charakteren. Für 2021 gibt es frische Ideen. Im ersten Teil unserer neuen Wochenmarkt-Serie stellen wir den Markt in Brand vor.
Ganz schön wild. Nachts um 1 Uhr geht’s los, dann 14 bis 16 Stunden Schufterei. Einräumen, sortieren, veredeln, verkaufen, aufräumen. Bei Wind und Wetter. Sechs Tage die Woche. Dazu die Fahrerei. Marktbeschicker wie Andreas Ritter sind robuste Typen. Schon aus Tradition. Heute Markt in Aachen-Brand, dann am Montag weiter.
Nur einige Dutzend Beschicker sind in und rund um Aachen jede Woche unterwegs. Zwölf Standorte pro Woche. Mal mit gut 20 Anbietern vor Ort, mal ist man nur zu dritt. Das geht über Blumen, Obst, Gemüse hinaus. Und über Fleisch. Vieles ändert sich, ganz generell, auch noch dieses Jahr. 2021 wird neu.
Was nicht nur für das feine Sortiment von Ritter gilt. Lamm aus Bitburg, Kaninchen aus Euskirchen und viel Fleischiges mehr karrt der 43-Jährige vom Roet-
gener Katharinenhof an. Spätestens zum Herbst gesellen sich Reh, Hirsch, Wildschwein und Fasan in der rollenden Kühltheke dazu. „Alles Wildschuss, nix aus irgendeinem Gehege, alles direkt aus den belgischen Ardennen“, sagt Ritter.
Neben ihm steht Marktmeister Alfred Wernerus. Mit seinem Kollegen Günter Rohner organisiert er für die Stadt das Markttreiben. „Ein Traumjob“, sagt er. Kein Tag ist wie der andere. Heute Morgen ist eine ältere Dame mit ihrem Kleinwagen quer über den gesperrten Marktplatz vorbei am Brander Stier bis zur Fischbude gefahren. Sie wollte wegen Corona niemanden auf dem Weg treffen.
So geht das natürlich nicht. Wernerus komplimentiert die leicht verwirrte Seniorin vom Platz. Sie rollt von dannen, ohne Karpfen im Kofferraum. Raum ist derzeit zwar genug. Die Abstandsregeln haben auch die Marktstände auseinander getrieben, die Wege sind breiter als sonst, das Geschehen weniger dicht.

„Eigentlich schwebt uns ja für die Aachener Wochenmärkte ein Basarcharakter, also durchaus mediterranes Flair vor“, sagt Wernerus. Nicht nur einkaufen, sondern auch verweilen. Wohlfühl-Atmosphäre. Vielleicht bald sogar mit einem Weinchen oder Prosecco zwischen Blumen- und Eierauslagen. Noch lassen dies die Marktvorschriften nicht zu. Alkoholausschank ist verboten. Aber man arbeitet an Konzepten.
Seit den 70er Jahren lockt der Markt in Brand Kundschaft. Aufgebaut wurde früher auf tristen Waschbetonplatten, dann zog man mit dem Tross ein paar Meter weiter Richtung Hochstraße. Vorteil: Direkt daneben gab es Hunderte Parkplätze. Die sind seit der jüngsten Umgestaltung des Marktareals im Jahr 2016 stark geschrumpft. Stattdessen gibt es mehr Grün, modernes Pflaster. Und einen Shuttle-Bus, der Marktbesucher in und rund um Brand einsammelt. Problem gelöst.
Dienstags bieten 17 Beschicker ihre Waren feil; samstags in der Regel 24. „Dann gibt es auch feinen Cappuccino vom Barista“, schwärmt Wernerus. Das gehört ebenso zum Wandel. Marktbesucher bevölkern aber auch die Cafés und Geschäfte am Rande des Platzes – jedenfalls wenn gerade keine weltweite Pandemie für Lockdowns sorgt.
Die Marktleute halten durch. Viele Beschicker zählen zur zweiten, manche schon zur dritten Generation. Wie Ritter: Sein Großvater hatte einen Hühnerbetrieb, verkaufte Eier. Sein Vater baute das Angebot auf Fleisch und Wildspezialitäten aus. Irgendwann übernahm der gelernte Zimmerer das Geschäft. „Man wächst hier zur Familie zusammen. Da gibt es dann zum Geburtstag des Nachbarstandes auch mal ein Schnäpschen“, lächelt Ritter junior. Nebenan steht Käse Krott, drei Geschwister, in zweiter Generation dabei.
Alle Klassiker des Lebensmittelhandels sind vor Ort; manche an starken Tagen mehrfach. „Natürlich kommen viele Stammkunden, die von der Qualität regionaler Waren überzeugt sind. Und die auch mal zu einem kleinen Plausch vorbeischauen“, erklärt Ritter. „Aber seit der Pandemie scheinen mehr Menschen auf ihre Ernährung zu achten. Es sind etwa zehn bis 15 Prozent mehr Kunden, auch viele Jüngere und Familien. Das ist eine wirklich schöne Entwicklung“, sagt der Fleischwarenhändler. Da nimmt man buchstäblich in Kauf, dass Wochenmärkte nicht von Discounterpreisen leben. Ein Monopol hat Ritter natürlich trotzdem nicht.
Der reine Grünmarkt bekommt Zuwachs. Schräg gegenüber parkt ein Imbiss-Mobil namens „Vegan Oriental Food“. Menschen genießen dort Gerichte wie „Geniales Gemüsecurry mit Basmati-Reis“, oder sie bestellen Falafel-Varianten. Der Trend ist auf allen Märkten spürbar. „Gut so“, sagt Wernerus. „Mehr Vielfalt sorgt für noch mehr Zuspruch. Wir unterstützen das sehr. Das Angebot der Aachener Märkte geht deutlich über Brot, Blumen, Gemüse und Obst hinaus“, so der Marktmeister.
Das gilt auch fürs Fleisch. Ritter kennt das von Kindesbeinen an. „Erst der Großvater, dann mein Vater. Ich bin schon als Knirps mitgefahren, kenne alle Märkte. Klar hat sich vieles verändert, vor allem verbessert. Der Wochenmarkt ist in Mode“, stellt der Fleischmann fest.
Schon ist die nächste Kundin da. „Was darf’s denn sein?“ Ritter zippelt kurz am Mundschutz, streift die Handschuhe über – „selbstverständlich, gerne…“ – und reicht das nächste Hirschsteak über die Theke. Ganz schön lecker. Es sind schon wilde Zeiten.