Riesen-Bauprojekt am Güterbahnhof : Durchbruch für Aachens neuen Stadtteil Campus West
Aachen Durchbruch für den Campus West: Nach zwölfjähriger Planung kann bald gebaut werden. Der wegweisende Beschluss ist jetzt gefasst.
Nach gut zwölfjähriger Vorarbeit wird der Stadtrat noch vor der Sommerpause die entscheidenden Beschlüsse für eines der größten und ehrgeizigsten Bauprojekte fassen, mit denen es die Stadt auf lange Sicht zu tun haben wird. Auf der gigantischen Fläche von mehr als 26 Hektar soll auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs Aachen-West der Campus West entstehen. Zusammen mit dem Innenstadt-Campus und dem Campus Melaten wird er eines Tages eine der größten Forschungslandschaften in Europa bilden.
Im Zusammenspiel mit der RWTH Aachen und der Campus-Gesellschaft dringt die Stadt damit endgültig in neue Dimensionen vor. Doch anders als am Campus Melaten, der gänzlich auf die Anforderungen der Hochschule und hochschulnaher Unternehmen ausgerichtet ist, soll der Campus West eben auch „ein großes Stück Stadt“ werden, wie Michael Rau, Vorsitzender des Planungsausschusses, klarmacht. Hier soll keine Friedhofsruhe herrschen, wenn der letzte das Büro verlässt und das Licht ausknipst. Stattdessen hoffen die Planer mit einem Konzept, um das sie lange gestritten und gerungen haben, viel urbanes Leben in dieses Viertel bringen zu können.
Gelingen soll das nicht zuletzt durch den hohen Wohnanteil, der dort eben auch geschaffen werden soll. Es sei der schwierigste Verhandlungspunkt mit der Campus GmbH gewesen, erklärten die Planungspolitiker, die den Bebauungsplan am Donnerstag beraten haben. Der finale Beschluss wird am 23. Juni im Rat fallen.
20 bis 25 Prozent Wohnraum
Die Hartnäckigkeit habe sich ausgezahlt, meint Marc Beus, planungspolitischer Sprecher der Linken. Bis zu einem Viertel der Bruttogeschossflächen in den insgesamt fünf Forschungsclustern, die auf dem Gelände entstehen sollen, seien für Wohnraum vorgesehen. „Es war wichtig, das zu verankern“, sagt nicht nur er. Denn die vorgesehene Mischung aus Forschen, Arbeiten, Wohnen, Gastronomie, Kultur und möglicherweise Sport sei die Gewähr für einen neuen, lebendigen Stadtteil.
Von einem guten Ergebnis sprachen die planungspolitischen Sprecher aller Fraktionen, die im Detail zwar oftmals unterschiedlicher Meinung waren, das große Ganze nun aber gemeinsam und einhellig auf den Weg gebracht haben.
Man habe nur einmal im Jahrhundert die Chance, ein solches Stück Stadt neu zu schaffen, meint Rau. In der Rückschau sei das Plangebiet zwischen Republikplatz und Toledoring allerdings zu groß gewesen, wie die höchst komplexen und langwierigen Beratungen belegen. „Das wird man wohl nicht nochmal so machen“, so Rau. Auch aus Sicht der Bürger sei dies kritisch zu sehen.
Denn natürlich hat es etliche Eingaben gegeben, mit denen sich Verwaltung und Politik auseinandersetzen mussten. Auf gut 330 Seiten sind die Einwände und Änderungswünsche festgehalten. Die meisten betreffen die sogenannte Nordanbindung – den großen geschwungenen Brückenbau, der den Campus West mit dem Campus Melaten verbinden soll. In acht Metern Höhe wird die schwerlasttaugliche Brücke, über die eines Tages möglicherweise auch mal eine Stadtbahn fahren soll, die Bahnlinie überspannen und dabei auch einen beliebten Grünzug in Laurensberg nachhaltig beeinträchtigen.
Seit Bekanntwerden der Pläne hat sich eine Bürgerinitiative gegen dieses Vorhaben gestemmt. Die Brücke sei unnötig, verschandele das Landschaftsbild und bringe mehr Lärm in den Ortsteil, argumentierten sie und brachten mehrere Alternativen ins Gespräch. Gehör fanden sie am Ende einzig bei der Fraktion Zukunft, deren Sprecher Christoph Allemand die Sicht der Bürgerinitiative teilt.
Die große Mehrheit hält die vorliegenden Planungen in der Abwägung dennoch für richtig. Sie sei nicht nur für Hochschulzwecke und den zukunftsgerichteten Nahverkehr, sondern auch für die Erschließung des Campus West wichtig. Ein Großteil des Verkehrs soll über diese Brücke in Richtung Campusband – also die künftige Haupterschließungsstraße – abgewickelt werden. So soll nicht zuletzt die Roermonder Straße vor einem Verkehrs-Gau bewahrt werden, wie Johannes Hucke, Grüne, erklärt. Er hofft, dass sie am Ende auch schön anzusehen sei.
Denn insgesamt seien in allen Bereichen höchste Baustandards vereinbart worden, die auch den heutigen Umwelt- und Klimaanforderungen entsprechen sollen. Schon aus Imagegründen habe die RWTH ein besonderes Interesse daran, echte Vorzeigebauten zu entwickeln, die auch nachhaltig sind, ist Hucke überzeugt.
Gleichwohl lässt sich schon jetzt absehen, dass auf den jeweiligen Clustern eine für Aachener Verhältnisse immer noch ungewöhnliche Baudichte und ebenso ungewöhnliche Bauhöhe erreicht wird. Der markanteste Hochpunkt wird im Bereich Republikplatz mit dem sogenannten Campus-Tower gesetzt, der immerhin 70 Meter hoch werden soll. Anfangs waren sogar 90 Meter geplant, womit er das höchste Gebäude der Stadt geworden wäre. So aber wird das Iduna-Hochhaus am Europaplatz mit 72 Metern weiterhin die Hitliste anführen.
Leicht gestutzt wurden auch die vier weiteren Hochbauten in den jeweiligen Clustern, die nun 50 statt 65 Meter hoch werden dürfen. Einen wichtigen Akzent wird zudem der alte Ringlockschuppen setzen, der zu einer Kulturveranstaltungsstätte und damit auch zu einem wichtigen neuen Treffpunkt für die Aachener umgebaut werden soll. Wer ihn zukünftig mit dem Auto ansteuert, muss allerdings gar nicht erst nach einem Stellplatz am Straßenrand Ausschau halten. Denn die sind in diesem Quartier nicht mehr vorgesehen. Stattdessen müssen Fahrzeuge in den Parkhäusern abgestellt werden, die in allen fünf Clustern errichtet werden. Von Anfang an mitgeplant werden dafür ausreichende Radwege und Abstellboxen, Bustrassen und weitere komfortable Angebote für umweltgerechte Verkehrsformen.
„Große Freude“
„Wir sind froh, dass wir diese Fläche für die Stadt gewinnen konnten, die bisher keiner vermisst hat“, sagt CDU-Planungspolitiker Harald Baal. Dass man jetzt die entscheidende Phase erreicht habe, löse bei ihm „große Freude“ aus. Die künftige Nutzung sei „ein irrer Beitrag zur nachhaltigen Bewirtschaftung“.
In immer wieder wechselnden Mehrheiten hat nicht nur Baal zum Gelingen beigetragen. Auch SPD-Politiker Norbert Plum ist von Anfang an in die Planungen eingebunden gewesen. „Das zeigt, dass es außerhalb von Koalitionen Handlungsfähigkeit gibt“, meint er, „wir kommen gemeinsam voran.“ Für die FDP erklärte Wilhelm Helg: „Wir sind zwar nicht immer einer Meinung gewesen, aber am Ende zählt das gute Ergebnis.“
Ob es wirklich ein gutes Ergebnis wird, können die Aachener allerdings erst in ein bis zwei Jahrzehnten beurteilen. Für die Stadt und die Campus GmbH geht die Arbeit jetzt erst los. Zunächst muss die Stadt die Infrastruktur mit dem zentralen Campusband planen und herstellen, anschließend werden von der Campus-Gesellschaft nach und nach die Cluster entwickelt.
Kein Flickenteppich sei gewollt, sondern „ein urbanes Gebiet, in dem man eine Handschrift erkennen kann“, sagt Rau. An Gestaltungsvorgaben haben Politik und Verwaltung nicht gespart, gleichwohl soll kein uniformes und steriles Neubaugebiet entstehen. Wettbewerbe sollen die architektonische Attraktivität sicherstellen.