Kinder in Quarantäne : Kita-Gruppe muss wegen Corona-Fall geschlossen werden
Aachen Wegen eines Corona-Falls muss eine Aachener Kita-Gruppe geschlossen werden. Das Prozedere, nach dem das Gesundheitsamt der Städteregion Aachen in solchen Fällen vorgeht, ist klar geregelt.
Diesen Brief will wirklich niemand erhalten. Weder digital per Mail, noch haptisch im Briefkasten. Und das hat vor allem mit folgendem Satz zu tun: „In der Einrichtung, die Ihr Kind besucht, ist eine Person positiv auf das Coronavirus getestet wurde.“ In Aachen haben am Dienstagabend gleich mehrere Eltern von Kleinkindern diesen Satz lesen müssen.
Für sie gleicht es einem Déjà-vu. Weil nicht auszuschließen sei, dass die Kinder engeren Kontakt zu besagter Person hatten, hat das Gesundheitsamt der Städteregion Aachen eine komplette Kita-Gruppe in häusliche Quarantäne geschickt. Kein Spielplatz, kein Park, kein Tollen im Wald.
Ihr Zuhause dürfen die Kinder nicht verlassen und auch keine Besuche empfangen. Private Spielgruppen sind tabu – also all jene Möglichkeiten, mit denen viele Eltern im Lockdown versucht haben, Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut zu bekommen. „Für die Eltern ist das eine Katastrophe“, sagt ein betroffener Vater gegenüber unserer Zeitung. Und den Kindern sei nur schwer zu vermitteln, warum sie auf einmal 24 Stunden am Tag zu Hause verbringen müssen, obwohl sie sich fit und gesund fühlten.
Es ist nicht das erste Mal, dass in Aachen wegen des Coronavirus eine Kita-Gruppe vorübergehend geschlossen wurde. Und es wird wohl auch nicht das letzte Mal sein. Das Prozedere, nach dem das Gesundheitsamt der Städteregion Aachen in solchen Fällen vorgeht, ist klar geregelt. „Wir müssen uns penibel an die Vorgaben des Robert-Koch-Instituts halten“, sagt Michael Ziemons, Gesundheitsdezernent der Städteregion Aachen. Die sehen vor, dass alle Kontaktpersonen 1. Grades (sogenannte K1-Fälle) ermittelt, kontaktiert und unter Quarantäne gestellt werden müssen. Weil in Kindertagesstätten auch in Corona-Zeiten eher Knuddeln statt Abstand an der Tagesordnung sind, betrifft dies in der Regel immer die komplette Gruppe. In Schulen sieht das mitunter schon anders aus: Sofern konsequent der Mindestabstand eingehalten und Alltagsmasken getragen werden, ist es durchaus möglich, dass im schulischen Umfeld überhaupt keine K1-Kontaktpersonen ermittelt werden. Genau aus diesem Grund haben sich viele Schulen dazu entschlossen, auch im Unterricht an einer Maskenempfehlung, wenn schon nicht -pflicht, festzuhalten.
Apropos Pflicht: An der 14-tägigen Quarantäne für die Kinder der betroffenen Kita-Gruppe ist nicht zu rütteln. Auch nicht, wenn sie negativ auf das Coronavirus getestet werden sollten. Der obligatorische Test mit Stäbchen steht nach fünf bis sieben Tagen an. In diesem Zeitraum sei es am wahrscheinlichsten, dass das Virus im Falle einer Infektion nachgewiesen werde, erläutert Gesundheitsdezernent Ziemons. „Aber wir können nicht ausschließen, dass die Krankheit nicht auch später noch ausbricht.“ Ein „Freitesten“ aus der Quarantäne, wie es etwa nach der Rückkehr aus einem Risikogebiet möglich ist, ist in diesem Fall also keine Option.
Das vermeintlich gesunde Kind zu Hause „einsperren“ – für Mütter und Väter ist das keine schöne Perspektive. „Ich kann den Frust der Eltern verstehen“, sagt Ziemons. Er appelliert dennoch eindringlich an die Betroffenen, die Quarantäneregeln ernst zu nehmen. Selbst wenn man das Kind von der Wohnung direkt ins Auto und zum Spielen auf die abgeschiedene Wiese bringen sollte – „man weiß nie, wem man begegnet“. Und welche Infektionskette man dadurch womöglich eröffnet. Verstöße gegen eine behördlich angeordnete Quarantäne können übrigens mit einer Geld- oder sogar Freiheitsstrafe geahndet werden.
Kurioserweise gelten diese strengen Regeln vorerst nur für die betroffenen Kinder und nicht für deren Eltern – auch wenn diese mit großer Wahrscheinlichkeit engen Kontakt haben. Auch das habe mit den Vorgaben des RKI zu tun, erläutert Ziemons. Nur Erstkontaktpersonen dürfen unter häusliche Quarantäne gestellt werden, Kontaktpersonen 2. Grades – in diesem Fall die Eltern – nicht. „Aus rechtlichen Gründen“, heißt es dazu in dem Schreiben des Gesundheitsamts. Das bestätigte Mitte September sogar das Oberverwaltungsgericht Münster. In Dortmund verhängte das Ordnungsamt nämlich nach einer Party, bei der sich Dutzende Oberstufenschüler mit Corona infizierten, nicht nur für die Mitschüler, sondern auch deren Eltern und Geschwister großzügig Ausgangssperre. Eine Mutter klagte – und bekam Recht.
Michael Ziemons bittet dennoch darum, dass im Falle einer Coronainfektion in Kitas und Schulen auch die betroffenen Eltern Kontakte so gut es geht vermeiden. Der betroffene Vater, der namentlich nicht in der Zeitung erwähnt werden will, wird somit vorerst von zu Hause arbeiten. Ist das aus beruflichen Gründen nicht möglich, greift Paragraf 56, Absatz 1a des Infektionsschutzgesetzes. Demnach haben erwerbstätige Personen, die wegen der Betreuung ihrer Kinder vorübergehend nicht arbeiten können, einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 67 Prozent des monatlichen Nettoeinkommens.
Ob es auch eine Entschädigung für den Kita-Beitrag gibt, wenn Kinder zwei Wochen lang nicht in den Einrichtungen betreut werden können – ob gesund oder nicht –, ist nach Angaben des städtischen Presseamtes noch unklar. Dazu gebe es noch „keine abschließende Verwaltungsmeinung“, teilt Björn Gürtler auf Anfrage mit. Die Stadt warte noch auf eine Empfehlung des Städtetags.
Abwarten, geduldig bleiben und immer wieder den Gesundheitszustand prüfen: Mehr bleibt Eltern und Kindern wohl nicht übrig. In Aachen, Alsdorf, Herzogenrath und Stolberg betreffe das aktuell fünf Schulen und fünf Kitas, teilt die Städteregion Aachen auf Anfrage mit. Insgesamt also knapp fünf Kita-Gruppen, ein halbes Dutzend Betreuer, 30 Schüler und wenige Lehrer. Die Folge eines Briefes, den wirklich niemand erhalten will.