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Alte Menschen im Visier: Betrugswelle gegen Senioren ebbt nicht ab

Alte Menschen im Visier : Betrugswelle gegen Senioren ebbt nicht ab

In Aachen schöpft eine Tochter Verdacht, weil ihre betagte Mutter von dubiosen Hausinteressenten angerufen wird. Als neue Masche von Trickbetrügern ist dies der Polizei zwar noch nicht bekannt, doch die Betrugswelle gegen Senioren ebbt nicht ab. Im vorigen Jahr wurden in der Städteregion rund 1400 Strafanzeigen erstattet.

Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung klang sehr vertrauenerweckend. Nett und freundlich. „Sie besitzen doch ein Haus, oder?“, fragte die Anruferin die 82-Jährige, die den Anruf angenommen hatte, der mit unterdrückter Nummer bei ihr daheim eingegangen war. Und dann fuhr die freundliche Frau fort: Sie habe einen Bekannten, einen älteren Herrn, der just an diesem Haus Interesse habe. Und der bereit sei, einen sehr guten Preis zu bezahlen. Ob man nicht einfach mal am nächsten Tag vorbeikommen könne, um sich das Haus anzusehen, wollte sie wissen. Die hochbetagte Hausbesitzerin hatte nicht vor, das Haus zu verkaufen, sie hatte auch nirgends eine solche Absicht inseriert. Doch sie war völlig überrumpelt von dem Anruf. So überrumpelt, dass sie zusagte.

Schon dieser Beginn der Geschichte klingt dubios, und vielleicht ist sie für die Seniorin nur deshalb gut ausgegangen, weil sie eine Tochter hat. Und diese mit ihr zusammen in dem Zweifamilienhaus im Aachener Stadtteil Forst lebt. Und sich beide einen Haustelefonanschluss teilen. So entdeckte die Tochter den Anruf mit unterdrückter Nummer, sprach ihre Mutter an und erfuhr von den vermeintlichen Kaufinteressenten. „Mir kam das verdächtig vor“, sagt sie, als sie vom Telefonat ihrer Mutter erzählt. „Ich habe sofort an Trickbetrüger gedacht.“

Also an Täter, die sich vornehmlich an sehr alte Menschen heranmachen, um diese um ihr Geld zu bringen. Und oft versuchen sie dies, indem sie sich irgendwie Zutritt zu ihren Wohnungen und Häusern verschaffen. Vielleicht, um erst einmal nur die Örtlichkeit auszukundschaften. Oder um direkt Beute zu machen. Und oft suchen die Täter die Opfer aus, indem sie Telefonverzeichnisse nach Vornamen durchforsten, die auf ein hohes Alter schließen lassen. Die 82-jährige Forsterin hat einen solchen Vornamen.

Zahl der Fälle ist explodiert

Bei dieser Form der Betrugsdelikte gegen Senioren ist die Zahl der Fälle in der jüngeren Vergangenheit förmlich explodiert. Vor zehn Jahren wurden in der Städteregion 50 solcher Delikte in einem Jahr angezeigt. Damals sprach man schon von einem starken Anstieg. Im Jahr 2018 waren es 1390 Fälle. Und auf diesem extrem hohen Niveau pendelt sich diese Kriminalitätsrate offenbar ein. Auch im gerade abgelaufenen Jahr 2019 hat man knapp 1400 Anzeigen – sowohl vollendete Taten als auch Versuche – registriert, heißt es auf Anfrage bei der Aachener Polizei. Die Betrugswelle gegen Senioren ebbt nicht ab.

Dabei wenden die Täter am Telefon alle möglichen Tricks an. Sie geben sich fälschlicherweise als Polizisten aus, die vor akuter Einbruchsgefahr warnen und vorsichtshalber Wertsachen in Verwahrung nehmen wollen. Oder als finanziell in Not geratene Enkel, die mal schnell einen Freund vorbeischicken, um Geld abzuholen. Oder sie gaukeln Großgewinne vor bei Gewinnspielen, für die man aber erst eine Gebühr zahlen müsse. Von falschen Hausinteressenten hatte die Tochter der 82-Jährigen zwar noch nicht gehört, doch der Verdacht ließ sie nicht ruhen. Sie rief die Polizei an, die ihr aber nicht habe helfen können, wie sie berichtet. Es sei ja noch nichts passiert, und man könne leider nicht den ganzen Tag bei der Mutter verbringen, weil eventuell ein Betrüger vorbeikommt, habe es dort geheißen.

Also hielt die Tochter am nächsten Tag selber die Augen offen – und wurde fündig. Ihr sei ein Mann mittleren Alters aufgefallen, der das Haus auffällig gemustert habe, erzählt die 62-Jährige. Als sie hinausgegangen sei, habe er sie sofort angesprochen: „Haben wir einen Termin?“ Er sei gekommen, um Messungen vorzunehmen. Es gehe um Energieeffizienz, er wolle aber auch die Sicherheitstechnik begutachten und eine Wertschätzung vornehmen – so erinnert sich die Tochter an die Worte des Mannes. Als sie gesagt habe, dass dafür kein Termin existiere, habe der Mann zügig das Weite gesucht. Eine Visitenkarte habe er „leider“ nicht, er werde einen Flyer schicken, habe er noch gesagt.

Die Tochter hat den starken Verdacht, dass der Anruf der vermeintlichen Hausinteressentin und der Besuch des Mannes tags darauf zusammenhängen und einen kriminellen Hintergrund haben. Bei der Aachener Polizei ist eine solche neue Masche aber bisher nicht bekannt. Das müsse aber nichts heißen, sagt Polizeisprecherin Petra Wienen. „Das ist zwar ein ungewöhnlicher Fall, aber ausschließen kann man bei diesen Trickbetrügereien gar nichts.“ Es könne sich, so Wienen, bei dem geschilderten Vorfällen tatsächlich „um straflose Vorbereitungshandlungen“ für einen Trickbetrug handeln. Die meisten Betrügereien seien jedoch im Vorjahr wie schon 2018 auf das Konto von „falschen Polizisten“ gegangen. Und auch der Enkeltrick werde nach wie vor häufig angewandt.

Wem Anrufe oder Besuche welcher Art auch immer dubios vorkommen, der solle immer Vertrauenspersonen einbeziehen, keinesfalls Unbekannte ins Haus lassen und im Zweifel ruhig die Polizei anrufen, rät Wienen. „Lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.“