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Warnstreik im ÖPNV: Aseag-Fahrer legen ihre 210 Busse lahm

Warnstreik im ÖPNV : Aseag-Fahrer legen ihre 210 Busse lahm

Auf diese „Verkehrswende“ hätte man gerne verzichtet. Zumal das Klima in jeder Hinsicht – nicht nur durch die Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Verkehrsbetrieben – darunter leidet. Wenn man von Hin- und Rückfahrten ausgeht, sind am Dienstag in Aachen mehr als 80.000 Menschen statt mit dem Bus im Auto, auf dem Rad oder zu Fuß unterwegs gewesen. Ein Stau-Chaos gab es trotzdem nicht.

Vor allem am Vormittag dürften allerdings viele pitschnass in der Schule oder am Arbeitsplatz aufgetaucht sein. Dabei sind es eigentlich die Busfahrerinnen und Busfahrer, die nach eigener Einschätzung im Regen stehen. Sie fühlen sich ungerecht bezahlt, beklagen schlechte Arbeitsbedingungen durch Schichtdienste, kritisieren „leere Versprechungen“ der Arbeitgeber und vieles mehr. Die Gewerkschaften hatten deshalb in ganz Nordrhein-Westfalen zum Warnstreik im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) aufgerufen. Man fordert 4,8 Prozent mehr Lohn, mindestens aber zusätzlich 150 Euro pro Monat. Die öffentliche Hand als Arbeitgeber winkt ab.

Am Dienstag seien in Aachen ab 3 Uhr morgens alle 210 Busse der Aseag im Depot geblieben, bestätigte Konzernsprecherin Anne Körfer auf Anfrage. Der Ausstand sollte erst in der Nacht zum Mittwoch um 2 Uhr enden. Bei den Subunternehmen, die für die Aseag in Stadt und Städteregion unterwegs sind, sei etwa die Hälfte der rund 150 Fahrzeuge auf der Straße gewesen. „Wir haben also eine Gesamtleistung von etwa 25 Prozent“, sagte Körfer und bat die Aseag-Kunden um Geduld und Verständnis für diese Situation.

In der Städteregion Aachen sind damit rund 165.000 der sonst 220.000 Passagierfahrten ausgefallen. Konkrete Aussagen dazu, welche Busse zu welcher Zeit fahren, habe auch die stark frequentierte Servicehotline, die das Unternehmen für den Streiktag eingerichtet hatte, kaum beantworten können. Belgische und niederländische Linien – etwa die Maastricht- und die Kelmis-Route – wurden aber von den Verkehrsbetrieben der Nachbarländer bedient. Sie fuhren weitgehend unbehindert durch Aachen. Nur am Depot der Aseag an der Neuköllner Straße hatten die Streikenden einen Bus quergestellt, um die Zufahrt zu erschweren.

Im Aachener Bushof wurden Banner entrollt, Fahnen geschwenkt. Nur vereinzelt rauschten an diesem Tag Busse durch die dunkle Betonhalle. Die meisten Haltestellen waren verwaist. Knapp 600 Fahrerinnen, Fahrer und Aseag-Beschäftigte hätten sich am Streik beteiligt, erklärte dort Kasim Ordu. Der Vorsitzende der ÖPNV-Fachgewerkschaft NahVG Ac ist stinksauer. „Es kann doch nicht sein, dass hier Busfahrer für ein und dieselbe Arbeit unterschiedliche Gehälter bekommen! Das machen wir nicht mehr mit“, sagte er.

Etwa die Hälfte der Belegschaft sei dadurch benachteiligt. Ausdrücklich bat Ordu Schüler, Eltern und Berufspendler um Nachsicht. „Ich weiß, dass wir vielen Menschen durch unseren Streik zusätzliche Mühen machen, das tut uns leid. Aber wir sehen keinen anderen Weg“, sagte er. Ohnehin kämpfe man auch für die Qualität des ÖPNV. „Unsere Personaldecke ist bei der Aseag wegen der schlechten Gehälter viel zu dünn. Das kostet Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Und es führt dazu, dass wir viel zu wenig Nachwuchs haben.“ Stattdessen würden immer wieder reihenweise Busfahrer zu Billigtarifen im Ausland angeheuert – zuletzt aus Spanien.

Enttäuscht ist Ordu auch, weil die Arbeitgeber während des Corona-Lockdowns Prämien für die Fahrerinnen und Fahrer von bis zu 1500 Euro in Aussicht gestellt hätten. Ähnlich wie bei Pflegeberufen oder in Supermärkten für Kassiererinnen und Kassierer. „Wir waren als systemrelevant eingestuft, haben den Laden weiterlaufen lassen, Sonderschichten gefahren. Aber jetzt will man von den Prämien nichts mehr wissen“, zeigt sich der Gewerkschafter enttäuscht. Gerade mal gut 2500 Euro brutto verdiene ein junger Fahrer – viel zu wenig, so der NahVG-Vorsitzende. „Wir sind zu unattraktiv. Deshalb ist die Belegschaft der Aseag überaltert, und viele Busse fallen wegen fehlenden Fahrpersonals immer wieder aus.“ Ordu stellt klar: „Wir werden kämpfen, bis unsere Forderungen erfüllt werden.“

Verdi-Gewerkschaftssekretär Frank Michael Munkler zeigte sich am Nachmittag äußerst zufrieden mit der Resonanz in Aachen. „Die Aseag hat stillgestanden. Und auch bei den Privatunternehmen haben zwischen 75 und 100 Prozent gestreikt. Das war ein gutes und notwendiges Signal an die Arbeitgeber“, sagte er. Dass diese den Warnstreik als „Anschlag auf die Allgemeinheit“ bezeichnet hatten, verurteilte der Gewerkschaftssekretär für Verkehr scharf. Es sei ein Unding, dass ausgerechnet die Menschen, „die in der Corona-Zeit ihre Gesundheit riskiert haben, jetzt als Attentäter abgestempelt werden“. Wenn der Wunsch nach einer Verkehrswende ernst genommen werde, müsse das eben auch finanziert werden. Und dazu gehöre unter anderem auch eine Anpassung der Gehälter. Ein Job, mindestens drei Bezahlungen – so sei aktuell die Lage, kritisiert Munkler die Kluft zwischen Beschäftigten in privaten und kommunalen Busunternehmen. Und auch im öffentlichen Dienst seien jüngere Kollegen im Vergleich zu älteren schlechter gestellt, weil die entsprechende Tarifgruppe vor einem guten Jahrzehnt abgesenkt worden sei, um Kosten zu sparen. „Das macht einen Unterschied von 300 bis 500 Euro“, so Munkler. So viel stehe fest: Sollten die Arbeitgeber nicht einen deutlichen Schritt auf die Gewerkschaften zugehen, werden diese den Druck erhöhen. Schon im Oktober könnte der nächste Warnstreik anstehen, kündigte der Gewerkschaftssekretär an.

Ohne Schulbus keine Schule: An den Aachener Schulen haben es am Dienstag nicht alle Schülerinnen und Schüler in den Unterricht geschafft. An der 4. Aachener Gesamtschule hätten zahlreiche Eltern ihre Kinder vom Schulbesuch entschuldigt, hieß es. 79 der gut 800-köpfigen Schülerschaft kamen nicht in der Schule an. Am Inda-Gymnasium in Kornelimünster fehlten morgens rund 60 der 1250 Kinder. „In dieser Zahl sind aber auch die Kranken enthalten“, erläuterte Schulleiter Arthur Bierganz. Insgesamt sei die streikbedingte Ausfallquote „überschaubar“.

Mehr Autos vor den Schulen

Mehr Autoverkehr gab es allerdings am Dienstagmorgen an vielen Schulen. Zahlreiche Familien setzten wegen des Warnstreiks im ÖPNV das „Elterntaxi“ in Gang. Mehr Eltern als sonst hätten ihre Kinder zur Schule gefahren, hieß es etwa in der Gesamtschule Brand. „Auf den Busspuren standen heute die Elterntaxis“, sagte der stellvertretende Schulleiter Ralph Engel. Auch am Einhard-Gymnasium seien offenbar in vielen Familien die Eltern eingesprungen, berichtete Schulleiter Ralf Gablik. Insgesamt hätten in den Klassen aber nur sehr wenige Schüler gefehlt, ein paar seien etwas verspätet in den Unterricht gekommen. Auch ohne Streik werden in den derzeitigen Corona-Zeiten insgesamt mehr Kinder von ihren Eltern mit dem Auto zur Schule gefahren, damit die Kinder nicht in vollen Bussen einem zusätzlichen Ansteckungsrisiko ausgesetzt sind.

Auf den Straßen rund um Aachens Schulen war umso mehr los: Viele Schüler griffen wegen des Warnstreiks aufs „Elterntaxi“ zurück.
Auf den Straßen rund um Aachens Schulen war umso mehr los: Viele Schüler griffen wegen des Warnstreiks aufs „Elterntaxi“ zurück. Foto: Andreas Herrmann

Am Aachener Uniklinikum hat der Warnstreik im ÖPNV am Dienstag den Parkdruck weiter erhöht. Auch die Autoschlange Richtung Parkplatz sei etwas länger als sonst üblich gewesen, hatte UKA-Sprecher Mathias Brandstädter morgens beobachtet. Pünktlich am Arbeitsplatz eingetroffen seien die meisten dennoch, erklärte er. Der zu erwartende Streik sei im Vorfeld im Haus breit kommuniziert worden. „Alle sind wahrscheinlich wesentlich früher losgefahren“, so Brandstädter, „ich bin selbst auch eine Stunde früher aufgestanden.“ Von den mehr als 7000 UKA-Beschäftigten an der Pauwelsstraße nutzen rund 1400 das vergünstigte UKA-Busticket, das das Klinikum anbietet. Tendenz steigend.

In einer früheren Version des Textes hieß es, rund 200 Beschäftigte würden das vergünstigte Ticket nutzen. Tatsächlich nutzen derzeit rund 1400 Beschäftigte das UKA-Ticket, Tendenz steigend. Diese Zahl teilte Sprecher Mathias Brandstädter am Mittwoch mit und korrigierte damit Angaben vom Dienstag, als seitens des Klinikums von rund 200 UKA-Tickets die Rede war. Tatsächlich handelt es sich laut Brandstädter bei den 200 um die Zahl derjenigen, die auf den ÖPNV umgestiegen sind, als am Klinikum gebührenpflichtiges Parken eingeführt wurde.