Für die Europawahl : Rund 180 Betreute dürfen erstmals an die Urnen
Aachen Die Zahl der Erstwähler ist vor ein paar Wochen noch einmal offiziell gestiegen – und das nicht etwa allein deshalb, weil so manche(r) kurz vor der Europawahl am 26. Mai sein 18. Lebensjahr vollendet hat.
Erstmals nämlich dürfen auch Menschen, die, wie manche Bewohner der Behinderteneinrichtungen im Aachener Vinenz-Heim, aufgrund schwerwiegender geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen auf permanente Betreuung angewiesen sind, prinzipiell an allgemeinen Wahlen teilnehmen. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 15. April entschieden.
Letztlich wird der Beschluss wohl wenig Einfluss haben auf die viel zitierte politische Willensbildung. Statistisch gesehen betrifft er allenfalls einen von 1000 Menschen, in der Stadt Aachen also theoretisch etwa 180 Personen.
Für viele Schwerstbehinderte – oder auch Straftäter, die wegen Schuldunfähigkeit in psychiatrischen Kliniken untergebracht sind – markiert er jedoch einen wichtigen Schritt in Sachen (Selbst-)Bestimmungsrecht: Denn bislang war laut Bundesgesetz jeder von Wahlen ausgeschlossen, für den „zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein Betreuer … bestellt ist“. Nun aber haben die Karlsruher Richter diese Bestimmung endgültig gekippt, weil sie einen „Verstoß gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl“ darstelle.
Gut so, sagt zum Beispiel Guido Rütten, Leiter des Fachbereichs Wohnen für Erwachsene im Aachener Vinzenz-Heim: „Wir begrüßen das Urteil voll und ganz. Und wir hoffen, dass unsere Klienten jetzt einen Antrag zur Aufnahme ins Wählerverzeichnis stellen – sofern sie das wollen.“ Natürlich gebe es auch Betroffene, die schlichtweg überfordert seien, wenn es darum gehe, auf dem ellenlangen Wahlzettel mit 41 Parteien das „richtige“ Kreuzchen zu machen.
„Aber wir nutzen jetzt alle Möglichkeiten, um möglichst vielen eine Teilnahme zu erleichtern“, betont Rütten. Wichtige Orientierungshilfen böten etwa Broschüren des Landschaftsverbands, die in allgemeine politische Zusammenhänge in sogenannter Einfacher Sprache vermitteln. „Hilfreich wäre sicher auch, wenn man dies auf den sogenannten Wahlomaten übertragen würde“, glaubt Rütten.
Zudem sind die zuständigen Behörden gefordert, entsprechende Info-Kampagnen zu starten, meint zum Beispiel SPD-Ratsherr Karl Schultheis. Er hat sich jetzt per Ratsanfrage erkundigt, welche Maßnahmen ergriffen werden könnten, Unterstützung bei der Antragstellung und auch am Wahltag selbst anzubieten. Dies, hieß es auf Nachfrage bei der Stadt, sei angesichts der wenigen verbleibenden Tage bis zum 26. Mai indes nicht mehr umsetzbar. Für die Kommunalwahl im Herbst 2020 werde allerdings „voll umfänglich Pressearbeit gerade für diesen Personenkreis vorbereitet“, erklärt Rita Klösges vom Presseamt.